Die Kollektion von Hien Le wird jede Saison mit besonderer Spannung erwartet. Wir haben ihn vor der Fashion Week getroffen.
Die Modewelt besteht nicht aus Glamour
Zwei Wochen vor der Berliner Fashion Week besuche ich den Modedesigner Hien Le in seinem Atelier in Berlin Kreuzberg. Als ich im Studio eintreffe, finde ich ihn und zwei Assistentinnen zwischen Stoffen und ersten fertigen Entwürfen um einen Tisch versammelt, an dem sie in aller Ruhe die Einladungen für die Show fertigmachen. Man möchte meinen, die Fashion Week sei noch Monate entfernt. Aber der erste Eindruck trügt, auch Hien spürt den Druck mit der näher rückenden Show steigen.
Was ihn zu seiner neuen Kollektion inspirierte und warum es wichtig ist, realistisch an den Beruf des Modedesigners heranzugehen, hat er uns erzählt.
Was war die Inspiration für deine neue Kollektion?
„Meine Frühjahr/Sommer-Kollektion 2016 ist von Tennisbekleidung inspiriert. Jedoch nicht von der Tennisbekleidung, wie wir sie heute kennen, sondern den 60er und 70er-Jahren – insbesondere der, wie man sie in Kalifornien getragen hat. Damals war die Tennisbekleidung noch viel schicker, man konnte direkt nach dem Sport in die Bar oder zum Essen gehen. Wir haben dieses mal viel mit festen Materialien gearbeitet, neu ist auch ein beschichtetes Leinen mit einem Glanzeffekt. Farblich gibt es Candy-Rosa, ein kräftiges Grün und viel Blau sowie Weiß zu sehen.“
Ich würde dich einem eher puristischen Design zuordnen. Wie beschreibst du selbst deine Handschrift als Designer?
„Bei mir ist alles auf das Wesentliche reduziert, das bin einfach ich und das will ich auch nicht ändern. Es gibt bei mir aber auch kleine experimentelle Details, die nicht gleich sichtbar sind. Wir probieren etwa viel mit Schnitten, was man auf dem Laufsteg so gar nicht sieht. In der neuen Kollektion haben wir viele Nähte ‚unsichtbar’ gemacht, wo sie sonst sichtbar wären. Das zu entwickeln dauert seine Zeit. Meist sind es genau diese Teile, die auf den Laufstegen einfach gemacht aussehen, an denen wir aber am längsten gearbeitet haben.“
Wie geht es dir eigentlich so kurz vor der Fashion Week? Hast du mit Druck zu kämpfen?
„Druck ist sowieso immer da. Man will eben den Erwartungen standhalten und gerecht werden – und es sich auch selbst beweisen. Heute ist ein guter Tag. Es ist relativ ruhig, das Telefon hat nur zwei oder drei Mal geklingelt und ich konnte mich auf das Wesentliche konzentrieren. Das ist nicht immer so. Jeden Tag passiert so viel neben der eigentlichen Entwicklung der neuen Kollektion, um das man sich kümmern muss: die Produktion, Stoffbestellungen und -anlieferungen und natürlich die Organisation zur Fashion Week. Das lässt einen manchmal die Deadline aus den Augen verlieren – doch am Ende klappt es immer irgendwie.“
Das Moodboard zu seiner neuen Kollektion. Foto: Edition F
Hast du eigentlich einen bestimmten Typ im Kopf, wenn du entwirfst?
„Ja, wenn ich anfange zu entwerfen, habe ich immer einen bestimmten Typ Frau im Kopf, der mich inspiriert. Es gibt ganz viele Frauen – und auch Männer – die ich toll finde. Eigentlich sind das meist Ikonen von vor unserer Zeit, wie etwa Faye Dunaway, Audrey Hepburn oder Paul Newman. Sie inspirieren mich immer wieder und man kann sie auch mit den heutigen It-Boys und -Girls gar nicht vergleichen. Auch wenn es natürlich heute ebenso viele tolle Menschen gibt. Doch im wahren Leben gibt es keine typische Hien-Le-Kundin. Es soll jeder Hien Le tragen, dem meine Entwürfe gefallen und der sich darin wohl fühlt. Das ist weder alters- noch typdefiniert. Das sehe ich auch an dem Feedback, das ich von Privatkunden bekomme. Das reicht von der 20- bis zur 60-Jährigen, von der schlanken bis zur kurvigen Frau – und das finde ich auch gut so.“
Seit deinem Fashion Week Debüt im Jahr 2011 bekommst du eigentlich durchgängig gute Kritiken. Kannst du dir erklären, warum du konstant gut ankommst?
„Das stimmt so gar nicht. Meine Kollektionen werden zwar mehr gelobt, als sie zerrissen werden, aber ich bekomme schon die vorhandene Kritik an meiner Arbeit mit. Doch ich kann damit umgehen, vor allem wenn es konstruktive Kritik ist. Aber ich bin natürlich froh über das grundsätzlich gute Feedback. Warum das so ist? Darüber denke ich ehrlich gesagt nicht nach. Ich freue mich einfach darüber, dass meine Arbeit so gewürdigt wird.“
Viele Designer kämpfen damit, Einkäufer auf ihre Schauen zu bekommen. Ist das auch bei dir ein Problem?
„Das ist allgemein schwierig. Man kann Berlin einfach nicht mit Paris oder Mailand vergleichen und das muss man letztlich auch nicht. Wir werden diesen Status niemals erreichen, denn wie lange gibt es denn dort bereits eine Fashion Week? Unsere ist gerade knapp zehn Jahre alt und steckt damit in den Kinderschuhen – zudem hat sie sich in der Zeit extrem gut entwickelt. Wir haben jetzt den Berliner Salon und endlich auch den German Fashion Council, auf den wir sehr lange gewartet haben. Damit sind wir auf einem guten Weg und müssen uns nun eben weiter etablieren. Man muss aber auch sagen, dass der Zeitpunkt recht ungünstig liegt. Im Juni sind parallel die Haute-Couture-Schauen und die Männerwochen, da überschneidet sich viel. Abgesehen davon ist es aber auch so, dass die deutschen Einkäufer sich davor sträuben neue oder junge Labels einzukaufen.“
Woran liegt das?
„Sie wählen eher das, bei dem sie sicher sein können, dass es sich verkauft. Es gibt nur wenige, die sich anderes trauen. Ich kann mich noch erinnern, wie ich das erste Mal auf einer Messe stand und die Einkäufer ganz begeistert waren. Dann fragten sie mich: „Gibt’s dich denn schon irgendwo zu kaufen?“ und ich verneinte, es war ja meine erste Kollektion. Dann sagten sie, sie wollen lieber noch einmal warten, denn vielleicht gäbe es mich im nächsten Jahr schon gar nicht mehr. Andersherum habe ich aber auch erlebt, dass mich Einkäufer bestellt haben und selbst insolvent gegangen sind. Der Einzelhandel ist genauso ein hartes Pflaster. Es ist ein ewiger Kreislauf, weil alle von einander abhängig sind. Das macht es so schwer.“
Was bräuchten Jungdesigner in Deutschland denn, um besser arbeiten zu können?
„Es fehlt einfach an Unterstützung. In den USA haben sie den Council of Fashion Designers of America, in Großbritannien den British Fashion Council, und deshalb bin ich so froh, dass der Grundstein dazu bei uns nun endlich auch gelegt wurde.“
Dein Label ist nun fast fünf Jahre alt. Hast du in der Zeit auch mal eine Fehlentscheidung getroffen, über die du dich noch heute ärgerst?
„Lustig, dass du das fragst. Gerade neulich habe ich gedacht: ‚Ach, hättest du nur jetzt angefangen, jetzt weißt du wie alles geht.’ Aber natürlich ist das nicht so, man beginnt immer bei Null. Und es gibt nie den richtigen Zeitpunkt, um etwas zu beginnen. Wenn man ein gutes Bauchgefühl hat und sich bereit fühlt, dann sollte man loslegen. Die letzten fünf Jahre waren ein Entwicklungsprozess, in dem ich ganz viel gelernt habe. Indem ich auch ganz viel über mich, meine Umgebung und mein Können gelernt habe. Jede Kollektion war eine neue Herausforderung, das ist mir erst in letzter Zeit bewusst geworden. Man arbeitet immer von Kollektion zu Kollektion und alles rast an einem vorbei, ohne dass man wirklich reflektieren kann. Natürlich habe ich Fehler gemacht, die ich nun nicht mehr machen würde. Aber aus den Fehlern habe ich gelernt und sie gehören dazu. Das was ich mache, ist meine Passion. Wenn das nicht so wäre, wäre ich nicht da, wo ich heute bin und könnte nicht machen, was ich mache. Viele junge Designer sehen die Branche illusorisch, das merke ich auch teilweise an meinen Praktikanten. Manche verstehen das Business, aber manche denken eben auch, das sei alles nur Glamour und sind dann enttäuscht, wenn sie den Alltag kennenlernen. Man muss das wirklich wollen, denn es ist ein steiniger Weg. Auch ich wusste von Beginn an, dass es schwierig wird. Aber wie schwierig es wirklich werden würde, das habe ich nicht geahnt. Doch so geht es wahrscheinlich den meisten, die sich selbstständig machen. Am Ende ist es eben Neuland.“
Was ist deine Vision für die nächsten fünf Jahre?
„Das nächste Ziel ist erst einmal die Fashion Week. Aber natürlich hat man Wünsche. Gerade gibt es Interessensbekundungen für Kooperationen und ich fände es toll, wenn sich da was ergibt. Aber letztlich sage ich mir einfach: ‚Mal sehen, was die Zukunft bringt’.“
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