„Und, was willst du mal damit machen?” – Ein Satz, den jeder Geisteswissenschaftsstudent wohl schon mindestens einmal gehört hat. Dabei lernt, wer ein geisteswissenschaftliches Studium absolviert, genau das, was der heutige Arbeitsmarkt fordert, findet unsere Community-Autorin.
Ob es das wert ist?
Ich antworte auf den Artikel „Geisteswissenschaften – ist es das wirklich wert?“. Von dem Artikel fühle ich mich betroffen, weil ich selbst Geisteswissenschaftlerin bin, Kunsthistorikerin um genau zu sein, mit Schwerpunkt Jura. Und meine Erfahrungen nach dem Geisteswissenschaften Studium sind ganz anders als die der Autorin.
Ein geisteswissenschaftlich ausgebildeter Kopf ist die Ausbildung des Geistes in seiner Denkweise. Durch diese Art die Welt zu erleben ist schnelles Durchschauen von komplexen Themen, assoziatives Arbeiten und bedürfnisorientierte Zielstrebigkeit meine Arbeitsweise.
Die Autorin meinte, das Studium habe sie nicht auf den Arbeitsmarkt vorbereitet. Und ich verstehe den Gedanken, easy peasy ist es nicht da draußen. Aber der Ausbildung die Schuld zu geben ist doch zu einfach, oder?
Jura und Geisteswissenschaften passen nicht zusammen?
Und um diesen Einwurf gleich auszuhebeln: Das Nebenfach Recht hat mir nicht geholfen, weil es kaum relevant erschien am Arbeitsmarkt. Davon war ich zugegebenermaßen überrascht. Ich hatte schon viele Stationen in meiner Arbeitsbiografie und egal ob es im Kultur– oder juristischen Bereich war – das andere, ergänzende Studium wurde nie anerkannt. Dabei gibt es viele Querschnittsmaterien: Immaterialgüterrecht, KünstlerInnen selbst und ihr Leben zwischen Sozialversicherung, Kunsttransporten und schwindligen Werkverträgen mit Galerien. Unternehmens- und Firmenangelegenheiten selbst und ihre juristischen Belange. Aber die Trennung der Fächer geht einher mit der Unübersetzbarkeit der Menschen in diesen Bereichen. In der Kunstbranche wurden alle, die mit Juristerei zu tun hatten als verdächtig angesehen, grundsätzlich nicht vertrauenswürdig, gar dubios. Im Bereich
Recht, bei Anwältinnen oder beim Volontariat in der Politik war die
humanistische Denkweise fragwürdig und unklar, ergebnislos und war es nicht
wert, weiterverfolgt zu werden. Ich schätze beide Bereiche, weil sie sich trotz
ihrer Kontraste ergänzen.
Nachhaltige Bildung des Geistes
Auch in der freien Wirtschaft stößt man mit dem Ansatz, Bildung durch die Ausbildung des Geistes in seiner Denkweise, sei nachhaltiger als bloßes angelerntes Wissen und Können, auf Unverständnis.
Ich hangelte mich von befristeter Stelle zur nächsten und bald hatte ich ein gutes Netzwerk aufgebaut. Privat ging es mir gut und ich war bereit mein Normadenleben zu beenden und mehr Verantwortung zu übernehmen. Ohne
eine unbefristete Stelle in Sicht, aber ich wollte und will mir meine Lebensbedingungen nicht vom Job vorschreiben lassen. Man mag das Finanzielle einwerfen, aber meiner Erfahrung nach kommt es nicht auf die Höhe des Einkommens an, am Ende des Monats ist das Konto leer, egal ob viel oder wenig drauf war. Und ich habe phasenweise sehr gut verdient und auch weniger gut. Dann kam also die Hochzeit, zwei Kinder, der Umzug aus der hippen Innenstadt weg ins Einfamilienhaus. Das brauchte Mut und Vertrauen in die eigenen wirtschaftlichen Kapazitäten. Ich investierte viel, das Geld für die Finanzierung muss erst verdient werden. Ein konservativer Lebensentwurf – und doch für mich so stimmig in den jeweiligen Momenten meines Lebens. Ich habe mir nicht vorgestellt so zu leben, habe nicht gewusst, dass mich mit Anfang 30 ganz andere Dinge glücklich machen werden als mit 21. Niemand konnte mir das vermitteln und ich hätte niemandem dabei zugehört. Mir sollen in zehn Jahren nachhaltig produzierte, warme Winterstiefel für Kinder ein Anliegen sein? In meiner Erasmus Freunde-besuchen-Welt mit Party bis um sechs Uhr früh? Damals hätte ich sehr gelacht.
Jetzt bin ich Geisteswissenschafterin in einer Kleinstadt und suche eine Aufgabe. Das ist schwer. Manchmal bin ich panisch und stelle mir vor an der Supermarkt Kasse zu sitzen (nichts gegen Kassiererinnen, da muss man geschickt und schnell sein, was ich bewundere!), was definitiv nicht zu meinen Lebensträumen gehört. Aber ich weiß, ich werde etwas finden, entweder in einem Unternehmen oder selbstständig. Denn eine humanistische Ausbildung macht eine Persönlichkeit, meiner Meinung nach, rund und vielfältig. Ich kann agieren und reflektiert reagieren, bin mir im positiven Sinne für nichts zu schade und erfasse schnell die Bedürfnisse anderer. Mein Hobby ist die Effizienzsteigerung im Alltag, mit zwei kleinen Kindern kann man auch daraus ein Spiel machen!
Jeder Mensch kann seinen Job verlieren
Ich glaube nicht, dass es anders ausgebildete Menschen unbedingt leichter haben. Auch RechtsanwältInnen, MechanikerInnen, BuchhalterInnen oder ZuckerbäckerInnen können in einer unbefristeten Stelle gekündigt werden. Jeder Mensch muss die Kosten des Lebens einbringen. Wenn sich das nicht mehr ausgeht, muss sich was ändern und man muss sich was überlegen im
beruflichen Sinn.
Und gleichzeitig werden private Entscheidungen getroffen, wie, wo und
mit wem man leben will. Da trifft die Drogistin genauso weitreichende
Entscheidungen wie der Rechtsanwaltsanwärter, wenn sie gemeinsam eine Wohnung anzahlen und sich in einer Stadt niederlassen. Was passiert, wenn sie in eine andere Stadt versetzt werden, wenn die Kinder schon in der Schule sind?
Schwierig, aber nicht unmöglich.
Man kann sich anpassen und dann Lösungen finden. Sicher wird es auch mit einer unbefristeten Stelle nicht. Wir leben nicht mehr in der Wirtschaftswunderwelt, die ,nebenbei bemerkt, auch eine Ausnahmeperiode der
menschlichen Geschichte war. Es ist nicht normal einen Job 45 Jahre lang runterzukloppen. Und darüber bin ich auch froh!
Das Ziel?
Manchmal findet sich ein wertschätzendes Unternehmen, ein Mensch, der Potential erkennt, eine erfüllende Stelle. Die erfordert Einarbeitung, Intelligenz und Verantwortungsbewusstsein, Freundlichkeit und Mitgefühl in Zusammenarbeit. Und all diese Eigenschaften können wir Geisteswissenschaftler bieten. Die Welt ändert sich, wir passen uns an, wie schön!
Genau dafür haben wir einen wachen Geist: um Veränderungen zu meistern. So wie sich die Lebensumstände ändern, werden sich auch Lösungen anbieten und gefunden werden. Keine Biografie ist eine lineare Entwicklung. Ob befristet oder unbefristeter Job, immer mal wieder passiert etwas Unvorhergesehenes. Und wir reagieren, optimieren, nehmen doch die andere Wohnung, weil die Tochter auszieht. Wir ändern uns permanent. Jede und jeder passt sich an. Weil man muss. Spätestens wenn der Leidensdruck zu groß ist. Oder um es positiver zu formulieren: Wo sich eine Tür schließt geht eine andere auf. Der Wind will schließlich wohin!
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