Seit letzter Woche ist es offiziell: das Fahrverbot für Frauen in Saudi-Arabien wird aufgehoben. Die Nachricht, die weltweit für Schlagzeilen sorgte, wurde ausgiebig diskutiert. Doch was sagen Frauen in Saudi-Arabien zu der Reform? Die Unternehmerin Lina Almaeena schildert uns ihre Sicht auf die Änderung des Gesetzes.
Eine Reformagenda, die vieles ändern will
Mein Name ist Lina Almaeena und ich lebe im Königreich Saudi-Arabien. Ab Juni 2018 kann jede Frau, die einen gültigen Führerschein hat, Auto fahren. Das Dekret des Hüters der heiligen Stätten König Salman, welches Frauen erlaubt, Auto zu fahren, hat in der ganzen Welt für Schlagzeilen gesorgt. Doch es geht nicht nur darum, dass Frauen Auto fahren dürfen, sondern dass Frauen zukünftig das gesellschaftliche Steuer gemeinsam mit ihren männlichen Landsleuten in der Hand halten. Der Erlass ist nur ein Teil eines großen Veränderungsprozesses in Saudi-Arabien, angestoßen durch das Reformprogramm Saudi Vision 2030.
Die umfassende Reformagenda, die im April letzten Jahres von Seiner Königlichen Hoheit Kronprinz Mohammed bin Salman verkündet wurde, ist das Fundament eines tiefen Wandlungsprozesses. Sie ist ein Meilenstein in der Geschichte meines jungen, erst 87 Jahre alten Landes. Die Agenda umfasst die Diversifikation der Wirtschaft, die Förderung erneuerbarer Energien – aber insbesondere auch einen gesellschaftlichen Wandel. Dabei hat der Kronprinz insbesondere die Rechte von Frauen im Blick, denn er weiß, dass ein Land alle seine wertvollen Ressourcen nutzen muss – und die Hälfte der saudischen Bevölkerung ist weiblich.
Frauenquote in Saudi-Arabien?
Eines der zentralen Ziele ist die Erhöhung des Anteils saudischer Frauen im Arbeitsmarkt von 22 auf 30 Prozent bis zum Jahr 2030. Schon jetzt sind Frauen in meinem Land erfolgreiche Unternehmerinnen und wertvolle Angestellte. Saudische Frauen sind gut ausgebildet und mehr als 50 Prozent der Hochschulabsolventen sind weiblich. Diese Frauen bekleiden zentrale Positionen in meinem Land als Führungskräfte im Finanzbereich, als Unternehmerinnen und als Kommunalpolitikerinnen. Und sie stellen mehr als 20 Prozent des Schura-Rates – des höchsten Beratungsgremiums des Königreichs.
Nach meiner Ausbildung habe ich im Jahr 2006 das erste private saudische Sportunternehmen gegründet, in dem Mädchen und Jungen in Team-Sportarten, Basketball, Volleyball und Fußball trainiert werden. Das Unternehmen war der führende Anbieter, tausende von Mädchen und Jungen haben bis heute in Jeddah, Khobar und Riad trainiert. Mein Ziel war es dabei immer, eine Kultur des Sportes in meinem Land zu fördern und dabei auch die Stereotypen zu verändern, die es weltweit über saudische Frauen gibt. Der Sport ist nicht nur gut für Geist, Körper und Seele, sondern ist auch ein Mittel zur Selbstbefähigung und Entwicklung.
Empowerment durch Sport
Ich selbst spiele seit ich zwölf Jahre als bin Basketball, ebenso wie meine Tochter. Weil es damals für mich und andere Frauen, die nach der Schule zur Universität gingen, keine Möglichkeit gab, weiter Basketball zu spielen, habe ich eine Art Verein für mich und meine früheren Team-Kameradinnen entwickelt, diesen nannten wir Jeddah United. Jeddah bedeutet in Arabisch „Großmutter“ und ist eine Referenz auf Eva, die in der heiligen Stadt Jeddah begraben liegt. Das zeigt auch eine Seite von Saudi – wir sehen den Islam als Erweiterung von Judentum und Christentum. Unser gemeinsamer Glauben an die biblische Geschichte von Adam und Eva verbindet uns auf einer menschlichen Ebene.
Für meine Themen trete ich in Gesellschaft und Politik ein, zum Beispiel als ehemaliges Mitglied im Komitee junger Unternehmerinnen und im Sport Investment Komitee der Handelskammer. Zusätzlich bin ich auch als aktives Mitglied im Schura-Rat tätig. Der Fortschritt ist sichtbar: In diesem Jahr wurde Sport ein Teil des Bildungssystems an öffentlichen Schulen und viele Universitäten für Frauen haben angekündigt, dass sie zum ersten Mal in der Geschichte Saudi-Arabiens einen Fachbereich Sport eröffnen werden.
Ein junges Land im Umbruch
Saudische Frauen werden auf der ganzen Welt unterschätzt und missverstanden. Meine Arbeit und mein Engagement haben mich diverse Male auch nach Deutschland geführt. Erst letztes Jahr nahm ich als Speaker an einem Wirtschaftsforum in Berlin teil. Wenn ich dann sehe und lese, was Medien über mein Land und meine Landsfrauen schreiben, wird mir bewusst, dass ich meine Geschichte und meine Ansichten mit den Frauen in Deutschland und weltweit teilen muss – denn wir haben viel mehr gemeinsam, als wir uns vorstellen können.
Saudi-Arabien ist immer noch ein sehr junges Land und seit der Gründung hat sich viel verändert. Es ist wahr, wir sind noch nicht da, wo Frauen in Deutschland sind, aber wenn man in die Geschichte zurückblickt, so sieht man, dass sich Frauenrechte weltweit mit der Zeit entwickelt haben – durch die Beharrlichkeit und das Durchhaltevermögen der Frauen. Heute geht es nicht nur darum, dass Frauen bald Auto fahren dürfen, sondern es geht darum, dass durch die Vision 2030 Frauen gemeinsam mit den Männern das Steuer im ganzen Land übernehmen werden.
Autorin Lina Almaeena Bild: Privat
Hinweis:
Unsere Community-Autorin Anne hat diesen Beitrag in englischen Original von der saudischen Unternehmerin Lina Almaeena bekommen und übersetzt. Deshalb wird er über ihr Profil veröffentlicht.
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