Foto: piyabay

„Wer ohne Verkleidung kommt, muss eine Penisbrille aufsetzen“

Man hasst es oder liebt es: das Verkleiden für Karneval-Partys. Wie gehen Paare damit um?

 

Fasching mit Philosophen

Montag morgen. Wir sitzen am Frühstückstisch.

„Komm heute bitte nicht zu spät“ sage ich zu Heinrich. „Du weißt, wir sind eingeladen“

„Ach so?“ fragt Heinrich.

„Ja, das Faschingsfest von Mara!“

„Das was…?“

„Das Faschingsfest“

„Faschingsfest? Du meinst mit Verkleiden und so?“

„Ja“ sage ich. „Meistens gehört das zum Fasching dazu“

„Ich verkleide mich nicht“, sagt Heinrich.

„Ach, komm schon. Im alten Griechenland haben die auch einmal im Jahr Unsinn gemacht.“

Heinrich sieht mich an.

„Du meinst die Dionysienfeste?“

„Ja, genau“

„Die Dionysienfeste waren Ereignisse von hoher kultureller Bedeutung.“

„Ja, aber es ging auch um Exstase! Die Menschen haben Dionysos gehuldigt und sich dem Rausch hingegeben.“

„Mag sein. Beim deutschen Fasching haben Menschen Pappnasen auf, bewerfen sich mit Luftschlangen und machen anzügliche Witze!“

„Was spricht dagegen, einmal im Jahr im Jahr in Exstase zu geraten sind und eine kathartische Reinigung der Seele zu erfahren!“

„Ich muss meine Seele nicht kathartisch reinigen!“

„Heinrich, bitte! Mara hat die ganze Woche das Fest vorbereitet. Sie hat sogar einen DJ engagiert und hat extra eine Diskokugel besorgt!“

Heinrich sieht mich an.

„Es gibt eine Diskokugel?“

„Ja. Ach komm. wir werden bestimmt Spaß haben!“

„Du vielleicht“ sagt Heinrich.

Am selben Abend sitzen wir in Heinrichs Auto auf dem Weg zu Mara.

Ich habe schwarze Leggings, eine Katzenmaske und einen Katzenschwanz aus Plüsch an meinen Gürtel geheftet.

Heinrich hat ein weißes Hemd und Jeans an.

„Du weißt schon, dass Mara gesagt hat, dass diejenigen, die nicht verkleidet sind, eine Penisbrille anziehen müssen.“

„Eine was?“

„Eine Penisbrille. Das ist eine Brille mit durchsichtigen Gläsern und einem Plastikpenis dran.“

Heinrich sieht mich von der Seite an und sagt nichts.

Spaß haben ohne Kostüm?

Als wir bei Mara ankommen, kommt sie uns in einem Catwoman-Kostüm mit einer Peitsche entgegen. Dann sieht sie Heinrich.

„Oh oh“, sagt sie und holt die Penisbrille. Heinrich sieht mich an.

„Ich habe dich gewarnt“, sage ich.

Mara setzt Heinrich die Penisbrille auf. Mit der Penisbrille auf der Nase holt er sich einen Rotwein und setzt sich schweigend ohne mich noch einmal anzusehen in einen Ledersessel.  Ich lasse ihn gehen, entschlossen, dann eben alleine einen exstatisch-dionysisischen Abend zu verbringen. Ich hole mir ein Glas Prosecco gehe zur Tanzfläche, wo ein Pandabär mit einer Polizistin tanzt. Plötzlich merke ich, wie mir auf dem Weg dorthin ein Clown meinen Plüschschwanz klaut. Als ich ihn zurückverlange, fragt der Clown, ob ich mir da sicher sei, dass ich einen Schwanz von ihm wolle und kichert dabei. Ich hebe die Augen zum Himmel und gehe zum Büffet. Dort steht ein Gorilla, der gedankenverloren auf die Käseplatte starrt. Ich versuche irgendeinen Scherz über Hypnose und Käse zu machen, da zieht sich der Gorilla die Maske aus und beginnt zu weinen. Seine Freundin habe ihn gerade verlassen und ihm sei überhaupt nicht nach Feiern zu mute. Ich versuche, ihn zu trösten und gehe dann zu Mara. Die hat sich unterdessen mit ihrer Peitsche selbst gefesselt und liegt in den Armen eines Mannes mit einem Hawaiihemd und einer Pappnase. Als mir jemand eine Luftschlange ins Gesicht bläst reicht es mir. Ich gehe zu Heinrich. Dieser sitzt immer noch mit der Penisbrille auf der Nase auf dem Ledersessel. Nur, dass unterdessen um ihn herum lauter Bacchantinnen stehen. Auf seinem Schoß eine Nymphe mit Netzstrümpfen. Irgendwann lockt sie ihn auf die Tanzfläche. Die Diskokugel dreht sich. Heinrich ist außer Rand und Band. Irgendwann kommt ein Satyr und bekränzt ihn mit einem Kranz aus Myrrhe.

„Heinrich“ rufe ich. Aber Heinrich hört mich nicht.

Im bachantischen Taumel huldigt er Dionysos und reinigt kathartisch seine Seele.

Das Leben ist ungerecht.

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