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Justitia, wir haben ein Problem:

ein Anwältinnenproblem

 

“Das Anwältinnenproblem” titelte die Kolumne der NJW vorige Woche in der Ausgabe 15/2016 auf Seite 7.

Rechtsanwalt Markus Hartung von der Bucerius Law School in Hamburg reflektierte über den Rechtsmarkt und malte mit Zahlen und Prozentsätzen (woher auch immer diese stammten) das “Anwältinnenproblem der deutschen Rechtsbranche” in … naja, in was eigentlich? Tatsächlich wollte er es nämlich nur als ein “Problem” der Großkanzleien verstanden wissen, also der ca. 7.600 Anwältinnen und Anwälte, die dort arbeiten, ca. 0,05 % aller in Deutschland zugelassenen Anwälte. Das “Anwältinnenproblem” – glaubt man den Zahlen der Kolumne – betrifft damit nur etwa 2.500 Anwältinnen, d.h. 0,015 % der deutschen Anwälte, und davon offensichtlich auch nicht alle. Also alles bestens: wenn wir sonst keine Probleme haben! 

Doch was genau ist dieses “Anwältinnenproblem”: Was macht Anwältinnen zum Problem? Und für wen? Ist es das Problem der Anwältinnen? Das Problem mit den Anwältinnen? Man weiß es nicht so genau. 

Sprache ist machtvoll.

Sie kann die Dinge nicht nur bezeichnen, sondern auch bewerten, ja sogar erschaffen. Deshalb haben wir heute nicht nur die Berufsbezeichnung Anwalt sondern auch die der Anwältin:
 

Genau genommen haben wir die Anwältinnen erst seit ungefähr 100 Jahren. 1916 legte Maria Otto als erste deutsche Jurastudentin ihr Erstes juristisches Staatsexamen ab. Es folgten mehrere Jahre erfolgloses Ringen um die Zulassung zum Zweiten Staatsexamen. Erst nach dem ersten Weltkrieg wurde es schließlich genehmigt, ebenso wie die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (und übrigens sofort wenige Jahre später unter den Nationalsozialisten wieder entzogen). Bis dahin war der “Anwalt” mehrere Jahrhunderte ein reiner Männerberuf gewesen. 

Haben wir heute – hundert Jahre später – eine ausgewogene Verteilung von Männern und Frauen beim ersten und zweiten Staatsexamens und fast 40 % Anwältinnen und Richterinnen, ist dies ein grandioser Erfolg. Kein Problem. 

Erst recht, wenn die ernstzunehmende Zukunftsstudie des DAV von 2013 (also schon vor drei Jahren) dem deutschen Anwaltsmarkt prognostizierte “Die Zukunft der Anwaltschaft ist weiblich”. Freilich, und hier muss man genau sein, wird weiblich dabei nicht im Sinne des Geschlechtes verstanden, sondern dahin, dass sich der Beruf des Anwaltes verändert und zukünftig vor allem die bislang als “typisch weiblich” eingestuften Soft-Skills (wie Kommunikation, Emotionale Intelligenz, Kooperation und Diplomatie) erfordern wird. 

Ein “Anwältinnenproblem” kann ich nicht sehen:

Weder ein Problem mit den Anwältinnen. Noch sehe ich ein Problem der Anwältinnen. Als Anwalts-Karrierecoach und Anwältin weiß ich das. Als Kooperationspartner für Panda UniversityLaw@EBS höre ich dies auch von der nächsten Anwaltsgeneration, den vielversprechenden Nachwuchsjuristinnen:

Wenn also “Großkanzleien und Anwältinnen nicht zusammengehen”, dann fragt Euch, warum wir nicht mit den großen Jungs spielen wollen! 

Neulich wurde ich von dem Verantwortlichen für Förder- und Weiterbildungsprogramme einer der Top10-Kanzleien gefragt: “Wie können wir unsere Frauenförderprogramme endlich so gestalten, dass wir damit unsere Anwältinnen langfristig halten?”

Hört endlich auf, uns zu fördern! Fangt an, uns zu fordern!

Und damit meine ich Anwältinnen wie Anwälte. Fangt an Euch vorzustellen, wie diese prognostizierte Zukunft der Anwaltschaft aussieht, in der ebenso viele Anwältinnen wie Anwälte Partner sind, in der es nicht einmal mehr darauf ankommt, ob man Anwältin oder Anwalt ist, sondern nur noch darauf, ob man über die gefragten Soft-Skills verfügt – und eine charismatische Persönlichkeit ist. 

Und fangt an Euch zu fragen, was dieser Zukunft im Weg steht. Förderung war lange wichtig. Doch jetzt ist diese Etappe vorbei. Nun geht es um nichts weniger, als ein geschlechtsunabhängiges Berufsbild zu schaffen. Andere Top 10 Kanzleien wie Luther beispielsweise haben Frauenförderung komplett eingestellt und setzen auf Karriereentwicklung insgesamt wie mir der Verantwortliche Kollege versicherte. “Genderkonzepte” und das Thema “Gender Diversity” sind für diese Kanzleien Schnee von gestern. Dort geht es längst um Karriere- und Familienförderung. 

 Was bei der ganzen Diskussion stört, ist, dass die Kollegen in den Entscheidungspositionen Kolleginnen immer noch aus der väterlichen Perspektive sehen.

Und nicht etwa aus der partnerschaftlichen. Der Unterschied ist die Augenhöhe. Keine Förderung, kein professionelles Mentoring, ja noch nicht einmal eine Elternschaft ist gelungen, wenn am Ende nicht die gleichberechtigte Eigenverantwortung steht. Wer selbst Kinder hat, weiß, dass dies unbestritten der schwierigste Teil ist – ohne den aber alle vorherigen Investitionen und Förderungen sinnlos waren! 

Die Zukunft der Anwaltschaft ist weiblich. Stellen Sie sich vor, es ist Zukunft – und Sie sind es nicht. 

Wenn Großkanzleien ihren Kurs der letzten 20-30 Jahre beibehalten, werden sie nicht zukunftsfähig sein. Beispiele aus der Wirtschaft, in denen alte Patriarchen nicht rechtzeitig Verantwortung an die nächste Generation übertragen konnten oder wollten und damit ganze Imperien dem Untergang weihten, gibt es zur Genüge. Da muss man nicht erst an die Dino´s erinnern. Wenn uns die Evolution eines gelehrt hat, dann, dass nur die, die sich an veränderte Umstände anpassen – so sehr sie es auch hassen und für überflüssig halten – überleben werden. 

Wir Hausfrauen, Mütter und Sekretärinnen haben uns in den letzten hundert Jahren u.a. zu Anwältinnen “gemausert”. Wir haben bewiesen, dass wir uns ändern können. Wir haben kein Problem mit der Zukunft. Wir sind auf sie vorbereitet. 

Ein Problem hat, wer sich nicht verändert:

Justitia wir haben ein Problem – ein Großkanzleienproblem. 

Aber Vorsicht: Sprache ist machtvoll. Das sollte selbst ein Dinosaurier wie die NJW wissen. 

In diesem Sinne –

Herzlichst,

Ihre Dr. Geertje Tutschka, ACC 

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