Foto: Anna Luz de Leon

Anna Luz de Leon: „Mama blogg das ja nicht!“

Anna bloggt auf „BerlinMitteMom”. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie sich das Schreiben auf sie persönlich, aber auch auf die Familie auswirkt.

 

„Meine Erziehungspersönlichkeit profitiert vom Bloggen“

Manchmal haben ihre Kinder keine Lust, auf ihrem Blog aufzutauchen. Aber in der Regel ist es ihnen egal, wenn Mama bloggt. Denn das ist eben ihr Beruf. Für Anna Luz de Leon ist das Schreiben zu einer Leidenschaft geworden, die ihr hilft, sich selbst und ihren Alltag zu reflektieren, mit der sie sich ein Netzwerk aufbaute und jeden Tag viele andere Mütter erreicht. Ein Gespräch über das Leben als Mama-Bloggerin.

Anna, wann hast du mit dem Bloggen begonnen und was war die Initialzündung dafür?

„Ich habe mein Blog im April 2012 aufgesetzt, zunächst mehr als Selbstversuch. Ich arbeitete zu dieser Zeit gerade an einem Kinderroman und meine drei Kinder, damals neun, fünf und drei Jahre alt, unterbrachen mich permanent und unbeirrbar beim Schreiben. Während ich meine Figuren entwarf beispielsweise, musste ich zig mal unterbrechen und Wunden bepusten, Popos abwischen, Kaugummi aus Haaren frickeln und Hausaufgaben kontrollieren. In meinem Frust über diesen Umstand setzte ich eine zynische Statusmeldung nach der anderen in meiner Facebook-Chronik ab und bemerkte schnell das positive Echo: alle mochten, was ich schrieb, amüsierten sich, erkannten sich wieder und ermutigten mich, mehr davon zu produzieren. Irgendwann wurden die Texte länger und länger und mein Mann sagte schließlich: ‚Du brauchst ein Blog!’ Was also eigentlich ein Abfallprodukt meines eigentlichen Schreibprozesses und ein Ventil für meinen Frust über die Unterbrechungen war, wurde schnell zum Selbstläufer. Da es damals noch nicht so viele Elternblogs in Deutschland gab, schossen meine Zahlen sehr schnell in die Höhe und meine Stammleserinnenschaft wuchs und wuchs. Das ist bis heute so.“

Welche Themen finden auf deinem Blog statt?

„Ich schreibe schon viel über sehr typische Elternthemen. Da geht es um Erziehung beziehungsweise die Grundhaltung im Umgang mit Kindern, aber auch um Alltagstipps und die kleinen Stolperfallen im täglichen Zusammenleben als Familie. Ansonsten gebe ich auch regelmäßig Kinderbuchtipps und teile besonders gelungene oder unkomplizierte Rezepte, die sich auch für Kinder eignen. Sehr gerne gelesen werden auch meine Alltagsanekdoten und Dialoge mit meinen Kindern – offenbar finden sich viele wieder, wenn ich verzweifelt-komische Texte schreibe. Aber auch meine Texte über den Umgang mit Tod, Verlust und Abschied werden viel gelesen und oft geteilt. Ich würde sagen, dass es mir relativ oft gelingt, meine Leserinnen zu berühren. Das liegt wohl auch daran, dass mein Schreiben eng mit mir als Person verknüpft ist und ich sehr persönlich werde.“

Was liegt dir dabei besonders am Herzen?

„Meine Herzensthemen liegen sicherlich als Subtext unter allem und brechen sich mit bestimmten Schwerpunkten immer wieder Bahn: Kinder sind in meinen Augen die wichtigsten Menschen, ihre Lebenswelten sind deshalb besonders bedeutsam. Dazu gehört, wie sie aufwachsen, was ihr Status in unserer Gesellschaft ist und wie es denen geht, die für sie das Zentrum ihrer Welt bilden – den Familien. Eng verknüpft damit ist natürlich der Status der Mütter und das gesellschaftlich sanktionierte Mutterbild, das uns als Mütter alle in Geiselhaft nimmt. In meiner Reihe mit Mütterinterviews versuche ich, viele Stimmen hörbar zu machen, die von vielen verschiedenen Entwürfen von Mutterschaft und Familie erzählen. Dabei ist es mir wichtig, alle Entwürfe gleichwertig nebeneinander zu stellen und damit bestimmte Klischees über Mutterschaft und auch Familie zu entkräften. Ich weiß nicht, ob mir das gelingt, aber ja, das liegt mir sehr am Herzen.“

Du erzählst oftmals auch ganz persönliche Geschichten. Fühlt es sich manchmal komisch an, dass alles mit einer Öffentlichkeit zu teilen?

„Es ist mir ganz wichtig, dass es zwischen der virtuellen Persönlichkeit und mir als Privatperson keine fundamentalen Unterschiede gibt: ich bin ich, im virtuellen (Blogger) Dasein wie im Real Life. Das heißt nicht, dass ich alles über mich erzähle. Aber das, worüber ich schreibe, ist authentisch. Da gibt es nichts Erfundenes und kein so-tun-als-ob. Daher ist es nur logisch für mich, persönliche Texte auf meinem Blog zu veröffentlichen. Schreiben, auch das Schreiben auf meinem Blog, ist für mich die wichtigste Art mich auszudrücken, und seitdem ich gemerkt habe, wie sehr ich gerade mit den persönlichen und auch manchmal etwas schwereren Texten andere berühren und bewegen kann, ist es mir ein Anliegen, das auch zu tun. Ich bekomme oft Emails und Nachrichten von Leserinnen, die ich gar nicht kenne, die mir aber berichten, dass beispielsweise meine Texte über das Sterben und den Tod meiner Mutter ihnen in einer vergleichbaren Situation sehr geholfen haben. Meine Leserinnen finden sich darin wieder und manchmal gelingt es mir, etwas in Worte zu fassen, was jemand anderes zwar fühlt, aber nicht ausdrücken kann. An der Stelle werden meine Texte zur Begegnung und öffnen manchmal sogar Türen. Fühlt sich das auch mal seltsam an? Ja, das tut es. Aber nur insofern, als dass man sich beim Bloggen nicht immer klar macht, WIE VIELE Menschen das tatsächlich lesen. Inhaltlich finde ich das nicht so schwierig. Es gibt nichts auf meinem Blog, das ich nicht auch als Privatperson offen kommunizieren könnte.“

Du hast drei Kinder. Wie bekommst du Familienleben und bloggen unter einen Hut?

„Tja, die berühmte Life-Blog-Balance. Es gibt sie nicht! Das soll jetzt nicht heißen, dass ich alles, was ich mit meinen Kindern tue gleich auf Blogtauglichkeit hin überprüfe oder jeden ausgefallenen Zahn mit der Welt teile. Aber das Bloggen, wie das Schreiben generell, gehört zu mir, zu meinem Leben und damit auch zu dem meiner Familie. Meine Kinder wissen, dass ich blogge, die beiden größeren lesen auch in Auszügen mein Blog und sie kennen es nicht anders, als dass ich abends am Laptop sitze oder regelmäßig Fotos mache. Wenn ich einen anderen Beruf hätte, dann wäre ihnen eben der geläufig. So geben sie mir höchstens manchmal dezente Hinweise, wenn ich mich nicht an Familienregeln halte: „Mama, no mobiles at the table!“ oder „Verblogg das ja nicht, Mama!“ Leben ist Schreiben ist Bloggen ist Leben. So ist das hier.“

Schreiben hat ja auch immer etwas Ordnendes. Hast du Situationen oder Themen in deinem Alltag schon einmal anders gehandhabt, weil du dich vorher damit schriftlich auseinandergesetzt hast?

„Auf jeden Fall. Bei Erziehungsthemen, die sich ja immer wieder neu stellen, ist das sicherlich so. Wenn ich beispielsweise für eine Kooperation über den Umgang mit Bildschirmzeit für Kinder schreiben muss, muss ich ja meinen eigenen Umgang damit zumindest mal grob skizzieren können. Da profitiert dann meine Erziehungspersönlichkeit von der Bloggerin. Aber auch in anderen Situationen hilft das Schreiben mir: ich verarbeite schreibend Dinge besser und suche mir diverse Formate, die mir dabei helfen. Nach dem Tod meiner Mutter habe ich beispielsweise einen Brief an sie geschrieben, auch wenn ich wusste, dass sie ihn nicht lesen wird. Der Brief hat mir geholfen, mich zu sortieren und mit bestimmten Dingen im Trauerprozess anders umzugehen. Davon haben sicherlich auch meine Kinder profitiert. Ansonsten bin ich ein großer Fan von Listen zum Ordnen von Gedanken, Plänen, Projekten und To-Do’s -auch wenn ich sie nicht immer abarbeite.“

Ich habe das Gefühl, es gibt eine starke Gemeinschaft unter bloggenden Müttern im Netz. Ist das so und wie sind deine Erfahrungen damit?

„Das ist eine noch recht neue Entwicklung aber ja, es gibt Netzwerke und viele Verbindungen zwischen den Mütterblogs. Als ich 2012 anfing, gab es noch eher wenige klassische Elternblogs, die meisten hatten schon gebloggt, bevor sie Kinder hatten und erst danach ihre Themen dahingehend verändert. Gleichzeitig mit mir fingen eine Reihe anderer Mütterbloggerinnen an, auf ihren Blogs zu veröffentlichen und sehr schnell bildeten sich in den Sozialen Netzwerken die ersten Kontakte. Auch dadurch, dass Unternehmen und Agenturen ungefähr in dieser Zeit anfingen, Mütterblogs als potentielle Kooperationspartner wahrzunehmen, traf man sich auf Events und wurde zu denselben Veranstaltungen eingeladen. Ich würde sagen, dass ich die Kolleginnen aus dieser Phase gut kenne, einige sehr gut und mit einigen wenigen bin ich eng verbunden. Seitdem ist das Genre aber explodiert und es ist schier unmöglich, den Überblick zu behalten. Die Netzwerke sind noch jung, einige sind stabil, andere eher nicht. Ich glaube, das liegt auch an den unterschiedlichen Herangehensweisen beim Bloggen. Es gibt keine Einigkeit darüber, welche Themen okay sind und welche nicht, ob man Kinderfotos zeigt oder nicht, ob man sich mit gesellschaftspolitischen Themen befasst oder nicht und ob die Frage nach dem richtigen Babybreirezept denn gesellschaftlich relevant ist oder nicht. Manche wollen mit ihren Blogs Geld verdienen, manche nicht. Auch da sind dann innerhalb eines Netzwerks natürliche Grenzen erreicht. Ich glaube, da entwickelt sich gerade noch sehr viel, aber ich halte die Szene für einflussreich und wichtig – gerade wegen der Stimmenvielfalt.“

Welche Tipps hast du, um dir im trubeligen Alltag Inseln für dich selbst zu schaffen?

„Atmen. Das ist der Überlebenstipp, wenn sich alles mal wieder zu schnell dreht. Ansonsten habe ich gelernt, locker zu lassen. Mit Kindern kann man nur bedingt verbindlich planen, weil es dir nämlich keins vorher ansagt, wenn es auf der Autofahrt von X nach Y plötzlich brechen muss und du deshalb den Termin nicht schaffst. Es hilft nicht, mit Kindern hektisch zu werden, es hilft nur, sich in Gelassenheit zu üben und zu versuchen, sich klar zu machen, dass Stress einen nicht weiterbringt und die Kinder im Zweifel dadurch nur noch mehr aufdrehen. Lockerlassen is the thing. Außerdem versuche ich, mit mir selbst gnädig zu sein. Wenn ich beispielsweise etwas nicht mehr schaffe, was ich abends noch machen müsste/wollte, nachdem die Kinder im Bett sind, weil ich einfach zu platt bin, dann hilft es mir nicht, mich aufzuregen oder mich in einem Versagerinnengefühl zu suhlen. Lieber Beine hoch, Wein auf und eine Folge Good Wife schauen. Dafür dann am nächsten Tag früher aufstehen oder loslegen oder was auch immer. Ansonsten gehört meine Walkingrunde mit einer Freundin im nahen Park zu meinen Morgenritualen, die ich genieße, ebenso wie mein unregelmäßiges Lunchdate mit zwei meiner ebenfalls im Home Office arbeitenden Freundinnen. Eine Stunde nur ich selbst sein und mit Erwachsenen reden!“

Was ist denn das Beste am Mamadasein?

„Das Beste ist, dass ich drei kleine, selbstgemachte Menschen dabei begleiten darf, ihre Wege zu finden, um die zu sein, die sie sein sollen. Es ist nämlich mitnichten so, als wären Kinder leere Blätter, die wir Eltern beschreiben können, wie wir wollen. Sie sind vom ersten Tag an eigene kleine Persönlichkeiten, die sich immer weiter und genauer ausbilden. Ich darf sie in die Welt bringen und sie in ihren prägenden Jahren begleiten, ich darf sie lieben und beschützen, solange sie mich brauchen. Und wenn ich Glück habe und dann noch da bin, darf ich sehen, wie sie als erwachsene Menschen werden, welche Wege sie wählen und was sie aus ihren Leben machen werden. Das ist das größte Geschenk, das ich mir für mich in meinem Leben vorstellen kann.“

 

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