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Kitaplätze gibt es nicht? Dann bezahlt halt die Mütter!

300.000 Kleinkinder und ihre Eltern warten vergeblich auf einen Kitaplatz. Doch eine lustige, verlängerte Elternzeit ist das nicht. Keine Betreuung zu finden kann existenzbedrohend sein.

 

Eine 450-Menschen-Schlange für Kitaplätze

Etwa 300.000 Kita-Plätze sollen in Deutschland derzeit fehlen, das berichtet die BILD-Zeitung unter Berufung auf Zahlen des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Konkret bedeutet das, dass die Eltern dieser Kinder vor einem großen Problem stehen: Sie brauchen Betreuung für ihr Kind und finden keine. In Leipzig standen am Wochenende mehrere hundert Menschen vor einer Kita, bei der man Kinder anmelden konnte. Die Polizei musste das Chaos auf der Straße ordnen.

Für Familien bedeutet der fehlende Kitaplatz mehr als einen Einschnitt ihrer Wahlfreiheit und beruflicher Verwirklichung; dieser Eindruck wird oft entdeckt, wenn die Nachfrage damit begründet wird, viele Mütter „wollten“ doch so gern wieder schnell in ihren Beruf zurück. Aber davon abgesehen, dass der Wunsch danach, zu arbeiten, völlig legitim ist und bei Vätern nicht in Frage gestellt wird, „müssen“ viele Mütter wieder arbeiten. Keinen Betreuungsplatz zu finden kann existenzbedrohend sein. Denn den Luxus, für die Erziehung eines Kleinkindes mehrere Jahre den Beruf zu pausieren, können sich viele Familien schlicht nicht leisten. Das Einkommen fehlt. Ganz besonders trifft dieses Problem Alleinerziehende und andere Familien, bei denen das Einkommen zum Leben kaum reicht.

Der Kitaplatz-Mangel erschwert auch den Wiedereinstieg für Eltern, davon die meisten Mütter, die sich nach einer Baby- oder Erziehungspause neu auf einen Job bewerben müssen. Denn ohne Betreuung ist es schwierig, Bewerbungen zu schreiben oder Jobinterviews wahrzunehmen und noch schwieriger, eine zugesagte Stelle anzunehmen. 

Ohne Betreuung keine Gleichberechtigung

Die fehlenden Betreuungsplätze schreiben also die ökonomische Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in Deutschland fest. Denn heterosexuelle Paare entscheiden in der Regel entlang ihrer finanziellen Situation, wer das Kind Zuhause betreut, wenn der Kitaplatz fehlt. In Deutschland sind das überwiegend die Mütter, die in dieser Zeit vom Einkommen ihres Partners abhängig sind und vom Arbeitsmarkt noch immer für die Erziehungszeit mit weniger Karrierechancen bestraft werden. Auf Pay-Gap folgt Pensions-Gap, auf Deutsch Altersarmut. Ohne ausreichend Kitaplätze, Ganztagsschulen und Hort-Betreuung kommt Deutschland in puncto gleiche Chancen in der Berufswelt nur wenig voran.

Dabei prallen bei den Menschen, die den Kitaplatz brauchen und denjenigen, die die Kinder betreuen, zwei Themen der Gleichberechtigung aufeinander: Denn während Frauen schneller wieder in ihren Beruf zurück wollen, weil sie sich finanziell absichern möchten oder „Karriere machen“ wollen, arbeiten Erzieherinnen und Erzieher unter prekären Bedingungen. In ihrer Ausbildung erhalten sie anders als bei betrieblichen Ausbildung kein Gehalt, danach liegt es laut Lohnspiegel der Hans-Böckler-Stiftung bei durchschnittlich 2.110 Euro brutto für Berufsanfängerinnen und steigt auch bei bei mehr als zwanzig Jahren auf nur rund 2.800 Euro brutto. Oder wie eine schlaue Frau kürzlich sagte: „Altersarmut beginnt bei der Wahl der Ausbildung.“

Warum Frauen nicht Erzieherin werden

Von allen Seiten – insbesondere der Gleichstellungspolitik – wird jungen Frauen zugerufen auf eigenen Beinen zu stehen und gut bezahlte Berufe zu ergreifen. Das jedoch ist gleichzeitig Botschaft an diese Frauen: Werdet um Himmels Willen nicht Erzieherin! Dabei ist es nichts Schlechtes, dass vor allem Frauen in pädagogische Berufe streben – nur die monetäre Wertschätzung hier legt ihnen nahe, sich aus rationalen Erwägungen dagegen zu entscheiden. Hinzu kommt, dass aufgrund des Erzieher_innenmangels und der Hinnahme von zu hohen Betreuungsschlüsseln, der Beruf eine gute körperliche und psychische Konstitution erfordert. Eine Senkung des Betreuungsschlüssels wäre nicht nur das Beste für die betreuten Kinder, sondern ist ebenfalls notwendig dafür, dass Erzieher_innen den Beruf ergreifen, ihn beibehalten und nicht aufgrund der zu hohen Belastung erkranken und ausfallen.

Die Mindeststandards der Europäischen Union sehen beim Betreuungsschlüssel eine Fachkraft für drei Kinder bis eineinhalb Jahre, eine für vier Kinder bis drei Jahre sowie eine Fachkraft für acht Kinder zwischen drei Jahren und Schuleintritt vor. Von diesen Werten können Kinder und Angestellte in Kitas derzeit nur träumen.

Sorry, aber für diese Zukunft ist das Geld nicht da

Der Kita-Ausbau wird teuer, keine Frage. Aber hier das notwendige Geld zu investieren, ist in mehrerlei Hinsicht wichtig und unerlässlich. Es nicht zu tun, ist geradezu eine Absage an die Zukunft. Wer das Bild eines modernen, gerechten, weltoffenen und auch wirtschaftlich und wissenschaftlich fortschrittlichem Deutschland zeichnet, muss gerade die jüngsten Einwohnerinnen und Einwohner des Landes von Anfang an mitdenken. Eine gute Betreuung macht Kinder stärker und besonders Kinder aus benachteiligten und zugewanderten Familien profitieren stark von den pädagogischen Angeboten – weit über den Aspekt ihrer Chancen auf Bildung und ein späteres Einkommen hinaus.

Eine umfassende Kita-Strategie schafft jedoch nicht nur Inklusion und verbesserte Chancen für Kinder. Sie muss Anstoss sein für die überfällige Aufwertung der sozialen Berufe, die aufgrund der immensen Nachfrage nach ihren Leistungen schon längst attraktiv bezahlt werden müssten. Das regelt doch der Markt? Bei diesen Fachkräften tut er es nicht.

Solange der Staat jedoch weder ausreichend noch qualitativ gute Betreuungsplätze zur Verfügung stellen kann, ermöglicht er die strukturelle Diskrimierung von Frauen, die ohne Alternative sind, unbezahlte Care-Arbeit für Kinder zu leisten. In der Hinsicht war das Betreuungsgeld der CSU sogar im Kern eine feministische Idee, die lediglich mangelhaft ausgearbeitet wurde und zu seiner Zeit ein politisches Ablenkungsmanöver war. Aber die Forderung nach einem Ausgleich ist richtig: Eltern, die keine Betreuung für ihr Kind finden, müsste ein Erziehungsgeld gezahlt werden, das ihren Lohnausfall ersetzt – ohne Klage auf den Betreuungsplatz. 

54 Milliarden Stunden unbezahlte Arbeit

Gleichberechtigung ist teuer, so what? Eine Investition in die Zukunft bedeutet nun einmal Geld und nicht nette Bekenntnisse zu gesellschaftlichem Wandel. Die Wirtschaft gäbe sich auch nicht damit zufrieden, wenn ihr gesagt würde, sie solle einfach mal öfter darüber sprechen und sich Hashtags ausdenken, wie ihr Innovation gelingt. Bei Gleichstellungspolitik wird lustigerweise erwartet, dass Reden und Twittern allein hilft.

Ist das nun eine überzogene, weltfremde, hysterische Forderung einer durchgeknallten Feministin? Wohl kaum. Wie die Welt am Sonntag für Daten von 2013 berechnet hat, haben Frauen im Jahr 2013 knapp 54 Milliarden Stunden unbezahlt gearbeitet. Umgerechnet in Bruttolöhne würden dafür über eine Billion Euro fällig, während die gesamte Wirtschaftsleistung von Deutschlands bei 2,54 Billionen Euro lag. Es ist Zeit, dieses Geld zurückzufordern und so zu investieren, dass Frauen sich freier dafür entscheiden können, wie sie leben wollen.


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