Muss man eigentlich immer ganz genau wissen, wie das Leben weitergeht? 5-Jahrespläne aufstellen und Lifegoals festhalten?
Oder darf man auch einfach guten Gewissens sagen: “Ich habe keine Ahnung. Aber ich stehe dazu.” Eine Kolumne.
Apfel oder Banane, Bus oder Bahn, Griechenland oder Schweden – Möglichkeiten über Möglichkeiten fordern uns im Alltag
immer wieder heraus. Täglich treffen wir Hunderte kleiner
Entscheidungen, um den Tag zu meistern. Doch was ist eigentlich mit der
einen, mit der vielleicht wichtigsten Frage: Was willst du mit deinem
Leben anfangen?
Meine Lebensplanung geht momentan genau
bis zur nächsten Woche. Klar, für die Zeit danach gibt es Anker,
Fixpunkte, bei denen ich weiß, was in etwa passieren wird. Ein Konzert,
ein Flug, eine Hochzeitseinladung. Ein grober Plan für die kommenden
zwölf Monate besteht da irgendwo, alleine schon aufgrund des Studiums,
das noch etwa so lange gehen wird.
Aber sonst? Nichts.
Lebensmodell: durchgetaktet
Und was
willst du so machen? Vor dieser Frage hatte ich früher immer Angst. Ich
fand es einschüchternd, mit anderen zu reden, die klare Visionen von
ihrer Zukunft hatten, die ganz genau zu wissen schienen, was sie
wollten.
Abi mit 18, Bachelor mit 21, Master mit
23, fester Job mit 24. Ist das ein perfekter Lebenslauf, ist es das, was
man anstreben sollte? Der Kampf auf dem Arbeitsmarkt wird immer härter,
mache Branchen sind absolut hoffnungslos – sagt man. Am besten
Ingenieurswesen studieren, damit ist man auf der sicheren Seite und
super gefragt – sagt man.
Aber was sagst du? Muss man wirklich mit
18 schon wissen, worin man gut ist? Womit man den Rest seines Lebens
verbringen will? Die Entscheidung für oder gegen einen Beruf, für oder
gegen ein Studium fiel mir (genauso wie wohl vielen anderen) wahnsinnig
schwer. Ich hatte immer das Gefühl, mich damit auf etwas festzulegen und
mein Leben möglicherweise in eine Richtung zu lenken, die mir letztlich
nicht gefallen könnte.
Die Qual der Wahl – ein Luxusproblem der Extraklasse
In der Schule wusste ich nie, was ich
später werden will. Und das hat sich – wenn ich ganz ehrlich bin – bis
heute nicht geändert. Französisch- oder Englisch-LK? Das waren die
schweren Fragen meines Schüler-Lebens. Heute ist es: Journalismus?
Marketing? Social Media? Professioneller Hörbuch-Hörer?
Als ich klein war, wollte ich Lehrerin
werden. Als ich nicht mehr ganz so klein war, Schriftstellerin. Doch mit
den Jahren verflüchtigte sich das Bild von meinem zukünftigen Ich.
Keiner der Berufe, über die ich mich informierte, schien so richtig zu
mir zu passen, in kein mögliches Bild schien sich mein Leben so richtig
einfügen zu wollen.
Während um mich herum jeder anfing,
irgendetwas zu sein wollen – sei es Umweltretter, Top-Anwalt oder
Herzchirurg – so reifte in mir einfach kein konkreter Wunsch heran.
Beunruhigend fand ich das nicht, zumindest zunächst. Ich war jung, ich
war noch lange nicht mit der Schule fertig und Sorgen um den künftigen
Werdegang schienen mir unendlich weit weg.
Wenn einfach kein Schuh passen will
och mit dem Abi in der Tasche und einem
ganzen Leben auf dem Serviertablett kam ich dann doch ins Straucheln –
was um Gottes Willen anfangen mit dieser Situation? Hinausgestoßen in
eine Welt, die Wirklichkeit genannt wird und in der von jedem verlangt
wird, irgendetwas zu tun. Ich wälzte Internetseiten, ich ging
zu Informationstagen, alle mit einem Ergebnis: Nichts passte zu mir,
nichts löste in mir wahre Freude und Begeisterung aus. Normalerweise
kann man fühlen, wenn man den richtigen Weg einschlägt – doch bei allen
möglichen Optionen, fühlte ich einfach: nichts.
Ich weiß, es ist ein echtes
Luxusproblem, einfach zu viele Möglichkeiten zu haben, davon kann man
eigentlich nur träumen. Doch für viele – darunter auch für mich – kann
es auch zu einer Qual werden lassen. Es ist kein Wunder, dass
Auslandsjahre, Work-and-Travel-Erfahrungen und Co. so beliebt sind wie
nie. Natürlich um Abenteuer zu erleben, aber auch, um die Entscheidung
aufzuschieben. Diese Frage: Was willst du mit deinem Leben anfangen,
jetzt, wo DU darüber entscheiden kannst?
Wieso ich mich wirklich gerne überraschen lasse
Gückliche Fügungen und Umstände, mit denen ich nie gerechnet hätte, haben
mich nun dahin gebracht, wo ich momentan bin: mitten in Köln – einer
Stadt, von der ich nie gedacht hätte, mal dort zu landen – und offen für
alles. in einem Studiengang, der mich sicherlich wieder an einen Ort
führen wird, den ich mir heute noch gar nicht ausmalen kann.
Und wisst ihr was? Ich will es auch gar nicht anders haben. Ich finde es
unnötig, zu wissen, was genau ich heute in zwei Jahren mache. Ich halte
nichts von 5-Jahres-Plänen und durchgetakteten Lebensläufen. Zwar plange ich unheimlich gerne im Kleinen, strukturiere meine Tage und freue mich, wenn der Plan aufgeht – aber wenn es um das große Ganze geht, lasse ich mich wirklich gerne überraschen.
Worauf es bei diesem Luxusproblem wirklich ankommt
Ein Makel?
Vielleicht für andere, ich sehe das anders. Je mehr man sich über die
Zukunft Gedanken macht, umso mehr schränkt man das Potential ein, das in
ihr liegt. Deswegen lehne ich mich einfach ganz entspannt zurück und
freue mich auf die Dinge, die da kommen.
Wenn mich jemand nach meinen Plänen
fragt, sage ich deshalb auch ganz offen: Ich weiß nicht, wie ich mal
leben, wo ich mal arbeiten oder was ganz genau ich machen will.
Hauptsache, ich bin glücklich. Denn das ist es doch, worauf es ankommt.
Nicht darauf, was wir machen, sondern darauf, wie wir es machen.
Diese Kolumne erschien zuerst auf glowing