Für Hanna war Autofahren lange Zeit der Horror. Dank eines Urlaubs in Portugal kann sie nun ohne Probleme rückwärts einparken und feiert endlich den späten Triumph über ihren sexistischen Fahrlehrer.
Autofahren war für mich immer die Hölle
Zur Zeit bin ich in Portugal und fahre dort Auto. Das ist sehr aufregend für mich. Autofahren zu lernen bedeutete für mich das erste Mal in meinem Leben, völlig unglamourös zu scheitern. Ich habe lange überlegt, ob ich auf L’Antitude, meinem Blog für formschöne Verweigerung das Autofahren abfeiern kann, wo doch Autofahren so ungefähr das Unverweigerndste und Heteronormativste ist, was man als Deutsche tun kann. Aber für mich ist die Geschichte des Autofahrens eine Geschichte des Scheiterns und des anschließenden Aufstandes, und deswegen gehört sie dann doch dorthin.
Unglamourös gescheitert
Ich hatte über siebzig Fahrstunden und bin zwei Mal durch die praktische Führerscheinprüfung gefallen. Das dritte Mal habe ich nur bestanden, weil ich dem Prüfer leid tat, weil ich so sehr geheult habe und schon zwei Mal durchgefallen war. „Das war aber eine Vier minus minus minus, Fräulein“, hat er gesagt.
Ich bin ziemlich furchtlos damit, Risiken einzugehen, wenn es nur mich selber betrifft. Beim Autofahren aber hatte ich ständig Angst, etwas Wichtiges zu übersehen und dann eine Omi, ein Kind oder einen Hund zu überfahren. Mein Fahrlehrer hatte dafür kein Verständnis, er drückte einfach von seinem Spezial-Fahrlehrerbeifahrersitz aufs Gaspedal, wenn ich zu langsam fuhr. Dann heulte ich, wir mussten an den Rand fahren, und er sagte: „Mensch Mädel, mach doch einfach die nächste Stunde weniger Wimperntusche drauf, wenn du flennst, siehst du aus wie ein Pandabär.“ (Ich hatte damals schwarzgefärbte Haare, Smokey Eyes und war sehr blass.)
Ein Fahrlehrer wie aus dem Sexismus-Lehrbuch
Ich habe auch immer sehr ruckelig geschaltet, weil ich vor Angst so verkrampft war, auch in den Armen. Da hatte mein Fahrlehrer Angst um seine Gangschaltung und sagte: „Wenn du deinen Freund auch so anfasst, tut der mir leid.“ Ich kann bis heute keine Gangschaltung benutzen, ohne an meinen Fahrlehrer und diesen Satz zu denken. Was denken diese Menschen, was sie sagen dürfen zu 17-jährigen Mädchen? Ich bin erst halbwegs damit versöhnt, seit mal jemand zu mir meinte: „Richtig übel wäre doch, du würdest bei jedem Mann, den du anfasst, an deinen Fahrlehrer denken.“ Es stimmt: Es hätte schlimmer kommen können. Aber Autofahren war für mich immer alles, was an Männergehabe und Männersprüchen einfach total schlimm war.
„Ich fahre Auto ungefähr so wie ich singe: nicht schön, aber laut.”
Ich bin dann trotzdem Auto gefahren, ein Jahr sehr regelmäßig und zwei Jahre halbwegs regelmäßig, in den Semesterferien, in ungefähr so, wie ich singe: nicht schön, aber laut. Wenn ich mit Jungen Auto gefahren bin, mit denen ich ausging, habe ich ihre Nervenstärke getestet, indem ich erzählt habe, dass ich mich beim Autofahren immer fühle wie Toad, der kleine Pilz aus Super Mario Kart, der zwar nicht so stark ist wie der Bowser, aber durch Rumschlingern oft als erster ins Ziel kommt. Wenn sie blass um die Nase wurden, waren sie raus aus der Nummer.
Später habe ich als Praktikantin der wunderbaren Financial Times Deutschland zwei Autotests gemacht. Sowas durften Praktikanten netterweise immer machen, Pressereisen wie Autotests, als Ausgleich dafür, dass unser Praktikantengehalt so niedrig war. Die Financial Times Deutschland war eine durchaus sozialistische Angelegenheit. Nur meine Freunde waren entsetzt, sie sagten: „Das ist doch eine seriöse Zeitung, wie können die DICH Autos testen lassen?“ Die Rubrik hieß „Rückwärts einparken“, und ich habe darüber geschrieben, wie gut dieses Auto geeignet ist für Menschen, die nicht rückwärts einparken können. Dann bin ich neun Jahre gar nicht gefahren und dann erst wieder vor zwei Jahren in Portugal. Das war noch eher existenziell als aufregend, und ich war froh, als ich so weit war, dass ich halbwegs entspannt zum Strand fahren konnte.
Die Autorin mit lässig-raushängendem Arm in ihrem neuen Lieblingsgefährt. Quelle: privat
Der späte Triumph über meinen Fahrlehrer
Jetzt bin ich wieder da und habe wieder ein Auto gemietet, und dieses Mal ist alles anders. Es ist immer noch sehr aufregend, vor allem, da es hier an der Südwestalgarve so viele Steigungen gibt. Mir kommt es jedes Mal wie ein kleines Wunder vor, dass das Auto nicht nach hinten wegrollt, wenn ich eine Steigung hochfahre. Das beste aber ist, dass die Straßen so wenig befahren sind, dass ich nicht das Gefühl habe, dass ständig jemand zuguckt oder von mir zu überfahren werden droht. Unter diesen günstigen Bedingungen bin ich in den letzten Tagen sehr mutig geworden: Ich tanke, fahre enge Serpentinen entlang und am Hang an, und vor allem parke ich rückwärts ein (parallel und im Parkhaus um die Ecke). Das ist so derart aufregend, dass ich ständig Fotos mache und an alle Leute schicke, die ich kenne. Es ist oft sehr eng hier, wenn man wendet und dreht, und dann höre ich aus dem Off: „Wer im Stand lenkt, wird gehängt“, denke „Muahahahaa“ und mache es trotzdem. Nach all den Jahren erlebe ich gerade den Triumph über meinen Fahrlehrer.
Aus diesem Triumphgefühl heraus verstehe ich auch zunehmend die Faszination, die Autofahren auf so viele Menschen ausübt. Ich will überhaupt nicht mehr mit Begleitung fahren, die quatschen bloß, vor allem Weiber, und ich will allein sein mit mir und der Straße. Musikhörend genieße ich die Einsamkeit, die ich sonst nur aus Filmen und Erzählungen kenne. Ich habe das Gefühl, ich habe Männer (außer Fahrlehrer) noch nie so verstanden wie jetzt, wo ich alleine Auto fahre. Und wenn ich das „Solitary Man“-Album von Johnny Cash höre, und hintereinander kommt „One“, und er singt über immer wiederkehrende Verletzungen, und dann „Nobody“, und er singt darüber, wie niemand ihn davon abhält, zu zündeln, weil niemand sich um ihn kümmert, und dann „I see a darkness “, wie er hofft, dass seine Kumpels und er endlich zur Ruhe kommen und mit dem Rumhuren aufhören können; und wenn man diese drei Songs drei Mal hintereinander hört, während man im Sonnenuntergang eine menschenleere portugiesische Landstraße langfährt, dann schwöre ich, kriegt man eine ganz tiefe Stimme beim Mitsingen und sieht im Spiegel die Bartstoppeln wachsen, und dann greift man zur Gangschaltung und schaltet einen Gang höher.
Dieser Beitrag ist bereits auf Hannas Blog L’Antitude erschienen. Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht.
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