Foto: Babette Bruhn

Von einer dunklen stillen Nacht, Irrlichtern und Lichtlein

Eine weihnachtliche Geschichte, die im Sommer geschah.

 

Allein, allein

Vor vielen Jahren (hier fällt mir auf, dass meine Geschichten bis jetzt oft lange brauchen, um ans Licht zu kommen), saß ich verlassen und einsam in einem Stall. Nein – meiner Wohnung, die eher wie ein Saustall aussah, denn ich war alleinerziehend, arbeitete zu viel und mein Kindlein war krank.

Nun lag es in Windeln gewickelt, fiebernd, endlich schlafend, in seinem Bettchen und ich vor meinen Rechner — allein. Ich glaube Facebook gab es noch nicht. Kaum zu glauben, was hab ich nur gemacht? Ach – ja, ich musste meine Einsamkeit fühlen. 

Meine damalige Wohnung lag in einem Hinterhaus mit Garten und war sehr still. Von meinen Nachbarn hörte ich nichts, kein Schritt, keine Musik, keine Waschmaschine rumpelte. Nachts kam es mir vor, als hätten alle anderen Menschen dieser Erde ihre Koffer gepackt, um mit Außerirdischen zu einem besseren, blaueren Planeten zu fliegen. Nur mein Kind und mich hatten die Organisatoren vergessen zu fragen, ob ich mitwollte. Oder noch schlimmer: Mit Absicht nicht mitgenommen. Obwohl mit Absicht ist man ja noch wenigstens gemeint und nicht einfach: „Ohhhh äääh wir haben gar nicht an dich gedacht.“ Negative Zuwendung ist ja auch Zuwendung. So. 

Selbstmitleid pur

Es war eine üble Nacht. Voller Selbstmitleid und Elend versuchte ich, den Tagesjob fertig zu gestalten. Irgendeine glückliche Familie zog gerade zuversichtlich in ihr neues Haus in der Vorstadt ein. Während ich das Glück und die geglückte Baufinanzierung an seinen rechten Platz rücken sollte, geschah es. Beim Anblick der pastellfarbenen Welt brach ich in Tränen aus und schwamm davon. Ich dachte, ich würde nie wieder aufhören zu weinen.

Im großen Schmerz über die Ungerechtigkeit der Welt, Erschöpfung, Einsamkeit und totalem Mangel (eingebildet, aber damals sich sehr real anfühlend) klingelte das Telefon. Ja—das Telefon, nicht das Handy oder irgendein Mobile Device. 

Es war schon weit nach Mitternacht.

Meine Freundin war von einer Abendgesellschaft in einem Club nach Hause gekommen und hatte die Idee, einfach mal so anzurufen. Wenn man in diesem bestimmten Zustand nachts nach Hause kommt, versucht man ja gerne mal noch Leute anzurufen.

Sehr schnell erfasste sie, dass sie mir nicht von dem lustigen Abend erzählen konnte. Ich weinte nur noch mehr, weil ich ja nicht mitkonnte um in einem Club rauchen und trinken zu können, was mir in diesem Moment wesentlich erstrebenswerter erschien, als ein wundervolles Kind zu haben. Interessant so ein paar Jahre später. Egal, damals —großes Unglück. Fertig. Alles schien zu Ende. 

Ganz gewöhnliche Elternkrankheiten

Katja wußte Rat. Sie ist nicht nur meine Freundin durch die Zeiten, sie ist auch eine jener Mütter, die Welt braucht. 

Und deshalb sagte sie: „Ich lese Dir jetzt was vor.“ Zwei Minuten später verschluckte ich mich vor Lachen: Liebe Nina Puri und Susanne Kaloff. Danke für Euer Buch „Elternkrankheiten“. Besonders gern erinnere ich mich an die Stelle mit der Funktionskleidung und dem Partnerlook. Ich muss sofort wieder lachen. Dieses Buch brachte mir das Licht zurück in dieser Nacht. Getragen wurde es von meiner Freundin, die selbst ein Licht ist. Und so leuchtete es still, von einem unbekannten Ort, an dem das Buch geschrieben wurde, über Berlin Mitte, wo es vorgelesen wurde, hin in eine stille Altbauwohnung, hoch in den Prenzlauer Berg, zu einer Mutter mit Kind, die nicht mehr weiter wußte. 

Es wurde schon hell, als Katja das Buch zu klappte. Sie hatte mir Geschichte um Geschichte vorgelesen, bis das Buch ganz durchgelesen und ich durch die Nacht gerettet war. Die Vögel zwitscherten, als wir schlafen gingen. 

So erschaffen viele von uns schöne, lustige und gute Dinge, die vielleicht irgendwann einmal irgendjemanden zur richtigen Zeit das Herz wärmen, wenn es vor Kummer aufhören will zu schlagen. 

Meine Großmutter sagte immer: „Und wenn Du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her“. Sie hatte so recht, denn sie war eine weise alte schöne Frau geworden, die im Laufe ihres langen Lebens mit Liebe und Sanftmut uns Enkeln Zuversicht lehrte. Von ihrem oberen Tribünenplatz der Lebenserfahrung schaute sie voller Vertrauen auf uns in den unteren Rängen des Lebens. Es ist der Vorteil des Alters, das Zurückschauen und Sehen können, während das Erfassen von den unteren Rängen, was auf den Oberen noch alles geschieht, nicht möglich ist. 

Anish Kapoor hat einen Granitblock ausgehöhlt und innen pechschwarz gefärbt, ein riesiges dunkles Loch. In der oberen Ecke ist ein winziges, winziges, winziges, kleines Löchlein gebohrt, von dort fällt Licht in das Auge des Betrachters. Kaum wahrnehmbar und doch ist es da. Und dieses zarte spinnenwebenseidenfeine Pünktchen ist es, worauf sich das Auge richtet. Es dominiert die scheinbar alles verschlingende Dunkelheit. Es ist stärker als alle Nacht. 

Ich wünsche uns allen, dass die Lichter und Lichtlein in unserem Leben nie ausgehen, bis wir in das große Licht reisen. 

Die Lichter heißen Glaube, Liebe, Hoffnung. Wie es die Alten wussten. 

Uns allen ein lichtvolle Weihnacht. Bis nächstes Jahr. 

Und ein wunderschönes Lied.

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