Unsere Autorin ist Mutter – und wollte es nie sein. Denn das Wort „Mutter“ lässt keinen Platz zwischen all den Zuschreibungen und Idealen. Können wir „Mutter“ befreien?
Mutter. Ich denke an raue Hände und einen mahnenden Finger. An Aufessen und genug Obst essen. Gerade Sitzen. Und Füße nicht nach innen setzen. Ich denke, dass ich mich nicht so anstellen, nicht schreien, nicht lachen, nicht singen soll. Dass ich still sein soll. Ich denke an Ordnung. Reinlichkeit. Hygiene. Und an Kontrollen. Die Hausaufgaben kontrollieren, den Tornister kontrollieren. Unter Kontrolle haben, was man Anderen sagt. Ich denke an Drohungen. Dann geht es sofort ab ins Bett! Ich denke an Aufsicht. Härte.
Ich denke an meine Mutter. Die im Dunkeln im Wohnzimmer liegt. Die Tür ist auf, aber sie will nicht, dass ich reinkomme. Sie ist erschöpft. Weil sie ihre Regeln nicht nur aufstellt, sondern auch einhält. Weil sie ein Leben lebt, in dem nichts so geht, wie man es gerade möchte. Ein Leben in Sorge, in dem nichts leicht ist, aber das Bett immer gemacht. Kein Tropfen Wasser an der Duschwand. Die Laken Ende auf Ende im Schrank. Aber am Ende wieder nichts erlebt.
Ich denke an den Kontrast, das alte Mutter-Stereotyp in Werbung, Film und Fernsehen. Die Frau, die in einer Küche steht, so hell wie ihr Haar. Kinder rennen um sie herum. Es ist laut, aber sie lacht. Sie beugt sich runter. Oh, hast du dir wehgetan? Sie pustet. Streichelt. Strahlt. Hat unendlich viel Zeit. Die Kinder schmiegen sich an ihren Oberkörper. Sie ist aus Geborgenheit gemacht. Kinder sind ihre Erfüllung. Ihr Ein und Alles. Aber auch sie erlebt nichts.
Aber auch sie erlebt nichts.
Julia Friese
Die Kinder, die Katze, der Vater, der Hund, sie brechen auf. Verlassen die heile Welt der Mutter durch die Tür. Und die Mutter winkt. Sie ist kein Mensch. Sie ist der Ursprung. Das Zuhause. Weich. Sie ist die Verkörperung aller vermeintlich positiven Eigenschaften, die der Geschlechterrolle „Frau“ zugeschrieben werden.
Raus aus dem Rennen
Muttersein. Formal ist das keine Arbeit. Denn Kinder sind ein Segen. Und wenn die Gesegnete arbeitet, ist das immer besonders. Die einen finden es besonders gut, die anderen besonders schlecht. Eine Mutter ist nicht zuletzt davon immer besonders müde. Einmal im Jahr gibt es Blumen. Danke, dass du die Ressource bist, durch die unsere Gesellschaft wächst. Man ehrt sie, heißt es. Eigentlich aber blickt man auf sie herab. Ich blicke auf sie herab. Nicht willentlich. Es ist ein Gedanke, gegen den ich kämpfe. Er ist falsch, aber installiert. Wann immer eine Frau Mutter wird, kommt er: Die ist Mutter. Die ist vorbei. Raus aus dem Rennen.
Denn „Mutter“, das ist wie Ruhestand. Nur ohne Ruhe. Stillstand. Mutter werden ist das Ende von Sex, aber nicht sexy. Mutter werden ist nicht cool. Auch unter Feministinnen nicht. Sicher treten wir dafür ein, dass Frauen alles werden können, alles sein dürfen. Aber heterosexuelle Cis-Mutter eines biologischen Kindes, die dann eventuell auch noch mit dem Vater zusammenlebt? Kannst du schon machen, aber cool ist das nicht. Und Vorsicht: Falle! Es ist, was der Staat von dir will. 50/50? Also die Idee ist gut, aber unsere Gesellschaft? Nicht flächendeckend bereit. Mutter werden, das ist so unrebellisch. Einfallslos.
Wie als Mutter gewordene Journalistin über das Muttersein schreiben. Wen soll das interessieren? Andere Mütter. Kein Mann wird das je lesen. Also: irrelevant. Mutter, das ist so 08/15. Jeder hat doch eine Mutter. „Drei Mal nem Baby den Po abgewischt, schon machste nen Blog auf“, sagt eine Kollegin, kinderlos, umgeben von anderen Kinderlosen. Und alle lachen. Muttersein ist kein Fachgebiet. Mutter kann Jede werden. Oder?
Ich korrigiere: Ich habe ein Baby
Seit ein paar Monaten habe ich ein Kind. Wenn Menschen zu mir sagen, du bist Mutter, korrigiere ich: Ich habe ein Baby. Mutter. Ich finde mich in diesem Wort nicht wieder. Mother Trouble. Den Körper haben wir vom Geschlecht entkoppelt, kann man nicht auch Menschen, die Kinder haben, von Vater und Mutter loskoppeln? Non-binary. Ich mag diese Mutterrolle, die in meinem Kopf lebt, nicht. Ich bin nicht wie meine Mutter. Ich will auch nicht werden wie sie.
Ich will überhaupt nicht werden. Ich bin. Und nicht streng. Nicht ordentlich. Nicht sauber. Nicht still. Ich habe keinen Haushalt. Mein Haus hält mich gerade so aus. Über meinen Fußboden fliegt Staub zu kleinen Mäusen zusammen. Sehe ich sie, nehme ich sie auf die Hand, spreche mit ihnen und wenn ich vor dem Mülleimer stehe, tut es mir schon leid sie wegzuwerfen.
Ich bin ein großes Kind, ich habe ein kleines Kind. Ich wollte das, aber Mutter werden wollte ich nie. Und erst recht nicht darüber schreiben. Jetzt, glaube ich, ist das Darüberschreiben die einzige Waffe, mich gegen diesen Mutterbegriff zu wehren. Ich will die Zuschreibungen loswerden.
Ich bin ein großes Kind, ich habe ein kleines Kind. Ich wollte das, aber Mutter werden wollte ich nie.
Julia Friese
Das Außen, das in mir echot:
Die ist raus.
Jetzt nicht mehr belastbar.
So ängstlich wie sie ist, so streng wird sie werden.
Die hat jetzt den Biss verloren.
Ihre Beziehung wird leiden.
Sie wird auch ihn bemuttern.
Mütter nehmen Vätern das Kind weg.
Sie meinen, sie sind das Beste für ihr Kind.
Sie sind überfordert.
Da kommt die stolze Mutter.
Zerrissen zwischen Job und Kind.
Sie ist im Mutterglück.
Sie strahlt.
Sie redet nur noch über ihr Kind.
Sex, Gewalt und intellektuellen Diskurs – all das will sie nicht.
Sie will Bilder von kleinen Kindern sehen.
Man schickt sie mir auf das Handy. Fremde Kinder. Ich soll mich zu ihnen verhalten. Süß, soll ich sagen. Was ich sagen will ist: Kenn ich nicht. Interessiert mich deswegen leider auch nicht. Ich habe ein Kind, das heißt doch nicht, dass ich mich jetzt für alle Kinder dieser Welt interessiere. Ich habe auch einen Partner. Interessiere ich mich deswegen für alle anderen Partner*innen? Ich bin immer noch ich.
Ist „Mutter“ noch zu retten?
Mutter. Ich habe das Gefühl mich wehren zu müssen. Gegen alle anderen. Mütter. Gegen die, die glauben „Mutter“ sei eine Kollektiv- und keine Schnittmengenerfahrung. Ich habe das Gefühl vereinnahmt zu werden, von einer Idee, die in mir lebt, aber doch nichts mit mir zu tun hat. Ich will nicht, dass Menschen sagen, ich sei eine „working Mum“ oder eine „coole Mutter“. Das ist wie „starke Frau“. All diese Adjektive bezeichnen nur vermeintliche Mängel des Nomens. Sie sollen aufwerten, was abwertend verstanden wird. Sie sind Beleidigungen.
Ich will nicht, dass andere Menschen überhaupt Mutter zu mir sagen. Sie sagen ja auch nicht Schwester zu mir. Obwohl ich eine bin. Du bist Mutter! Plötzlich sind alle um mich herum Souffleusen, und ich spiele vor ihnen eine Rolle. Mache ich es richtig? Das kommt darauf an, wer mir zuguckt. Aber jede*r hat eine Idee von meinem nächsten Schritt. Wie kann das sein, dass ich mit einer Geburt Annahmen über mich geboren habe, die mit mir als Person überhaupt nichts zu tun haben? Ich will das nicht. Und ich will nicht in vorauseilendem Ungehorsam gezwungen werden, also gegen all diese sich zum Teil auch widersprechenden Annahmen kämpfen müssen, obwohl ich einer vielleicht doch gefolgt wäre. Ich will mich auch nicht heimlich loben für alles, was bei mir anders ist, als es mir zugeschrieben wird. Das ist unangenehm. Beladen. Belastet.
Ist „Mutter“ noch zu retten? Ich wäre gerne Mutter, wenn Mutter nur bezeichnen würde, dass man ein Kind hat. Nicht mehr. Ich wäre gerne Mutter, wenn es ein Wort wäre, das man mit sich selber füllen kann. Wie Schwester. Wie Freundin. Julia. Ich wäre gerne Mutter, wenn ich alles, was ich fordere, auch selbst verinnerlichen könnte.