Das Pay Gap in Deutschland liegt noch immer 22 Prozent. Daran ändert sich von Jahr zu Jahr: eher wenig.
Fast drei Monate Extraschicht für die Frauen
Der Equal Pay Day fiel 2015 auf den 20. März. Das kommt so zustande: Der Tag markiert den Zeitpunkt, bis zu dem Frauen rein rechnerisch über den Jahreswechsel hinaus arbeiten müssten, um den gleichen durchschnittlichen Vorjahresverdienst wie ihre männlichen Kollegen zu bekommen.
Seit 2008 organisiert das Berufsfrauennetzwerk Business and Professional Women Germany diesen Tag, der daran erinnern soll, dass Frauen immer noch schlechter bezahlt werden als Männer. Die beiden vergangenen Equal Pay Days waren jeweils auf den 21. März gefallen, wir haben uns also um einen Tag verbessert und dürfen feststellen: Viel passiert ist eher nicht in den letzten Jahren.
Gender Pay Gap: 22 Prozent
Wenn es um die Gehaltsunterschiede von Männern und Frauen geht, dann spielen jede Menge Statistiken und Zahlen eine Rolle, die erstmal entschlüsselt werden müssen, um zu kapieren, wie die Lage in Deutschland tatsächlich aussieht. Kurz gesagt – in Deutschland gibt es ein Gender Pay Gap, auch Entgeltlücke genannt, von derzeit 22 Prozent. Das heißt, Frauen verdienen im Durchschnitt 22 Prozent weniger als Männer. Das ist die Zahl des Statistischen Bundesamtes. Laut einer Studie, auf die sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung beruft, beträgt die Lücke sogar 27,4 Prozent.
Um hier kurz einen wichtigen Punkt einzuschieben: In vielen Berichten über die Gender Pay Gap wird Deutschlands Lohnlücke als im europäischen Vergleich besonders hoch beschrieben und auf eine erheblich kleinere Lücke in Ländern wie Polen und Italien verwiesen. Hier muss man aber erwähnen, dass in diesen Ländern der geringere Unterschied nur zustande kommt, weil dort viele schlecht ausgebildete Frauen überhaupt nicht arbeiten und damit gar nicht in die Statistik eingehen.
Aber wieder zurück zu den 22 beziehungsweise 27,4 Prozent: Bei diesen beiden Zahlen handelt es sich um die so genannte „unbereinigte Entgeltlücke“, und es handelt sich dabei eher um eine plakative Zahl, bei der einfach alle arbeitenden Männer und Frauen jeweils in einen Topf geworfen werden. Bei der „bereinigten Entgeltlücke“ werden Männer und Frauen mit ähnlicher Berufserfahrung, mit ähnlichen Bildungsabschlüssen, in gleichen Positionen und Branchen und mit ähnlichen Arbeitszeiten verglichen. Dann beträgt die Lohnlücke nur noch acht Prozent. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln rechnet dann auch noch vor, dass sich die Lücke auf zwei Prozent und damit auf einen statistisch nicht mehr relevanten Wert reduziere, wenn man nur Frauen mit einer Babypause von maximal 18 Monaten in die Berechnungen mit einbezieht.
Transparenz ist wichtig
Keine Frage: Das Entgeltgleichheitsgesetz, das die Familienministerin Manuela Schwesig noch in diesem Jahr vorlegen will, ist wichtig, es ist ein Signal, ähnlich wie auch die Frauenquote, die ja erstmal in einer ziemlich abgespeckten Version beschlossen wurde. Transparenz ist wichtig. Grob gesagt soll jeder Mitarbeiter eines Unternehmens das Recht haben, das Durchschnittsgehalt seiner Kollegen mit vergleichbarer Tätigkeit zu erfahren. Das ist schon einmal gut, es schafft ein Bewusstsein und ist grundlegende Voraussetzung dafür, als Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin überhaupt auf eine Lohnungerechtigkeit reagieren zu können – erstmal müssen sie nämlich von ihr erfahren, und es wäre gut, dabei nicht auf den Flurfunk angewiesen zu sein.
Von Arbeitgeberseite kommt natürlich Kritik an diesem Gesetzesvorhaben, von „strukturbedingten Differenzen“ ist die Rede, die sich nicht mit einem Gesetz beseitigen ließe, das noch dazu mit einem erheblichen Bürokratieaufwand für die Unternehmen verbunden wäre und den „betrieblichen Frieden bedrohen“ würde. Zumindest das mit der „strukturbedingten Differenz“ stimmt sogar, und genau hier liegen die grundlegenden Probleme, die es zu lösen gilt: Man muss sich bewusst machen, was die unbereinigte Lohnlücke von 22 Prozent bedeutet:
Frauen verdienen fast ein Viertel weniger als Männer, weil sie viel öfter schlechter bezahlte Teilzeitstellen haben, die außerdem den Aufstieg in höhere Positionen erschweren oder unmöglich machen; Frauen arbeiten bevorzugt in den absurd schlecht bezahlten sozialen Berufen, während Männer in den klassischen Hochlohnbranchen der Industrie eine überwältigende Mehrheit stellen; Frauen nehmen oft jahrelange Auszeiten in Kauf, um Kinder zu betreuen oder Angehörige zu pflegen, was für die meisten Männer immer noch undenkbar wäre; Frauen arbeiten viel seltener in Führungspositionen; Frauen verhandeln schlechter, wenn es ums Gehalt geht, geben sich viel schneller zufrieden und fragen seltener nach einer Gehalterhöhung. Nicht umsonst gibt es bei amazon Titel zu bestellen, die allen Ernstes „Gehaltsverhandlungen für freche Frauen“ heißen.
0,8 Prozent männliche Sprechstundenhilfen
Anke Domscheit-Berg listet in ihrem gerade erschienenen Buch „Ein bisschen gleich ist nicht genug!“ deprimierende Zahlen von Null bis hundert auf, hier ein paar davon: Zwei Prozent weibliche Chefredakteure in deutschen Medien; vier Prozent Frauen in den Vorständen der 200 größen Unternehmen in Deutschland; 79,4 Prozent Frauenanteil an einer nicht akademischen Ausbildung zu einem Gesundheitsdienstberuf; 99,2 Prozent der so genannten „Sprechstundenhilfen“ beim Arzt sind weiblich; 80 bis 90 Prozent Frauenanteil in sehr niedrig bezahlten Berufen; 88,2 Prozent Frauenanteil beim Lehramtsstudium Primarbereich; 90 Prozent der Alleinerziehenden sind weiblich; 96 Prozent Frauen in Kitas im pädagogischen Bereich.
Arbeitgebernahe Institutionen wie das Institut der deutschen Wirtschaft sagen ganz einfach: Ist doch Quatsch, das ganze Gerede von der Transparenz – um wirklich was gegen die Lohnlücke zu tun, müsste man Frauen zwingen, so wie Männer zu werden: Politische Interventionen seien nicht nötig – es sei denn, man wolle Frauen dazu zwingen, Vollzeit und nahezu ausschließlich in hochbezahlten technischen Berufen zu arbeiten. Denn anders werde man die unbereinigte Lohnlücke nicht deutlich reduzieren können.
Endlich angemessene Bezahlung in sozialen Berufen
Sich derart einfach aus der Affäre ziehen zu wollen, ist einigermaßen absurd. Mir würden jedenfalls durchaus noch ein paar andere Dinge einfallen, die man tun könnte, um die unbereinigte Lohnlücke zu reduzieren. Wie wäre es, in den Unternehmen für ein Klima zu sorgen, das es Männern leichter macht und sie ermutigt, für Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen eine längere Auszeit zu nehmen? Wie wäre es, Menschen in sozialen Berufen endlich angemessen zu bezahlen? Die Arbeit mit Kranken und Kindern anständig zu honorieren? Das Bedienen einer Maschine nicht so grotesk höher zu entlohnen als die Betreuung eines Kindes?
Anstatt es als gottgegebene Tatsache hinzunehmen, dass Männer und Frauen sich „in ihren beruflichen Interessen unterscheiden“: Wie wäre es, schon in der Schule die Weichen dafür zu stellen, dass ein Junge sich vorstellen kann, Erzieher zu werden und ein Mädchen sich fürs Informatikstudium entscheidet? Wie wäre es, dafür zu sorgen, dass Männer und Frauen in Zukunft ganz selbstverständlich Erziehungs- und Erwerbsarbeit gleichberechtigt unter sich aufteilen können (falls sie das wollen) und Schwesigs Idee der 32-Stunden-Woche als neue Elternvollzeit endlich ernsthaft zu diskutieren? Wie wäre es, daran zu arbeiten, dass in den Unternehmen ein Geist einzieht, der Frauen dazu ermutigt, nach einer Führungsposition zu streben?
Schön wäre das.
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