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Freiheit!

Freiheit ist ein kleines Wort und großes Ding. Ein ganz persönlicher Kommentar voll heißer Tränen und großer Lust auf Leben. Von Christine Weißenborn

 

Bis gestern Mittag war ich ahnungslos, was die Ereignisse in Brüssel anbelangt. Kaum möglich im Zeitalter digitaler Endgeräte – aber so war es. Ich befand mich im idyllischen Vallendar, während die heile Welt nur wenige Stunden entfernt in Trümmer gesprengt wurde. Vallendar ist ein kleines Kaff im rheinlandpfälzischen Nirgendwo. Dort steht die private Otto Beisheim School of Management, kurz WHU. Hier kann für viel Geld studiert werden, wie Unternehmen auf,- um- und abgebaut werden. Ein Mekka für Gründergeister. Neuerdings ist auch Flüchtlingen erlaubt, mitzumachen. Die wollen auch gründen. Ein neues Leben. 

 Ich bin also frühmorgens in die Provinz aufgebrochen, um mir dieses Zusammenmischen von Kulturen anzuschauen. Eine idyllische Zugfahrt am Rhein entlang. Leben und Land sind schön und frisch, so früh am Morgen. Um 9.00 kam mein Zug an. Um kurz nach 9.00 detonierte die erste Bombe in Brüssel. Da hatte ich mein Handy gerade ausgeknipst und war, ich gebe es unumwunden zu, zum ersten Mal in meinem Leben im Gespräch mit einem Flüchtling. Hamid, 40 Jahre alt, in seinem früheren Leben Bürgermeister von einem Städtchen im Iran. Bis gestern speiste sich mein Wissen über die Lebensrealität von Leuten wie Hamid aus Gesprächen mit Freunden, Bekannten, Journalistenkollegen, aus Berichten in der Zeitung, im Internet und Fernsehen. In meinem Alltag existiert Hamid nicht. Ich wohne in einem flotten In-Viertel, schrammelig-schöne Cafés, Boutiquen, Wohnungen, Menschen. Notleidende gibt es hier keine. Große Sorgen auch nicht. Es geht darum, ob Teilzeit oder Vollzeit arbeiten die Kür mit Kind ist. Ob doch der Umzug aufs Land erwogen werden sollte. Ob der Kindergarten genug Salatblätter zum Mittagessen reicht. Naive Welt. Heile Welt. Und das ist auch gut so. 

 Ich komme in Vallendar also ins Gespräch mit Hamid. Er ist ein politischer Flüchtling, so genau weiß ich das nicht. Die Geschichte sei lang und das Leben kurz, erklärt Hamid mir. Er spricht leise. Englisch. Irgendwann wird es diesen Moment geben, in dem Hamid von einem der Studenten etwas auf Deutsch gefragt wird – und auf Deutsch antwortet. Er spricht wunderbar, wundervoll gut. Er hat sich die Sprache in ein paar Monaten in seinen Kopf gehämmert. Er will ankommen in diesem Land, dazugehören, Erfahrung abgeben, etwas Sinnvolles einbringen. Das schlimme sei dieses Nichtstun, sagt er. Und dann schiebt er noch etwas hinterher, das mir seither nicht mehr aus dem Kopf hüpft: „Verzeihen Sie“, setzt er sehr höflich an, „aber ich muss das aussprechen, auch wenn es Sie vielleicht verletzt.“ Ich warte gespannt. „Deutschland“, sagt Hamid, „ist kein glückliches Land“. Warum, versteht er nicht so ganz. „Es gibt doch alles hier“, sagt er. „Vor allem aber habt ihr die Freiheit.“ 

 Als ich aus dem Hörsaal stolpere, den Kopf und das Herz voll mit Eindrücken, rufe ich als erstes meinen Mann an. Von Dingen, die uns bewegen wie ein Schiff auf hoher See, erzählen wir uns oft am Telefon. Er unterbricht nicht und fragt am Ende nur: Hast Du das mit Brüssel gar nicht mitbekommen? 

 Hatte ich nicht. Während nur wenige Stunden entfernt die Freiheit in die Luft gesprengt wurde, sprach ich mit denen, die auf der Suche nach ihr Leib und Leben riskiert haben. Freiheit sei das einzige, was zählt, singt Marius Müller-Westernhagen. Ich bin kein Fan von ihm aber mit seinem Lied „Freiheit“ hat er verdammt nochmal recht. 

 Ist es unpassend, einen Gossenhauer zu zitieren, während das Böse rundherum Leben zerrupft? Nein, finde ich. Vielleicht hilft nur ein naiver Glaube an das Gute dabei, diesem Schrecken, der durch die Welt kriecht, zu begegnen. Ich möchte, dass meine Kinder in Freiheit aufwachsen. Sie sollen frei sein im Denken, im Glauben, in ihrem Alltag, in ihrem Umgang mit dem Leben. Ich möchte das auch. Für alle. Für uns. Für Leute wie Hamid. Lasst uns heiße Tränen über die Sinnlosigkeit von Terror, vergießen – aber nicht zulassen, dass er die Freiheit zersprengt. In diesem Sinne: ein ganz und gar pathetisches Hoch! Auf das Leben! Auf die Freiheit!

Dieser Beitrag ist zuerst auf dem Blog www.gretasfreunde.com erschienen. 

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