Wie eine Subkultur von männlichen Sexsymbolen plötzlich verschwand
Und wie wir sie an einem Nachmittag wieder zum Leben erweckten.
Der Geburtstag meiner Freundin und das Comeback Geschenk
Sonntag, der 31. Geburtstag meiner Freundin. Eingeladen sind ein paar Freundinnen zum gemütlichen Kaffeetrinken bei ihr zuhause.
Später bei der Geschenkübergabe wird sie von einer ihrer Freundinnen mit einen Song überrascht, der mir bekannt vorkommt und in mir sofort nostalgische Erinnerungen an meine Kindheit hervorruft. Nein, es ist weder Scooter noch DJ Bobo, sondern irgendeine Boyband. „Looove is eeeverywheere, for you I sweaar…“ ertönt aus ihrem Handy und sofort folgt die Reaktion – schallendes Gelächter. Meine Freundin flippt förmlich aus.
Das Geschenk: 2 Tickets für das Comeback Konzert von Caught in the Act, schon damals liebevoll „Kotz in die Eck“ genannt, die Boyband, die als Nachzügler auf den Teenie Musikmarkt geworfen wurde. Die Musik ist eingängig, doch ein bisschen glatter und retortenhafter als die der Backstreet Boys , N’Sync und co. Darüber hinaus sind sie leider auch ein bisschen weniger attraktiv als die Backstreetboys und ihre Musikvideos, die wir uns nun an ihrem Laptop anschauen, sind auch eine Portion billiger gemacht als die der Backstreetboys.
Erinnerungen an damals werden wach
Den Spott im Anschluss muss meine Freundin dann leider über sich ergehen lassen, denn sie war nicht nur einmal bei einem CITA Konzert, sondern ganze 6 (!!) Mal. Das kann man definitiv nicht mehr als kurzzeitige Geschmacksverirrung verbuchen, sondern zählt als eindeutiges Fandom. Zur allgemeinen Erheiterung löst das Geschenk nun eine genauere Analyse der Musikvideos auf Youtube aus. So sitzen 5 gackernde Mädels um einen Laptop und kriegten sich mehr ein vor Lachen. Es ist fast so wie damals, nur dass man da mit seinen Freundinnen noch das Album vom CD Player abspielte und über Fotos in der Bravo schmachtete, wo es darum ging wer nun der hottest Boy der Band ist: “Die Leserinnen haben gewählt…”.
Dabei gab es immer den bunten Stereotypen-Mix, der in keiner Boyband fehlen durfte: Bei den Backstreetboys waren es der süße Schwarm aka Nick oder Brian, der armer Verlierer (Howie), der als am wenigsten hot eingestuft wurde und der Bad Boy (AJ) oder auch Robbie Williams von Take That, die beide ein Drogenproblem hatten.
Musikvideoanalyse: Sex, Öl und Boyband Sound
Was da also vor unseren Augen abläuft ist ein animierter Pin-up Kalender für Frauen. Nackte Oberkörper, Babyöl, nasse Haare, laszive Hüftbewegungen. Wenn Textil, dann auch noch bauchfrei. Damals mit 13 hatte man wohl noch keinen gay-radar, sonst hätte wohl gleich gewusst, dass man sie als zukünftige Traumprinzen leider vergessen kann. Von oben schauert es nun gleichmäßigen Regen. Die 4 Jungs scheinen in einer Waschanlage zu tanzen, oder oben steht jemand mit Gartenschlauch, wichtig ist die Handbewegung durch die kinnlangen nassen Haare, die auf der muskulösen Brust endet. Dieser Move wird nun etliche Male reingeschnitten und wiederholt.
Der ruhige Sonntagnachmittags Plausch entwickelt sich also plötzlich in eine feuchtfröhliche Richtung, wären wir nicht alle verkatert gewesen, hätte man das sicher noch tänzerisch ausweiten können.
Ein paar Fragen bleiben offen
Auf der Rückfahrt von Hamburg nach Berlin sinnierte ich darüber, wann eigentlich diese doch recht emanzipierte Umkehrung der Rolle des Mannes in die des Objekts vor der Kamera stattgefunden hat und wodurch sie ausgelöst wurde. Welch war die erste Boyband? Ah ja, New Kids on the Block, eine Band für die ich als 85 Jahrgang zu jung bin, meine 80er Jahrgangs Freundinnen aber noch vergöttern. Daran merkt man am Tisch dann auch, mit welchem Semester man es zu tun hat. Bei mir fing es eigentlich erst mit den Backstreetboys an.
Dann frage mich auch warum es Anfang der 2000er plötzlich nicht mehr cool war auf Boybands zu stehen? Wer hat sie aus dem Markt verdrängt? Es gibt auch heute noch Boybands, aber sind das noch die Boybands von früher und haben sie noch die gleiche Fanbase? Hat sich die ganze Industrie verändert, das heißt gibt es einfach mehr Musik, mehr Kanäle über die Musik veröffentlicht werden kann, also auch mehr Angebot? Oder bin ich einfach nur älter geworden und fand es irgendwann peinlich Boybands zu hören? Gibt es sie für die Kids von heute immer noch? Ich höre sie nur nicht mehr?
To be continued….