Wie kann es sein, dass sich die Tochter des extrem korrupten und zu jahrzehntelanger Haftstrafe verurteilten peruanischen Ex-Präsidenten Alberto Fujimori zur Wahl stellen darf, während sie gleichzeitig die Begnadigung ihres Vaters fordert? Erinnern sich die Wähler nicht daran, was für unglaubliche Verbrechen vor 15 Jahren in ihrem Land begangen wurden?
Keiko Fujimori – Perus zweifelhaftes politisches Erbe
Als ich im Januar dieses Jahres durch Peru reiste, fielen
mir unweigerlich die grellen Schriftzüge auf etlichen Hauswänden ins Auge. Die riesengroßen, handgemalten Buchstaben warben für KEIKO, PPK oder ALAN – die peruanischen Präsidentschaftskandidaten
der Wahlen am 10. April.
Ein Name fiel besonders ins Auge und ließ Ungläubigkeit und schlichtes
Entsetzen in mir aufkommen: Keiko Fujimori ist niemand anders als die Tochter
des inhaftierten ehemaligen peruanischen Staatsoberhaupts Alberto Kenya
Fujimori, der von 1990 bis 2000 im Andenland regierte. Alberto Fujimori wurde durch
den peruanischen Kongress seines Amts enthoben und sitzt seit 2010 wegen Mordes,
Korruption, Entführung, Folter und Verletzung der Menschenrechte im Gefängnis.
Die neoliberal-konservative Keiko stellte sich dieses Jahr erneut zur Wahl – im Wahljahr 2011 hatte sie knapp gegen den amtierenden
Ollanta Humala verloren – und sie lag kurz vor den Wahlen, Umfragen zufolge, mit 30 Prozent weit vorn.
Und das trotz wiederholter Vorwürfe, die Diktatorentochter habe Wählerstimmen
gekauft, woraufhin tausende von Menschen in Lima auf die Straße gingen und den
Ausschluss der Spitzenkandidatin von den kommenden Wahlen forderten.
Tritt Keiko also bereits vor Amtsantritt in die Fußstapfen
ihres berühmten Vaters? Ist das Gedächtnis der peruanischen Gesellschaft
einfach so schlecht, dass sich die Wähler nicht daran erinnern, was vor 15
Jahren in ihrem Land für unglaubliche Verbrechen begangen wurden?
Keine Distanzierung vom Vater
Mir stellt sich die Frage, wie es überhaupt sein kann, dass
sich die Tochter eines dermaßen korrumpierten und zu jahrzehntelanger
Haftstrafe verurteilten Ex-Präsidenten wenige Jahre später selbst zur Wahl
stellen darf? Dieselbe Tochter, die nach der Scheidung ihrer Eltern die Rolle
der
First Lady an der Seite ihres korrupten Vaters eingenommen hatte? Deren Studium
an der privaten Boston University durch veruntreute Staatsgelder finanziert
wurde? Deren Konto als BWL-Studentin mit Anfang zwanzig auf wundersame Weise
Millionen von US-Dollars schwer war? Die ihre eigene Mutter verleugnete,
nachdem ihr Vater diese eingesperrt und gefoltert hatte? Die Führerin der
politischen Gruppe „Fujimorista“ ist, welche unter anderem die Begnadigung Alberto Fujimoris
fordert?
Ich würde zumindest bezweifeln, dass die Tochter, die bis zu
ihrem 18. Lebensjahr bei ihrem Vater lebte, diesen zu Staatsempfängen und
Pressekonferenzen begleitete und sich, zumindest in der Öffentlichkeit, mit
Alberto Fujimori als ein Herz und eine Seele präsentierte, sich ideologisch und
menschlich ausreichend von ihrem Vater distanzieren kann, wenn sie das bisher nicht
getan hat. (Nicht zu sprechen von ihrer fehlenden Arbeitserfahrung.)
Keiko steht politisch für eine verschärfte Sicherheitspolitik,
die Liberalisierung der Wirtschaft und die Wiedereinführung der Todesstrafe. Und
für die Begnadigung ihres Vaters. Hieraus ergibt sich ein Widerspruch, der an
ihrer Nähe zu Alberto Fujimori keine Zweifel mehr aufkommen lässt.
Eckdaten des Terrors
Ich möchte an dieser Stelle ein paar Eckdaten des
Fujimori-Regimes anreißen, um einen besseren Überblick darüber zu geben, warum
kein Sympathisant des ehemaligen Staatsoberhaupts ein politisches Amt innehaben
sollte.
Zuerst einmal muss klargestellt werden, dass Alberto
Fujimori kein Peruaner ist. Er ist Sohn japanischer Eltern, in Japan geboren.
Da ihm durch seine japanische Staatsbürgerschaft jedoch das Amt des Präsidenten
von Peru unzugänglich geblieben wäre, fälschte er kurzerhand seine
Geburtsurkunde, in der von nun an Lima, Peru, als Geburtsort angegeben war.
Der politische Außenseiter besaß im Kongress keine Mehrheit.
Dieses Problem beseitigte Fujimori, indem er 1992 kurzerhand mit Unterstützung
des Militärs die Verfassung außer Kraft setzte und das Parlament auflöste.
Gleichzeitig suspendierte er die Judikative und setzte seine persönliche
Notstandsregierung ein. Über die neu verabschiedete Verfassung wurde nie
abgestimmt. Die Regionalparlamente wurden trotzdem auf der Grundlage dieser aufgelöst,
und Albertos autoritäre Scheindemokratie nahm ihren Lauf.
Den so genannten Selbstputsch hatte Fujimori neben der
Wirtschaftskrise auch durch die große Terrorismuswelle gerechtfertigt, welche
das Land zu Beginn der Neunziger Jahre in Angst und Schrecken versetzte. Nach
seinem Selbstputsch gelang Fujimori im selben Jahr zwar die Zerschlagung der
terroristischen Gruppierungen, allen voran der maoistischen Organisation Sendero
Luminoso (Leuchtender Pfad). Inzwischen
ist aber belegt, dass der Diplom-Landwirt bereits vor Antritt seiner Amtszeit
wusste, wo sich Abimael Guzmán, der führende Kopf des Sendero Luminoso, aufhielt.
Doch anstatt dem Guerillakrieg zu jenem Zeitpunkt ein Ende zu setzen und
Hunderte von Menschenleben zu retten, gaben Fujimori und seine rechte Hand Vladimiro
Montesinos der Polizei den Befehl, Guzmán gewähren zu lassen, bis der für
Fujimoris Karriere günstigste Moment gekommen war – dies ist durch Aufnahmen
von Telefongesprächen und Videoaufnahmen von Schmiergeldzahlungen durch
Montesinos an einen hohen Militärfunktionär belegt.
Unter Fujimoris Regime wurde dem Terror ein Ende gesetzt,
dies jedoch mittels zahlreicher Menschenrechtsverletzungen und Opfer. Auf Fujimoris Befehl hin ermordete die Todesschwadron des peruanischen
Geheimdienstes, Gruppe Colina, Anfang der Neunziger 25 Zivilisten. Viele
weitere Fälle von Folterungen, Erpressungen, Morden und Korruption sind
bekannt.
Das Regierungsprogramm Fujimoris umfasste unter anderem die
Liberalisierung des Außenhandels und die Privatisierung staatlicher Unternehmen.
Überraschende, drastische Sparmaßnahmen zur Sanierung der Wirtschaft betrafen
vor allem die armen Bevölkerungsschichten, Fujimoris Wähler. Im Zuge der
Privatisierung der Staatsunternehmen wurden um die 30 staatliche
Unternehmen in kürzester Zeit zu einem Bruchteil ihres eigentlichen Wertes an
ausländische (vor allem amerikanische und chilenische) Unternehmen verkauft. Fujimoris
„Zwangsversteigerungen“ halfen zumindest, die peruanische Wirtschaft teilweise zu
sanieren.
Zwangssterilisationen und Folter
Fujimori wird außerdem vorgeworfen, Zwangssterilisationen peruanischer
Frauen angeordnet zu haben. Diese wurden mit einem „Impfstoff” injiziert, der
zur Unfruchtbarkeit führte. Als seine damalige Ehefrau Susana den
Ex-Präsidenten 1994 zur Rede stellte, schloss er sie kurzerhand in einem Zimmer
des Regierungspalastes ein und ließ sie wochenlang foltern. Seine älteste
Tochter Keiko nahm daraufhin die Stelle der First Lady bis zum
Ende von Fujimoris Amtszeit ein.
Im Jahr 2000 ließ sich Fujimori zum dritten Mal zum peruanischen
Staatsoberhaupt wählen – obwohl die peruanische Verfassung eine Drittwahl nicht
vorsah – und gewann offiziell mit der absoluten Mehrheit von 74 Prozent der Stimmen.
Tausende gingen auf die Straße, um gegen Wahlbetrug und für Demokratie in ihrem
Land zu kämpfen. Nach seinem Sturz im November 2000 floh Alberto Fujimori
kurzerhand in sein Heimatland Japan, wo er sich offiziell zum japanischen
Staatsbürger deklarierte und per Fax sein Amt als Präsident Perus niederlegte. Im Jahr 2009 stand Fujimori endlich wegen
Mordes und schwerer Menschenrechtsverletzungen vor einem peruanischen Gericht
und wurde zu 25 Jahren Haft verurteilt.
Nachdem wir all dies über Alberto Fujimoris Verbrechen
gehört haben und um die Schlüsselrolle wissen, die seine treue Tochter während
seiner Amtszeit spielte und immer noch spielt, ist es schwierig
nachzuvollziehen, dass sich Keiko Fujimori überhaupt zur Wahl stellen darf. Noch
schwerer fällt es mir zu glauben, dass peruanische Wähler erneut für ein Fujimori-Regime
stimmen könnten. Trotzdem galt Keiko als eine der Topkandidatinnen.
Und so war auch das Ergebnis der ersten Wahlrunde am 10. April wenig überraschend: Keiko Fujimori verfehlte zwar die nötige 50-Prozent-Mehrheit, holte aber mir 39 Prozent den höchsten Stimmenanteil, vor dem ehemaligen Wirtschaftsminister Pedro Pablo Kuczynski mit 24 Prozent. Wer das nächste Staatsoberhaupt Perus wird, soll nun Anfang Juni eine Stichwahl entscheiden.
Bildquelle: flickr
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