Die Ikone des französischen Chansons, Juliette Gréco, ist eine erstaunliche Frau. Nun sagt sie im Alter von fast 90 Jahren der Bühne Adieu.
Gehen, bevor dir die Entscheidung abgenommen wird
Sie betritt die Bühne des Friedrichsstadt-Palasts am 16.
November 2015 gestützt von einem Teammitglied, läuft in kleinen Tippelschritten
zu ihrem Mikrofon, und steht dort kurz still, während ihre exzentrisch-eleganten
Samtrobe leicht im blauen Licht schimmert. Und als sie dann zum ersten Ton
ansetzt, der eigentlich im tobenden Applaus kaum zu hören ist, da geschieht auf
einmal Sonderbares: Die 88-jährige Chanson-Sängerin Juliette Greco verwandelt
sich urplötzlich in eine junge Frau. Ihre Bewegungen werden weich und
geschmeidig, ihr Minenspiel zeigt sich mal verschmitzt, mal voller Hingabe.
Und auch wenn mich
mein Schulfranzösisch zwischendurch im wieder im Stich lässt, erzählt sie die Geschichten
mit ihrem Körper, mit ihrer Mimik derart anschaulich weiter, dass ich trotzdem
alle Liebesgeschichten, die kleinen, lustigen Anekdoten und den Schmerz der
Frau miterlebe. Und das alles gesungen mit dieser einzigartigen, tiefdunklen
Stimme.
Es ist „La Grande Grécos“ Abschiedstournee. Nach 60 Jahren auf der Bühne verlässt sie diese nun. Und was ihrem Publikum nicht leicht fällt,
scheint ihr noch schwerer auf dem Herz zu lasten. Man spürt deutlich, wie sie
den Abschlussapplaus schier aufsaugt, dass sie eigentlich noch nicht gehen
will, nur noch ein bißchen ausharren in dem, was sie ihr Leben lang gehalten
und getragen hat. Dem Applaus des Publikums, das von ihr zuvor verzaubert wurde.
Radikal, inspirierend, einsam: „La Grande Gréco“
Geboren wurde die Sängerin 1927 in Montpellier, doch schnell
zogen es Mutter und Schwester in das schillernde Paris, wo ihre Mutter, wie sie
es beschreibt, gemeinsam mit einer Frau an ihrer Seite ein „Männerleben“ lebte.
Hier nahm Juliette Tanzunterricht an der Pariser Oper und auch als der zweite
Weltkrieg begann, ließ sie sich nicht von ihrem Weg in Richtung Rampenlicht
abbringen. Während draußen das Elend seinen Lauf nahm, nahm sie
Schauspielunterricht und debütierte schnell im Theâtre Français.
Ihre Mutter und
Schwester hingegen, engagierten sich politisch in der Wiederstandsbewegung
gegen die deutschen und italienischen Besatzungsmächte. Das führte schließlich dazu, dass sie verhaftet
und in das KZ Ravensbrück deportiert wurden. Juliette entging diesem Schicksal, wurde
aber im Alter von 15 Jahren ebenfalls für drei Wochen in das Frauengefängnis in
Fresnes gebracht. Mutter und Schwester
überleben das KZ.
Aus Juliette wird: „Die schwarze Sonne von Paris“
Nach dieser traurigen und tief prägenden Episode ihres Lebens, stürzt sich
Gréco umso tiefer in die Kunst, spielt in
Theatern, eröffnet ein Lokal im berühmten Künstlerviertel Saint Germain, taucht
in die Existentialisten-Szene ab und steigt dort zur Muse auf, lässt sich Texte
von Jean-Paul Sartre und Albert Camus schreiben, die sie dann zum Besten gibt.
1949 kommt es schließlich zum der Durchbruch als Chanson-Sängerin in
Frankreich, in den 60er Jahren auch international. Was folgte war eine
Karriere, die sie zur Ikone werden ließ – jedoch nie mit dem
Status, den etwa Edith Piaf erlangte. Zu politisch, zu sperrig waren ihre
Texte, die nie die ganz breite Masse erreichten. Doch „die schwarze Sonne von Paris“, wie man sie nannte, schaffte es trotzdem sich mit ihrem
Schaffenswerk ein Denkmal zu setzen.
Nun könnte man noch viel erzählen, von Zusammenbrüchen,
einer Entführung durch Studenten, mit denen sie sich später solidarisch erklärte,
einer Liaison mit Miles Davis, ihrer Rolle als Mentorin von Gainsbourg, einem
Selbstmordversuch oder ihrer Krebserkrankung. Aber eigentlich möchte man nur
noch weiter dieser unfassbar charismatischen Frau zuhören, die so viel durch-
und erlebt hat, die vermochte das in ihre Kunst zu übertragen und so mit Sälen
voller Menschen zu teilen, die ihr dabei an den Lippen hingen. Einer Frau, die
an ihrer Einsamkeit fast zerbrochen wäre, obwohl sie doch nie alleine war.
Adieu Juliette Gréco, du bist eine von den Großen!
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