Auf dem FEMALE FUTURE FORCE DAY 2024 sprachen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Verlegerin Julia Becker über die Herausforderungen, mit aufgeklärtem Journalismus und feministischer Außenpolitik demokratiefeindliche Strömungen zu bekämpfen.
Beinahe 1.000 Augenpaare waren auf zwei Frauen gerichtet, die in ihrer jeweiligen Position 85 Millionen Deutsche im Ausland vertreten und etwa 5.500 Mitarbeiter*innen in einem der ältesten deutschen Medienhäuser durch digitale Reformation und die Herausforderungen von Gleichberechtigung und ethischem Journalismus navigieren: Die Rede ist von der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock und FUNKE Verlegerin Julia Becker, die über Frauen in Führungspositionen, über die Rolle der Medien für eine starke Demokratie sowie feministische Außenpolitik sprachen. Das Gespräch endete nach 45 Minuten in stehenden Ovationen.
Der FFF DAY gab den Besucher*innen im Kuppelsaal der bcc Kongresshalle die Möglichkeit, zwei Frauen in unumstrittenen Machtpositionen zuzuhören. Dabei zerlegten sie die Kernthemen des Tages unter dem Motto „Bridge the Gap“ in ihre strukturellen Einzelteile und scheuten sich auch nicht davor, Beschreibungen wie „Fake-News-Scheiß“, den es laut Julia Becker knallhart aufzuklären gilt, zu verwenden. Annalena Baerbock und Julia Becker stellten fest, dass es viele Parallelen in ihrem Leben gibt: Beide sind Mütter von Töchtern, beide haben Verbindungen zum ländlichen Raum und beide befinden sich in Verantwortungspositionen in männlich dominierten Bereichen. Diese Überschneidungen reichten ihnen aus, um Sensibilität für die Themen mitzubringen, denen auch die Zuhörer*innen im Saal tagtäglich begegnen. Das wurde durch großzügigen Zwischenapplaus deutlich.
Gegen antidemokratische Fremdeinwirkung, für körperliche Selbstbestimmung
Gender Care Gap, Gender Pay Gap, das Recht auf körperliche Selbstbestimmung, patriarchale Strukturen, die sämtliche Karriereleitern für Frauen beinahe unerklimmbar machen – Julia Becker und Annalena Baerbock berichteten ungefiltert über ihren eigenen Kampf, den sie trotz ihrer heute privilegierten Rollen immer wieder ausfechten mussten, und zeigten Empathie und Kampfgeist für marginalisierte Gruppen in Deutschland und rund um den Globus.
Vor allem ein Thema fand erkennbar viel Zustimmung. Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung, das durch konservative, rechtsextreme und autokratische Regierungen und Regime systematisch um 50 Jahre zurückgeworfen oder, im Extremfall, gänzlich aus Gesetzestexten entfernt werden soll. Das Recht auf Abtreibung, auf straffreie Abtreibung. Oder, wie wir es in Deutschland kennen, als Paragraf 218. Julia Becker und Annalena Baerbock waren sich einig, dass sie in ihren jeweiligen Verantwortungsbereichen entschlossen gegen diese Bedrohung vorgehen müssen.
Denn es geht laut Baerbock darum, die Demokratie zu stärken, „weil diejenigen, die die Demokratie kaputt machen wollen, insbesondere Frauen nicht nur aus Zufall angreifen, sondern weil sie wollen, dass Frauen eben nicht gleichberechtigt Verlage leiten, Außenministerin sein können und vor allen Dingen nicht selbst über ihren Körper entscheiden können. Deswegen sei die Debatte um die Straffreiheit von Paragraf 218, um das Abtreibungsrecht, eine Debatte, „die viel größer ist als nur die Selbstbestimmung über den eigenen Körper, sondern eine Stärkung der Demokratie.“
Mehr journalistischer Fokus auf die junge Zielgruppe
Julia Becker betonte in diesem Zusammenhang, wie essenziell die Aufgabe von Journalist*innen sei, verantwortungsvoll zu arbeiten und die Gesellschaft aufzuklären. „Wir möchten die Menschen mit Fakten und Wahrheiten versorgen, (…) damit sie eine vernünftige Wahlentscheidung treffen können. Deswegen machen wir jetzt im Schweinsgalopp das, was wir eigentlich vor Jahren hätten machen müssen: Wir kümmern uns um die jungen Zielgruppen“, versprach Becker und erhielt dafür Applaus von der jungen, aber auch älteren Zielgruppe im Publikum.
Den europäischen Rechtsruck und das Erstarken der AfD nahmen beide Frauen zum Anlass, Selbstreflexion zu beweisen. „Die Demokratie wird weltweit von rechtsextremen Kräften herausgefordert. Diese Kräfte wollen nicht, dass Frauen die gleichen Rechte und Macht haben“, beschrieb Baerbock das Klima, in dem sie sich in ihrer Position als Außenministerin umgeben muss und mahnte an, dass „wir es als Demokratien nicht geschafft haben, den digitalen Raum so zu regulieren, wie wir es im normalen, analogen Leben auch tun“. Julia Becker hätte diese Bemerkung als Seitenhieb auf die Verlagsbranche verstehen können, doch sie betonte hingegen die Mammutaufgabe des Journalismus, den antidemokratischen und antifeministischen Kräften entgegenhalten zu müssen. „Wir haben eine riesige Chance, aus dieser Glaubwürdigkeitskrise mit einem Mehr an Anspruch an uns selbst herauszugehen“, sagte Becker. „Wir müssen unterm Strich einen besseren Job machen.“
Anfangen, die Welt aus Frauenperspektive zu betrachten
Annalena Baerbock erklärte, warum sie glaube, dass von feministischer Außenpolitik – einem Konzept, das sie nach eigener Aussage von anderen Vorreiterinnen übernommen habe – nicht nur Frauen, sondern auch die Wirtschaft und unsere Gesellschaft als Ganzes profitieren. „50 Prozent der Bevölkerung sind Frauen und die erleben Dinge anders. Wenn alles nur aus der männlichen Sichtweise gesehen wird, werden manche Phänomene gar nicht wahrgenommen. Es geht darum, in allen Politikbereichen mitzudenken, dass es auch 50 Prozent Frauen gibt“, sagte sie. Wieder Applaus, von 100 Prozent des Publikums. „Die Gesellschaft abzubilden in dem, was sie ist, ist die Aufgabe von Redaktionen. Man muss den Journalismus öffnen zu einer stärkeren Intersektionalität“, entgegnete Julia Becker.
Während auf den im Vorfeld und Nachgang stattfindenden Panels oft diskutiert wurde, und sich Narrative unterschiedlicher Lebensrealitäten aneinander rieben, herrschte zwischen Julia Becker und Annalena Baerbock Einigkeit. Als Frauen, als Mütter, als Demokratinnen und führende weibliche Vorbilder. Langweile, die bei fehlender Reibung vorkommen kann, trat trotzdem nicht auf. Die Verlegerin und die Außenministerin argumentierten für Gleichberechtigung und gegen antidemokratische Tendenzen in einer Art Staffellauf, der in großer Dankbarkeit all jenen Frauen gegenüber gipfelte, die vor ihnen Dinge erkämpft haben, so Baerbock und fügte hinzu: „Die fallen nicht vom Himmel“.