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Ehe für alle: Ist die CDU wirklich im 21. Jahrhundert angekommen?

Bisher blockierte Angela Merkel mit der CDU und CSU die Ehe für alle. Bei einer Veranstaltung in Berlin ist sie in dieser Frage nun umgeschwenkt – oder?

 

Die Ehe vielleicht ja doch für alle 

Angela Merkel hat ihr klares Nein zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare revidiert – ein Ja bedeutet das ihrerseits aber noch lange nicht. Aus einer deutlichen Ablehnung ist gestern bei einer Veranstaltung der Zeitschrift „Brigitte”, ein : „Und deshalb möchte ich gerne, die Diskussion mehr in die Richtung führen, dass es eher in Richtung einer Gewissensentscheidung ist, als dass ich hier jetzt per Mehrheitsbeschluss irgendwas durckpauke.” geworden, – ein klares Bekenntnis für die Ehe für alle sollte sich anders anhören.

Und trotzdem ist das eine entscheidende Öffnung für das Thema durch die Kanzlerin (ohne, dass sie selbst Stellung beziehen musste), die sofort die Forderung nach einer neuen Abstimmung noch vor dem Bundestagswahlkampf, zum Beispiel von der Grünen-Politikerin Renate Künast oder Christina Lüders, der Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, nach sich zog.

Interessant ist auf jeden Fall, dass Merkels angedeutete Möglichkeit zur fraktionsunabhängigen Abstimmung, nur eine Woche nach dem die Abstimmung über die Ehe für alle im Bundestag zum 30. Mal vertagt wurde, kam. Doch seitdem ist viel passiert: Nach dem zuerst die Grünen die gleichgeschlechtliche Ehe zur Koalitionsbedingung machten, folgten ihnen FDP, SPD und Linke. Was bei Zeit Online noch als „Todessehnsucht” der Grünen betitelt wurde, ist nun für fast alle etablierten Parteien Voraussetzung für eine gemeinsame Regierungsbildung. Dieses Fenster hat Angela Merkel gestern Abend nun also auch für die Christdemokraten geöffnet. Obwohl die Frage offen bleibt, welche der Parteien am Ende tatsächlich für die Ehe für alle auf eine Regierungsbeteiligung verzichten würde. Zumal die SPD in der großen Koalition ja nun mal maßgeblich daran beteiligt ist, dass weiterhin so viele gleichgeschlechtliche Paare vor dem Gesetz nicht gleichgestellt sind.

Auch innerhalb der Union löste Merkels vorsichtiges Herantasten an ein nicht mehr ganz so klares „Nein” zur Ehe für alle, Reaktionen aus. Einige Parteikollegen äußerten sich sehr erfreut. Denn auch in der CDU gibt es nicht wenige Befürworter einer Ehe für alle. Für sie wäre eine fraktionsunabhängige Abstimmung eine echte Chance. 

Ein kleiner Schritt für Merkel, ein kleiner Schritt für die Ehe für alle 

Die Aussage der Kanzlerin als Sieg für die Ehe für alle – und damit für eine weniger diskriminierende Gesellschaft – zu feiern bleibt dennoch fragwürdig, wenn man sich die anderen Aussagen der Kanzlerin im Brigitte-Interview anhört. So äußerte sie zum Beispiel, dass die Ehe für alle zwar die gleichen Werte habe, für viele Menschen aber doch etwas anderes bedeutete als die Bindung von Mann und Frau. Noch einmal: Eine klare Aussage gegen aktuelle und diskriminierende Gesetzeslage klingt anders. Und die Ehe für alle für eine sehr private Angelegenheit zu halten, die andere Parteien zu Unrecht zur Koalitionsbedingung machen, ist eben auch nur aus einer Perspektive möglich, die keine Diskriminierung ihrer Liebe kennt.

Quelle: Anne Wizorek 

Merkel scheint damit der Versuch gelungen, bei vielen Wählern (und immerhin wollen 83 Prozent der Deutschen die Ehe für alle) als progressive Kanzlerin zu gelten, ohne sich später auf etwas festnageln lassen zu können.

Dass die Ehe für gleichgeschlechtliche Partner in Deutschland, genauso wie die Adoption, immer noch nicht gesetzlich festgeschrieben ist, ist ein Armutszeugnis für dieses Land. Hoffentlich war der kleine Schritt der Kanzlerin nun eine Initialzündung für einen Wandel. Wie viel dahinter steckt, könnte ja noch vor der Sommerpause getestet werden. Wahrscheinlicher ist aber, dass eine Abstimmung über die Ehe für alle dann ein 31. Mal vertagt werden würde.

Update, 28. Juni 2017: Am Freitag, 30. Juni 2017, wird tatsächlich noch vor der Sommerpause im Bundestag über die Ehe für alle abgestimmt. Nach dem Auftritt Merkels am Abend des 26. Juni 2017 forderte die SPD am darauffolgenden Tag eine Abstimmung noch in dieser Wahlperiode. Kanzlerin Merkel machte den Weg frei und hob den Fraktionszwang für die Abstimmung auf. Eine Mehrheit für die Ehe für alle am Freitag gilt damit als so gut wie sicher, denn SPD, Grüne, FDP und Linke sind mit einer großen Mehrheit für die Gesetzesänderung.  

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