Warum Tagträumen manchmal die bessere Alternative ist
KI-Spezialistin bei einem Startup, eine Doktorarbeit in Medizin schreiben oder doch lieber ein Beamtenjob als Schleusenwärterin? So manches Mal dachte ich schon darüber nach, mir einen neuen Beruf zu suchen. Schon als Schülerin war das grüne und das orange-gelbe Buch zur Studien- und Berufswahl meine Lieblingsliteratur. Im BiZ (Berufsinformationszentrum der Arbeitsagentur) machte ich den Berufseignungstest gleich drei Mal. Soll ich Luft- und Raumfahrttechnik in Aachen studieren oder besser Psychologie? Für mein Studium suchte ich mir dann ein möglichst generalistisches Fach und belegte eine konträre Disziplin als Nebenfach.
Einmal fest in meinem Einstiegsjob angekommen, hörte meine Träumerei für diverse andere Tätigkeiten nicht auf. Als ich mit meinem Freund auf Teneriffa Urlaub machte, war mein Highlight die Hotelführung „hinter den Kulissen“. Das Hotel hatte fünf Kellergeschosse, in denen ich u.a. eine Wäscherei und eine Möbeltischlerei bestaunte.
Schon drei Mal stand ich beim Alfred Wegener Institut vor dem Modell der John-Neumeyer-Station in der Antarktis und träumte davon, im ewigen Eis zu überwintern und in einer Gemeinschaft Forschungsarbeiten durchzuführen. Reizte mich wirklich die intellektuelle Aufgabe? Oder der Schnee? Oder die Zurückgezogenheit von der Hektik der Großstadt?
Tatsächlich möchte ich in meiner freien Zeit am liebsten die Seele baumeln lassen. Introvertierte Menschen wie ich ziehen ihre Energie aus dem Alleinsein. Am liebsten tagträume ich, lese Zeitschriften, Blogs und Romane, gehe Spazieren, trinke Kaffee allein in einem Café, lese “die Zeit” und komme auf die nächste Idee, mein Leben zu ändern. Ein neues Ehrenamt, einen neuen Beruf, eine neue Lebensaufgabe. Bei einem Cappuccino klingt das alles sehr gut und landet schnell auf meiner Todo-Liste, die mich nach einem anstrengenden Arbeitstag aber mehr stresst als erfreut.
Bei jedem dieser Berufswünsche, die ich näher recheriert habe, war der Job in meiner Fantasie besser als in der Realität. Das Forschungsprojekt mit Promotionsmöglichkeit beim Fraunhofer Institut doch mehr Hiwi-Arbeit für den Prof, der Drittmittel aus Firmen akquiriert. Das Berliner Startup mit seiner Kult ur weit ab von meinen ethischen Vorstellungen von guter Arbeit. Die Behördenkultur unvereinbar mit meinem Leistungsverständnis.
Im Endeffekt bin ich froh, dass ich die meisten meiner Träume nicht in der Praxis erprobt habe. Aber mir deshalb die Literatur, den Austausch in beruflichen Netzwerken oder die Recherche nach Weiterbildungen verwehren? Es entspricht meinem Bedürfnis nach Abstand von der Realität.
Forscher haben kürzlich herausgefunden, dass Zerstreuung gut für das Gehirn ist. Der Mensch ist im Schnitt 50% seiner wachen Zeit in Gedanken nicht dort, wo er gerade ist.
Das trifft, was in meinem Kopf los ist. Mit Yoga, Meditation und Achtsamkeitsübungen hatte ich das einzudämmen versucht. Warum eigentlich? Künftig träume ich weiter und vertraue darauf, dass meine Träume keine verschwendete Zeit sind, auch wenn ich sie meist nicht umsetze.