Anke Domaske ist eine unserer „25 Frauen, deren Erfindungen unser Leben verändern” – sie stellt Textilfasern, Kosmetik und Granulat aus Rohmilch her, die sonst nicht mehr zu verwenden ist und entsorgt werden würde.
„Zu Beginn glaubte niemand an unsere Idee“
Kleidung, die nicht mit Chemikalien oder Pestiziden behandelt worden ist? Gar nicht so einfach zu finden, stellte die Mikrobiologin Anke Domaske fest und so begann sie sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Dabei stieß auf den Begriff der Milchfaser, die in den 30er Jahren aufkam, deren Herstellungsprozesse aber wenig nachhaltig waren und schädliches Formaldehyd enthielten.
Doch die Idee für eine natürlichen Faser aus Milch ließ sie nicht mehr los und so machte sie sich mit einem kleinen Team daran, das Konzept neu zu entwickeln – mit Erfolg. Heute stellt sie mit ihrem Unternehmen Qmilk Textilfasern, Kosmetik sowie Granulat aus Rohmilch her, die sonst nicht mehr zu verarbeiten ist und verkauft ihre Produkte auf der ganzen Welt. Wir haben mit ihr über ihren Weg gesprochen.
Sie sind Mikrobiologin und haben sich während Ihres Studiums auf die Suche nach chemisch unbehandelter Kleidung gemacht. Warum hat Sie das Thema damals so interessiert?
„Mein Stiefvater war an Krebs erkrankt und wir haben nichts für ihn zum Anziehen gefunden. Leider sind auch Naturfasern wie Seide und Wolle oft mit Chemikalien und Pestiziden behandelt. Auf der Suche nach chemisch unbehandelter Kleidung, sind wir auf den Begriff Milchfasern gestoßen. Die Idee gibt es bereits seit den 30iger Jahren. Leider bestanden die Fasern hauptsächlich aus schädlichem Formaldehyd und wurden in einem ressourcenintensiven Prozess hergestellt. Wir wollten zu 100 Prozent natürliche Fasern und einen nachhaltigen Produktionsprozess.“
Wie gefährlich sind denn die Chemikalien in etwa Fast Fashion – sowohl für den Endkunden, der die Kleidung trägt, als auch für die Menschen, die diese Kleidung herstellen?
„Da gibt es viele Studien, die den Einfluss von Chemikalien auf den Menschen belegen. Mittlerweile ist jeder zweite Mensch Allergiker. Unter anderem braucht man ja schon allein bei der Färbung eines Kilos an Stoff, ein Kilo Chemikalien. Zudem gibt es nicht nur Auswirkungen auf den Menschen, sondern auch auf die Umwelt.“
Glauben Sie, Verbraucher werden hier ausreichend aufgeklärt? Oder verdrängt man das gerne zugunsten von günstiger Fast Fashion?
„Ich denke beides. Leider ist Mode ja zum Wegwerfartikel geworden. Ein T-Shirt trägt man im Schnitt nur noch eineinhalb Mal und das ist sehr schade. Da wir am Anfang der textilen Kette stehen, wissen wir wie aufwändig es ist, ein T-Shirt herzustellen. Das sieht man als Verbraucher heutzutage nicht mehr. Er wird darüber auch nicht aufgeklärt. Aber ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass es eine Gegenbewegung gibt. Als wir publik wurden, ist das Unglück in Fukushima passiert und ich denke, dass hat auch nachhaltig etwas in den Menschen bewegt – man hinterfragt nun häufiger, woher die Produkte kommen, die wir essen oder auch anziehen. Ich hoffe, dass diese Bewegung sich weiter fortsetzt, wobei ich aber davon ausgehe, dass die Billigbewegung auch weiterhin bestehen bleibt.“
Warum hat sich die Verarbeitung von Milchproteinen für Kleidung in den 30er Jahren eigentlich nicht durchgesetzt?
„Damals war es eine populäre Faser. Es wurden allein in Europa über 10.000 Tonnen hergestellt. Dann kamen aber auch Polyester und Nylon auf den Markt, die einfach leichter herzustellen sind, deshalb ist es vom Markt so gut wie verschwunden. Durch den damaligen Einsatz von Formaldehyd ist es heute nicht mehr zeitgemäß – und auch aufgrund der Tatsache, dass Milch oft mit einem Lebensmittel verbunden wird. Wir haben das Konzept neu entwickelt. In unserer heutigen Konsumgesellschaft wird so viel Milch entsorgt. Allein in Deutschland sind es über zwei Millionen Tonnen jährlich und das ist ein weltweites Problem.“
Wie ging es dann weiter? Haben Sie ein Labor angemietet oder erst eine Experimentierküche eingerichtet und sich an der Verarbeitung versucht? Wie kann man sich die ersten Schritte vorstellen?
„Wir waren ein Team von fünf Frauen, weil ich zu der Zeit ja bereits mit meinem Modelabel unternehmerisch tätig war. Aber niemand glaubte an die Idee und anders als viele vermuten, sind wir auch keine Uniausgründung. Wir sind einfach an einem Freitagabend in den Supermarkt gefahren, und haben für 200 Euro ein Marmeladenthermometer und Kochplatten gekauft und angefangen am Wochenende Rezepturen zusammenzuführen. Bis es dann geklappt hat, eine wasserfeste Faser zu erhalten, die sich nicht in Wasser auflöst.“
Wie lange brauchten Sie, um die Formel für diese Faser zu finden?
„Bis wir eine wasserfeste Faser hatten, sicher ein dreiviertel Jahr. Aber die gesamte Entwicklung ging dann über viele Jahre. Erst hatten wir an der Uni Bremen eine kleine Spinnanlage, die wir für uns umgebaut und immer weiter angepasst haben, das ging über zwei Jahre. Im Jahr 2013 wussten wir dann wie unsere Spinnanlage im Großmaßstab aussehen sollte, da haben wir begonnen mit Firmen zusammenzuarbeiten, die für uns Maschinenteile entwickelt haben. Erst 2015 hatten wir endlich einen Prozess, der dann auch großtechnisch funktioniert hatte.“
Was ist die Schwierigkeit, wenn die Faser nicht chemisch behandelt wird und wie ist es Ihnen gelungen, diesen Prozess zu ersetzen?
„Eine Faser herzustellen, ist so ziemlich das Schwierigste, was man sich vornehmen kann – das weiß ich heute. Sie ist ja feiner als ein Haar, muss dennoch bei 60 Grad waschbar sein und wird täglich beansprucht. Nichtsdestotrotz war unser Anspruch, dass es so natürlich sein muss, dass man die Faser essen kann. Das geschieht mit 100 Prozent natürlichen Rohstoffen, da sich die Moleküle zu einem neuem Material verbinden.“
Verwendet wird dafür Milch, die sonst nicht mehr zu verarbeiten ist und weggeschüttet würde, richtig? Wie entsteht dieser unglaubliche Milchüberschuss?
„Wir distanzieren uns deutlich vom Milchüberschuss, da diese Milch noch als Lebensmittel verwertet werden könnte. Wir nutzen wirklich die Milch, die laut Gesetz nicht in den Handel darf. Das kann unter anderem die Kolostralmilch sein, wenn die Kuh gerade gekalbt hat. Aber auch Fehlchargen in der Molkerei oder Produkte, die abgelaufen sind.“
Ein eigenes Unternehmen hochzuziehen ist nie einfach – welches Vorwissen hat Ihnen bei der Gründung von QMilk besonders geholfen?
„Das Vorwissen von meinem Modelabel. Da hatte ich ja bereits zehn Jahre Gründungserfahrung und manche Fehler bemüht man sich dann auch nur ein Mal zu machen.“
Sie haben sich durch Investorengelder finanziert – war es schwer, Investoren von der Idee zu überzeugen oder haben diese die Idee schnell verstanden und den Markt dafür gleich gesehen?
„Grundsätzlich hatten wir ein offenes Ohr von Investoren, aber wie so oft muss es bei den Partnern auch zusammenpassen. Wir haben uns lange Zeit gelassen, die richtigen Partner zu finden und hatten damals unser Vorhaben erst einmal mit Gründungswettbewerben finanziert.“
Es ist nicht bei Kleidung aus Milchfasern geblieben, sondern Sie verkaufen auch Kosmetik und Hundeknochen – was hat es damit auf sich? Und wie groß ist der Markt dafür?
„Wir sind mittlerweile die Experten für den Einsatz von Milchproteinen und deren außergewöhnlichen Eigenschaften zu nutzen geworden. Bei der Kosmetik sind es die natürlichen Aminosäuren, aus denen das Milchprotein besteht und die den Elastin und Kollagenaufbau der Haut unterstützen. Wir haben viele Kunden mit sensibler Haut und Hautproblemen, bei denen die Creme unterstützend wirkt. Bei den Hundeknochen sind es die dentalen Eigenschaften der Milchproteine, mit dem Mundgeruch gestoppt und Zahnstein reduziert wird. Wir verkaufen die Hundeknochen mittlerweile in über 30 Länder – von Amerika bis Korea, weil die Wirkung einzigartig ist und es ein sehr großes Problem ist. Jeder dritte Hund leidet unter Zahnstein.“
Wie sieht die Zukunftsvision für QMilk aus? Gibt es das eine große Ziel?
„Ich träume einmal ein ganzes Haus aus Qmilk zu bewohnen! Das wäre möglich, weil das Material so universell einsetzbar ist. Aber aktuell konzentrieren wir uns darauf das Unternehmen zu festigen.“
Alle Artikelbilder: Qmilk
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