Männer hören nicht gern, dass für Frauen Übergriffe mittlerweile zum Alltag gehören. Lieber stellen sie sich taub und streiten das Problem ab.
„Ich hab mich noch nie unsicher gefühlt! Selbst nachts um drei habe ich mich noch nirgends unsicher gefühlt.“ Diese zwei Sätze machen mich seit etwa vier Wochen wütend und zeitgleich traurig. In meinem Kopf spiele ich immer wieder die gleiche Gesprächssituation durch und fühle immer wieder die gleiche ohnmächtige Wut. Denn diese Worte kamen von einem Mann. Einem großen, breitschultrigen bärtigem Mann Ende 30. Einem Mann, der nicht verstehen konnte, warum ich mich nachts an gewissen Orten wie leeren U-Bahn-Stationen, halbbeleuchteten Straßen oder Schritten, die sich hinter mir beschleunigen unwohl fühle. Warum ich mich nicht immer sicher in meiner Haut fühle. Warum ich mir manchmal dreimal überlege und abwäge, welchen Heimweg ich nach Hause wähle oder ob es nicht doch sicherer wäre, mir ein Taxi zu bestellen. Und während er diese Sätze voller Überzeugung sagte, sah mich voller Ungläubigkeit an und schüttelte gleichzeitig voller Überheblichkeit seinen Kopf über mich.
Warum zählt meine Meinung nicht?
Wie ein bockiges Kind beharrte er darauf, dass ich im Unrecht wäre. Felsenfest verteidigte er seine Meinung, dass es völlig unverständlich sei, warum ich anders als er empfinde. Von dieser Meinung war er nicht abzubringen, denn während er sich völlig taub gegenüber meinen persönlichen Erlebnissen und Empfindungen zeigt, versuchte er gleichzeitig mir seine Meinung aufzudrücken und mir zu beweisen, dass ich übertreiben würde. Was mich im Rückblick betrachtet ganz besonders an dieser Situation stört, ist nicht unbedingt, dass er mich in typischer Mansplaining-Manier behandelt hat, sondern dass es ihm so wichtig war mich als übersensible hysterische Frau vor ihm selber und den anderen Anwesenden hinzustellen. Warum war es für ihr inakzeptabel zu akzeptieren, dass ich Männer in gewissen Situationen als eine potenzielle Bedrohung wahrnehme?
Warum muss ich mich dafür rechtfertigen so zu empfinden? Ich bin nicht übermäßig schüchtern oder überängstlich, sondern meine realen Alltagserlebnisse haben mir gezeigt, dass Männer meine Grenzen und meinen persönlichen Schutzraum regelmäßig ignorieren. Dazu gehören die relativ harmlosen Sachen, wie Anstarren und Bequatschen im Bus, während man selber die Musik auf dem Handy immer lauter stellt und konzentriert aus dem Fenster starrt und hofft, dass der Typ bitte nicht an der Haltestelle mit einem aussteigt. Oder das ungenierte und anmaßende Anfassen an Arm, Schulter oder Hüfte anfassen, während man in einer Menge oder einem vollem Aufzug steht. Damit habe ich mich trauriger Weise sogar arrangiert, denn diese Situationen sind für mich Alltag seit ich etwa 11 Jahre alt bin und mein Körper fraulicher wurde. Solche Situationen und entsprechende Vermeidungsstrategien sind so sehr in meinem Denken verinnerlicht, dass ich meist schon gar nicht mehr drüber nachdenke. Ich kann mittlerweile an mir beobachten, wie ich es generell vermeide fremden Männern direkt oder zu lange in die Augen zuschauen.
Es kann immer passieren
Schon zweimal habe ich Männer angezeigt, die hinter mir in der Straßenbahn bzw. dem Regionalexpress am helllichten Tag um die Mittagszeit herum masturbiert haben? Einmal wurde das Verfahren eingestellt, da der Täter nicht vorbestraft war und einmal wurde der Täter auf Grund seiner Bewährungsauflagen zu einer Geldstrafe verurteilt. Einer der Vorfälle ist übrigens auf der Bahnstrecke zwischen Leipzig und Chemnitz passiert, auf der nun Frauenabteile eingeführt wurden. Offenbar und traurigerweise zu recht. Während meiner Ausbildung im Einzelhandel hat mir ein männlicher Kunde einfach an den Busen gefasst, mit der Begründung mein Namensschild während verdreht. Warum ich den Kunden danach bei weiteren Besuchen im Laden nicht mehr bedienen wollte, war für meine männlichen Kollegen allerdings schwer nachvollziehbar. Und als ich während des Studiums in der Gastronomie gearbeitet habe, wurde ein Bewohner des Hauses in dem sich der Laden befand zudringlich und hat sich während meiner Schicht, als ich morgens vor der Öffnung noch allein war, in die Küche geschlichen und mich in eine Ecke gedrängt. Auf meine Befreiungsversuche reagierte er aggressiv und bezeichnete mich dann als „Flittchen, das doch darauf steht, seinen Freund zu betrügen.“ Wie gefährlich diese Situation war habe ich erst zwei Tage später wirklich realisiert und war sehr dankbar, als mein damaliger Chef ihm dann deutlich seine Grenzen gezeigt hat. Allerdings stieß er auf taube Ohren und der Typ fühlte sich weiterhin im Recht und hat dann über mich schlecht geredet. Schon absurd, denn kurze Zeit vorher wollte er mir doch noch unbedingt einreden, wie sehr ich auf ihn stehen würde.
Und ich könnte noch mehr Beispiele aufzählen. Also JA VERDAMMT, ich habe das Recht darauf mich unsicher zu fühlen. Nicht nur nachts, oder an neuen Orten, sondern auch an Orten, an denen ich mich eigentlich sicher und geborgen fühlen müsste. Und ich habe das Recht darauf, darüber zu sprechen. Und ich will mir vor allem nicht von einem Mann verbieten lassen darüber zu sprechen, wie ich mich als Frau zu fühlen habe. Im Gegenteil, ich will das er zuhört und einmal versucht sich in diese Situationen hineinzuversetzen. Vielleicht erschüttert das ja sein privilegiertes Weltbild, aber dieses Problem ist real. Nicht nur für mich, sondern für den Großteil aller Frauen. Und jede Frau hat mindestens eine dieser Geschichten und oftmals leiden wir noch lange darunter. Und obwohl es nicht unsere Schuld ist, wird uns doch immer wieder vermittelt, wir müssten uns dafür rechtfertigen. Selbst gerade beim Schreiben dieses Textes hatte ich den Gedanken zu schildern, was ich in solchen Situationen anhatte. Dabei ist es unerheblich, selbst wenn ich dabei nackt getanzt hätte, hätte mir das nicht passieren dürfen. Also ja, es gibt ein Problem und ich will, dass die Männer in meinem Umfeld mir verdammt noch mal zuhören und das endlich erst nehmen!