Foto: www.depositphotos.com

Wenn Eltern alt werden: „Liebe Mama, vielen Dank für alles”

Klappt mal den Laptop zu und ruft eure Eltern an. Irgendwann mag es eventuell zu spät sein.

 

Und plötzlich sind deine Eltern alt 

Mein alter Caddy bleibt mit einem leichten Säuseln in einer kleinen sandigen Einfahrt vor einem Backsteinhaus stehen. Beim öffnen der Tür legt sich der Duft von Wiesen und Wäldern wie eine Decke zart auf meiner Haut nieder. Als ich ein Kind war, kehrten meine Eltern jedes Wochenende Berlin den Rücken zu und holten sich, mit meinem Bruder und mir im Schlepptau, eine verdiente Auszeit im ruhigen Brandenburg. Das Haus fungiert bis heute als Ort der Ruhe.

Ich sehe, wie meine Mutter ans Eingangstor gelaufen kommt. Mir fällt sofort eine fingerbreite graue Haarsträhne ins Auge, die von ihrer Stirn bis in ihren Zopf läuft, um dann im Haargummi zu verschwinden. Sie sieht glücklich aus. Ihre Haut ist gebräunt und ihre Augen zieren Lachfältchen. Doch mein Herz wird ganz schwer. Ich war so sehr beschäftigt erwachsen zu werden, dass ich erst in diesem Moment verstehe, dass meine Mutter alt wird. Ich drücke sie länger als gewöhnlich, was ihr natürlich sofort auffällt.

Wir erinnern uns erst, wenn es zu spät ist 

Im Haus setze ich mich auf das blaue Sofa und blicke aus dem Fenster. Ich erinnere mich an einer Wanderung in Neuseeland, bei der mir vor Glück leise die Tränen über die Wangen liefen. Ich lass gerade „The fault in our stars”, ein Buch über die Liebe zwischen zwei todkranken Jugendlichen, und hatte darüber nachgedacht, wieso wir Grabreden eigentlich immer erst dann schreiben, wenn die Person tot ist.

Ich meine auf einer Beerdigung werden so wundervolle Dinge über Menschen erzählt, Erinnerungen hervorgebracht und darüber philosophiert was man noch alles hätte zusammen erleben wollen. In diesem Augenblick nahm ich mir fest vor, meinen Eltern eine „Lebensrede“ zu schreiben. 

Naja und dann ist er passiert, der Alltag. Ich rannte von einem Termin zum anderen, unternahm Dinge mit meinen Freunden und ging am Wochenende mit meinem Hund im Wald joggen. Der Gedanke der „Lebensrede“ wurde erfolgreich unter den Alltagsgedanken begraben.

Eine Lebensrede für meine Mutter

Doch das wollte ich vor einigen Tagen endlich ändern. Ich griff spontan ein
Notizbuch und schrieb Stichworte auf, die sich später in einen Text
zusammenfinden sollten. Und wie ihr seht ist dieses Vorhaben erfolgreich
verlaufen.

Es gibt für jeden Menschen sicher andere Gründe seinen Eltern zu danken. Dieser Text soll eine kleine Erinnerung daran sein, dass keiner gegen die Zeit immun ist. Auch nicht unsere Eltern, die viele von uns glücklicherweise einen Großteil unseres Lebens für unschlagbare Superhelden mit speziellen „Sorgen-Auffangnetzen” und einer „Gute-Ratschläge-Flatrate” halten. Irgendwann ändert das sich aber. Und deshalb habe ich meiner Mutter jetzt schon eine „Lebensrede” geschrieben  Hier ist ein kleiner Ausschnitt:

„(…) Es ist so wundervoll, dass du mich zu dieser starken Frau erzogen hast. Du hast mich gelehrt, umsichtig zu sein. Immer zu hinterfragen und mich nicht unterbuttern zu lassen. Wegen dir weiß ich, wie ich Steuererklärungen mache, dass es Taubnesseln gibt und das Schwebewespen nicht stechen. Ich weiß, wie ich eine Spinne mit einem Glas und einer Karte aus dem Haus befördere und wie ich ein Lämmchen mit der Flasche aufziehen kann. Ich schätze es, dass du mir den Mut gegeben hast zu wissen, dass ich in der Lage bin alles zu schaffen. Durch dich habe ich mich getraut, alleine durch Neuseeland zu reisen, ein Buch zu schreiben und ein soziales Unternehmen zu gründen. Danke Mama (…)”

Mehr bei EDITION F 

Liebe Mama, wir müssen über das Alter sprechen. Weiterlesen

Nancy Borowick: „Ich hätte nie gedacht, dass ich meine Eltern schon mit 29 verlieren würde.“ Weiterlesen

„Wir setzen uns nicht mit dem Tod auseinander. Und dann fällt uns die Trauer an wie ein wildes Tier“. Weiterlesen

Anzeige