Foto: Jessy Schoff | Unsplash

Tiere mit Depressionen und Zwangsstörungen – warum lustige Tiervideos gar nicht so lustig sind

Die amerikanische Biologin Laurel Braitman forscht zu Tieren mit psychischen Störungen, was ihnen hilft und was wir als Menschen aus diesen Erkenntnissen ziehen können.

Von zwangsgestörten Tieren und dem, was nun hilft

Die studierte Biologin und Autorin Laurel Braitman hat gut zehn Jahre zu Tieren geforscht, die psychisch erkrankt sind. Auslöser war der von ihr adoptierte Berner Sennenhund Oliver, bei dem sie bald feststellen musste: Hier stimmt etwas nicht. So litt er unter solchen Trennungsschmerzen, dass er einmal sogar aus dem dritten Stock ihres Hauses sprang, er aß Recyclingmaterial, hatte Halluzinationen und jagte Fliegen, die gar nicht existierten – was folgte, war die Diagnose „Hunde-Zwangsstörung“. Sollte sie ihn also wieder abgeben?

Nun, so sagt Braitman: „Es ist wie bei Menschen, manchmal merkt man erst nach einigen Monaten, dass die Person, die du liebst, ein paar Probleme hat – aber die bringt man dann auch nicht dahin zurück, wo man sie aufgegabelt hat. Sondern dealt mit dem, was ist.“ Sie begann sich also mit dem Thema zu beschäftigen und stellte fest, dass der Versuch, ihrem Tier über seine Panik und seine Ängste hinwegzuhelfen, vieles in ihr selbst und an ihrem Weltbild verändert hat. Etwa auch die Sicht auf all die lustigen Tiervideos, die täglich das Netz fluten.

Lustige Tiervideos und was häufig dahintersteckt

Wir alle lieben diese ganzen lustigen Tiervideos, die ständig in unserem Newsfeed erscheinen. Die lustigen Hunde, die eifrig ihrem eigenen Schatten nachjagen und Katzen, die Jalousien hinunterdrücken, so dass es so aussieht, als würden sie die Nachbarschaft beobachten oder sich bei jedem Geräusch hinter die Kommode zwängen und dabei so niedlich die Augen aufreißen und so weiter und so fort. Was aber, wenn diese Tiere das nicht nur einmal machen, sondern zwanghafte Rituale und Angststörungen entwickelt haben, die ihr Leben bestimmen, oft stundenlang andauern, die sie vergessen lassen zu essen oder vor die Tür zu gehen? Nicht selten steckt genau das hinter diesen Videos, wie Braitman in ihrem TED-Talk erklärt.

Meist machen sich die Halter auch gar keine tieferen Gedanken dazu und tun diese Dinge erst einmal als niedliche Marotte oder kuriosen Charakterzug ab. Doch diese Verhaltensweisen gibt es von harmlos bis selbstzerstörerisch, vergleichbar mit Menschen, die sich etwa ritzen – und in jedem Fall bestimmt es ihr Leben und beeinflusst es negativ. Und das muss dann nicht nur beobachtet, sondern auch behandelt werden – stattdessen werden sie aber oft zu Klick-Hits.

Wie gehen Tiere mit ihren Problemen um und was hilft ihnen, was auch uns helfen kann?

Natürlich, stellt Braitman klar, ist eine psychische Störung von Tieren nicht zwingend vergleichbar mit einer menschlichen. Jedoch sei es bei Mensch und Tier gleichermaßen wichtig – sollte man die Vermutung haben, dass etwas mit unserem Gegenüber nicht stimmt – dieser Vermutung erst einmal Relevanz einzuräumen – und uns darauf einzulassen, dass die grundlegende Hilfestellung sich für beide nicht so sehr unterscheidet. Denn der erste Schritt, jemandem zu helfen, dem es nicht gut geht, ist immer der Versuch, sich in den anderen hineinzufühlen, zu verstehen, warum er oder sie so handelt, woher das kommt, sich Zeit zu nehmen und für sie oder ihn da zu sein– natürlich ergänzend zu professioneller Hilfe, die darüber entscheidet, ob und in welcher Form es zu einer (ergänzenden) medikamentösen Behandlung kommt. Zudem ist Gesellschaft und Gemeinschaft enorm wichtig. Gesellige Tiere schließen sich in dieser Situation anderen an oder bieten anderen Tieren eben diesen Schutz in der Gemeinschaft, ganz gleich ob Artgenosse oder nicht – das zeigt etwa eine Reihe an ungewöhnliche Tierfreundschaften oder von anderen Tierarten adoptierte Tiere, deren Bilder wir vermutlich alle kennen.

Empathie und Gemeinschaft ist der Schlüssel

Es geht also um Empathie, die sich auch dadurch kennzeichnet, nicht gleich durch die eigene Unsicherheit dazu beizutragen, dass das Verhalten und die sich abzeichnende Gefühlswelt abgetan oder nicht weiter beachtet werden. Denn natürlich, räumt die Biologin ein, weiß auch sie nicht, was ihr Hund denkt und sie kann nur bedingt mit ihm kommunizieren – aber auch ein Familienmitglied oder ein Freund kann nicht immer ausdrücken, was los mit ihm oder ihr ist und vielleicht ist es ihnen auch gar nicht bewusst.

Es klingt fast banal und doch, sagt Braitman, habe sie die Beschäftigung mit dem Thema verändert, weil sie nun alle Lebewesen als Individuen begreift. Und das habe sie einfühlsamer und empathischer ihrer Umwelt gegenüber gemacht – auch gegenüber ihren Freunden und Bekannten, die mit ähnlichen Problemen oder gar (affektiven) Störungen leben. Und ganz gleich, ob man in ihrer Forschung Vermenschlichung erkennt, so ist der Schluss, dass das Ernstnehmen des Gegenübers und seinem Wesen, egal wie fremd es uns scheint oder ob wir die Gefühle nachvollziehen können, wichtig und richtig ist – ganz besonders, wenn man dahinter eine seelisches Erkrankung vermutet.

Hier ist das ganze, spannende Video zum TED-Talk von Laurel Braitman, bei dem sie ihre Erkenntnisse und ihren Wandel durch rund zehn Jahre Forschung zu Tieren mit psychischen Störungen darstellt und an Beispielen erklärt.

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