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Bewerbung: Hört endlich auf, Anschreiben zu verlangen!

Die Deutsche Bahn hat beschlossen, von ihren Bewerber*innen künftig keine Anschreiben mehr zu verlangen. Ist das eine gute Idee?

 

Was sagt ein Motivationsschreiben aus? 

Die Bahn hat Nachwuchssorgen und setzt die Hürden niedriger für Bewerber*innen: keine Anschreiben mehr, nur noch Lebenslauf und Zeugnisse. Für Schüler*innen sei so ein Motivationsschreiben zu schwierig, erklärte der DB-Konzern seine Entscheidung. 

Man kann über dieses Statement diskutieren. Sollte man von einem*r Schulabgänger*in in diesem Land nicht erwarten dürfen, dass er*sie einen einseitigen Brief in verständlichem und fehlerlosem Deutsch hinbekommt? Eine Vielzahl von Kommentator*innen im Internet schrie deshalb auch gleich empört auf, sprach von einer Verdummung, der hier Vorschub geleistet werde, und malte die schönsten Untergangsszenarien. 

Schreibt das Anschreiben wirklich der*die Bewerber*in?

Natürlich sollte man von einem*r Schüler*in erwarten können, dass er*sie sich ausdrücken kann. Aber mal ehrlich, ist ein Anschreiben dafür der Garant? Wer einigermaßen Verstand hat, der*die lässt sich ohnehin bei den ersten Versuchen helfen, durch Eltern, Lehrer*innen, erwachsene Freund*innen, oder konsultiert Bewerbungsratgeber*innen und produziert so Anschreiben mit den ewig gleichen Textbausteinen, an denen sich vermutlich schon Personaler*innen ins Grab gelangweilt haben. 

Ich kenne genug Erwachsene mit jahrzehntelanger Arbeitserfahrung, die sich nach wie vor bei den Anschreiben helfen lassen oder sie gleich von einem bezahlten Dienstleister schreiben lassen. Was genau bringt das Ganze also? Ein tolles Anschreiben sagt, ehrlich gesagt, gar nichts aus, denn dass es aus der Feder des*der Bewerber*in stammt, ist nicht gesagt. Wen genau man vor sich hat, wird man erst beim Gespräch erfahren. 

Verzichtet doch endlich insgesamt auf diese blöden Anschreiben!

Ich bin wirklich dafür, diese Uraltkamelle Anschreiben endlich zu streichen. Was soll denn das? Ich kenne keinen Menschen, der es nicht hasst, sich nicht einen abbrechen muss, wenn er versucht, den Mittelweg zwischen „Licht unter den Scheffel stellen“ und unerträglicher Eigenlobhudelei zu finden, der sich nicht quält, wenn er versucht darzustellen, warum gerade er die ultimative Besetzung für die Stelle ist und warum dieses Unternehmen das Nonplusultra ist („Muss ich jetzt echt schreiben, dass es schon immer mein größter Traum war, dort zu arbeiten?”). Am schlimmsten sind Einleitung und Schlussparagraf, ein einziges Gewürge für viele Leute.

Ich habe selbst schon Bewerbungen gesichtet, und mir ging es genauso, wie es wahrscheinlich einer großen Menge Personaler geht: Das Anschreiben überfliegt man – maximal. Zum einen aus Zeitgründen und zum anderen, weil in 99 Prozent der Fälle dieselben Floskeln und Textbausteine verwendet werden, aus denselben Ratgebern entnommen. Was nützt mir das? Alle sind teamfähig, motiviert, belastbar und was nicht noch alles. Ein leerer Begriff reiht sich an den anderen, daraus kann ich nichts ableiten. 

Was tue ich also? Ich schaue mir den Lebenslauf, die Stationen und Aufgaben, an und suche Schnittmengen zum ausgeschriebenen Job. Sieht es so aus, als ob der*die Bewerber*in passt? Ja, Check. Dann noch kurz die Zeugnisse überfliegen und nach verklausulierten Warnsätzen gescannt. Komplett lese ich die natürlich auch nicht. Und auf dieser Basis wird eingeladen. Das Anschreiben? Wenn es vor Fehlern strotzt, ist das ein Minus, aber ein Plus gemacht hat damit ein*e Bewerber*in bei mir noch nie.

Welche Informationen sind wirklich wichtig? 

Gefallen hat mir das Bewerbungsportal eines großen Konzerns, bei dem ich mich letztes Jahr beworben habe. Man konnte dort schlicht kein Anschreiben hochladen. Dafür gab es eine Eingabemaske mit zwei Feldern, betitelt mit „Warum du?“ und „Warum dieser Job?“. Auszufüllen, ohne Formvorgabe. In jedem Feld hatte man als Bewerber*in 500 Zeichen Platz. Klingt nach viel, ist es aber nicht. Man ist gezwungen sich kurz zu fassen und auf den Punkt zu kommen. Bei mir reichte es jeweils für drei bis vier Bulletpoints, in denen ich ganz knapp ein paar Argumente formulieren konnte. Fertig. 

Ich fand es großartig. Kein stundenlanges Ringen um den optimalen Einstieg ins Anschreiben, kein Rumdoktern am Schlussparagrafen, im Wissen, dass vermutlich niemand das Zeug wirklich lesen wird. Ein Gewinn für beide Seiten, meine ich, für Bewerber*in und Personaler*in. Es spart allen Beteiligten so viel Zeit. Den Job hab ich nicht bekommen, aber dieses Bewerbungsverfahren ist mir in Erinnerung geblieben. 

Was wird aus der Kreativbewerbung?

„Haaaaalt”, höre ich die Leute schon schreien, „was wird aus der Kreativbewerbung, dem Herausstechen aus der Masse, wo hat man dazu ohne Anschreiben noch die Möglichkeit zu?” Lagen diese Möglichkeiten denn nur im Anschreiben? Ein prinzipielles Nicht-Einfordern von Anschreiben hindert doch niemand dran, eine kreative Bewerbung zu machen. Videos, eigene Bewerbungswebseiten, Präsentationen … macht das gerne weiter. Aber es gibt eben auch eine Vielzahl von Jobs, bei denen das nicht unbedingt gefragt ist. Da ist schon in der Ausschreibung alles straff und unflexibel vorgegeben, weil es als effizienter gilt. Und trotzdem kann man sich kreativ bewerben, dafür braucht man kein Anschreiben. Das Anschreiben nervt alle Beteiligten, es nützt niemanden etwas. Warum klammern wir uns also so krampfhaft daran fest?

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