Foto: Natasha Brazil | Unsplash

An anderen finde ich das schön – aber an mir? Wie es sich anfühlt, grau zu werden

Unsere Community-Autorin ist 46 und muss plötzlich feststellen, dass das Farbshampoo nicht mehr reicht und ihr Haaransatz zunehmend grauer wird. Sie fragt sich: „Warum finde ich graue Haare bei anderen Frauen toll, bei mir aber furchtbar?”

Warum ich meine Haare liebe

Wie wahrscheinlich bei den meisten gibt es auch bei mir immer wieder das eine oder andere Element meines äußeren Erscheinungsbildes, mit dem ich nicht ganz so zufrieden bin. Meine Haare gehörten aber nie dazu. Egal wie schlecht die Nacht, egal wie anstrengend der Tag, meine Haare fand ich immer gut. Seit ich denken kann sind sie kräftig, lang und gesund, mal mehr, mal etwas weniger lockig, mal mehr, mal etwas weniger rötlich.

Als ich 13 war habe ich mir den Pony lang wachsen lassen, das sah eine Zeit lang doof aus, ging aber auch vorbei. Mit 18 wollte ich unbedingt eine Dauerwelle haben (bis dahin hatte meine Mutter es mir verboten). Was soll ich sagen, es war eine bescheuerte Idee, die dazu führte, dass ich mehr als zwanzig Zentimeter meiner Mähne abschneiden musste, weil sie gebrochen und splissig war. Entsprechend kürzer und leichter hingen sich meine Locken fortan nicht mehr aus und blieben mir seitdem treu.

Im Studium in Irland entdeckte ich dann ein kupferfarbenes Farbshampoo, das ich fortan immer mal wieder verwendete, wenn mir danach war, was in den letzten beiden Jahren allerdings immer häufiger der Fall war, grauer Ansatz sei Dank. Ansonsten blieb meine Frisur mir und ich meiner Frisur treu. Zwei Mal im Jahr gehe ich zum Friseur und lasse mir die Spitzen schneiden, vor Weihnachten und vor meinem Geburtstag. Ich wasche sie ein, maximal zwei Mal pro Woche, mehr macht meine Kopfhaut nicht mit. Denn ich habe Psoriasis, eine nicht-ansteckende, entzündliche Hautkrankheit, von der vor allem meine Kopfhaut betroffen ist. Auch darum liebe ich meine Haare, denn sie verstecken die Plaques und machen, dass man mir einen Schub der Krankheit nicht ansieht. Außerdem sind sie super pflegeleicht und durch die Locken auch Wind und Wetter sicher, ein bisschen Sprühkur rein und sie sind wieder wie neu.

Mit dem Alter kommen die grauen Haare

Mir war immer klar, dass ich eines Tages mit grauen Haaren leben müsste, denn bei aller Unsichtbarkeit würde meine Psoriasis aggressive Färbeprozesse nicht vertragen. Dafür hatte ich bereits einen Plan. Wenn es einmal soweit wäre, würde ich die Reste des Farbshampoos rauswaschen und dann alles auf einen Schlag weißgrau färben lassen. Einmal, so mein Plan, würde mir meine Haut das schon verzeihen.

Dann kam dieses Jahr, mit seiner geballten Pollenkraft, meine Allergien wurden schlimmer und außer an mein medizinisches Shampoo war an nichts anderes zu denken. „Ach”, dachte ich mir zuerst, „wird schon nicht so schlimm sein, das bisschen Grau überlebst du auch.” Doch dann passierte, ganz schleichend, etwas merkwürdiges: Jeden Morgen fürchtete ich den Blick in den Spiegel ein bisschen mehr. Von nun an gab es fast kein Gespräch mehr, in dem ich nicht früher oder später meine Freundinnen mit Fragen über meine grauen Haare nervte. „Ich find’s gut”, war die einhellige Meinung meiner Freundinnen und auch der Mann meiner Wahl sagte es mit einer derartigen Ernsthaftigkeit und einem derartig liebevollen Blick, dass ich ihm wirklich glaubte.

An anderen ist das Grau elegant, mich macht es nur alt

Und doch, ich selbst fand es scheiße. Was ich bei meinen Freundinnen ganz toll finde – bei mir fand ich es schrecklich. „Graue Haare findet man immer nur an anderen schön”, sagte meine Freundin Petra, deren graue Haarsträhne ich immer extrem elegant und attraktiv fand und der ich mehr als ein Mal gesagt habe, ich würde sie unbedingt so lassen, weil sie ihr so gut stehe.

„Man sieht dann halt so alt aus, wie man ist”, sagte Ursel, die mir sehr glaubhaft versicherte, dass sie meine grauen Haare ganz wunderbar finde und meinte, ich solle einfach dazu stehen und auf keinen Fall anfangen mit der Färberei. „Ein Teufelskreis”, sagte sie, „aus dem frau nicht mehr raus kommt.” Einschlägige Frauenzeitschriften raten Dunkelhaarigen zu Strähnchen im Naturton – für sanfte Übergänge, Rothaarigen zum sanften Aufhellen mit Rotblond und Blondinen zum  schrittweisen Aufhellen in Richtung silbriges Platinblond, um sich langsam an die schwindenden Farbpigmente anzupassen, oder radikal – Birgit Schrowange hat es vorgemacht – zum trendigen Kurzhaarschnitt, bei dem nichts Rauswachsendes mehr zu sehen ist – alles keine Option für mich.

Grau ist nicht gleich grau

Fortan begab ich mich deshalb auf die Suche nach gute Beispielen für Frauen mit grauen Haaren. Und gute Beispiele für Frauen mit silberweißen (seltener mit grauen) Haaren findet man en masse (und damit meine ich nicht die 20-jährigen Bloggerinnen, die das für sich als Trend definieren, sondern gestandene Frauen, die ganz selbstbewusst zu ihren Silberschöpfen stehen). Aber genau hier liegt auch das Problem. Diese Frauen sind silbergrau, manchmal weiß. Die Farbe strahlt und sie strahlen mit ihr. Der Anteil an weißen Haare überwiegt massiv.

In einem Geschäft entdeckte ich eine Verkäuferin. Sie hatte ein ganz tolles, helles, leuchtendes Silbergrau, die Haare mehr als schulterlang, glatt, glänzend. Ich fasste mir ein Herz und sprach sie an. „Ja”, sagte sie, „in dieser Mähne steckt eine Menge Arbeit”. Aber die Alternative – ein sie müde und alt aussehen lassendes Grau – war für sie nicht denkbar. Zwei Mal wurde die Farbe rausgezogen, was die Haare nur knapp überlebt haben, alle vier Wochen würden die Spitzen geschnitten, weil sie so brüchig sind, jede Woche mache sie eine Silberfarbkur und klar, Silbershampoo und Silberspülung sowieso. Puh. Dann vielleicht doch lieber schleichend grau, dachte ich mir.

Der Mut für graue Haare fehlt mir doch – noch

Dann kam ein privates Fotoshooting: Tolle Klamotten, super Wetter, wundervolle Location – und ich konnte nur meinen seltsamen grauen Haaransatz sehen.  Das bin ich nicht, dachte ich mir immer wieder. Oder vielleicht bin ich es, aber so möchte ich auf jeden Fall nicht aussehen.

Die Autorin mit grauen Haaren. Quelle: Stephan Burghoff

Was soll ich sagen, die Allergiesaison nähert sich ihrem Ende und ich bin stolze Besitzerin einer Direktfarbe, eine temporäre Farbe der Stufe 1, die nach und nach rausgewaschen wird. Sie dringt nicht in die Haarstruktur ein, sondern färbt nur die Haaroberfläche. Meine Kopfhaut hat es mir verziehen. Zu den Fotos vom Fotoshooting, habe ich beschlossen, werde ich souverän stehen, denn auch das bin ja immer noch ich.

Der alte Plan steht weiterhin. Irgendwann werde ich alles auf einen Schlag weißgrau färben lassen. Bis dahin finde ich graue Haare bei anderen Frauen weiterhin ganz toll.

Dieser Beitrag ist zuerst auf Cerstin Hennings Blog „Ich kann nicht mehr leben ohne“ erschienen. Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht.

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