Wann hatten Sie zuletzt eine Enzyklopädie in der Hand? Bei mir ist das ehrlich gesagt schon einige Jahre her. Warum auch? Schließlich gibt es google, bing und Co.
Nach meiner Erfahrung gibt es in der modernen Gesellschaft exakt zwei Reaktionen auf neue Herausforderungen: 1) Sie schlagen jedwede mögliche Lösung in einer Enzyklopädie nach oder 2) Sie gehören zu der Gesellschaftshälfte, die ihr Smartphone zückt und das Problem googelt. Gemeinsam haben beide Methoden eines: Sie begeben sich auf die Suche nach Wissen, mit dem Sie Ihre aktuelle Herausforderung lösen können.
Kein schlechter Ansatz, soweit gebe ich ihnen recht. Was ist jedoch, wenn das alte Wissen nicht weiterhilft? Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Ihr Kind, nennen wir es Lisa – plant ein Auslandsjahr in Australien. Ja, da ist das YouTube-Tutorial für sie hilfreich, das zeigt, wie Lisa den Visumsantrag richtig ausfüllen. Auch das Expat-Forum mit vielen Tipps rund um gute Restaurants und Ausgehmöglichkeiten gibt ein gutes Gefühl. Aber wenn es nun darum geht, eine passende Gastfamilie für Lisa zu finden – tja, auf welches Wissen, welche Website, welches Buch greift Lisa, greifen Sie denn zurück?
Entdecker gesucht
So wie Lisa geht es mit Sicherheit auch Ihnen immer häufiger. Zwischen den Sozialen Medien, der Digitalisierung, der Flüchtlingskrise und vielem mehr, spuckt die Welt Ihnen in einer immer höheren Schlagzahl neue Herausforderungen und Fragestellungen vor die Füße, die mit bloßem Wissen schlicht nicht zu beantworten sind.
Wenn wir in dieser Welt mithalten wollen, benötigen wir meiner Ansicht nach deshalb einen neuen Ansatz: Die eigene Erfahrung zählt heute mehr denn je. Die Gesellschaft hat sich über Jahrzehnte darauf versteift, bereits vorhandenes Wissen zu studieren und immer und immer wieder zu wälzen. Was uns dadurch fehlt, sind mutige Entdecker.
Wissensdurst im Internet löschen
Der eigenen Intuition folgen, sich auf sein Bauchgefühl und seine Talente verlassen, einfach mal mit Lisa ins Flugzeug nach Australien steigen und sehen, was da so auf einen zukommt – alledem steht der Durst nach Wissen im Weg. Wir Menschen sind darauf konditioniert, Belege und Beweise zu fordern. Wir wollen uns zurückbeziehen auf die Erfahrung anderer und auf deren Erfolgsstorys. Wir wollen Fehler vermeiden, die andere schon gemacht haben. Das ist verständlich.
Dennoch: Jede Herausforderung, mit der Sie sich selbst konfrontiert sehen, ist doch einzigartig. Lisa wird sich in Australien mit anderen Problemen konfrontiert sehen als Sie und ich – selbst wenn wir im Voraus die exakt gleichen YouTube-Tutorials verinnerlichen und unter exakt deckungsgleichen Bedingungen im Ausland leben würden. Zu 200 Prozent absichern können Sie sich somit ohnehin nicht für jede Situation. Wäre ja auch schade drum …
Erfahrungen prägen
Mit jeder neuen Situation, die den Mut erfordert, sich einer neuen Erfahrung zu stellen, lernen wir nämlich etwas, das für meinen Geschmack viel zu viele Menschen geradezu verlernt haben: Selbstvertrauen.
Wenn sich alle Welt nur auf bereits bestehendes Wissen zurückbesinnt, wie sollen Sie da sich selbst reflektieren, aus Ihrer Erfahrung lernen und Ihre Fähigkeiten einschätzen können? Ich weiß aus meinem Leben, dass ich aus jeder gemachten Erfahrung viel über mich selbst gelernt habe. Egal, ob die Erfahrung nun eine gute oder schlechte war – am Ende sah ich mich selbst in einem neuen Licht, konnte mich besser einschätzen. So wie Lisa als anderer Mensch aus Australien zurückkehren wird.
Für mich schließt sich mit jeder Erfahrung ein kleiner Kreis: Ich muss den Mut fassen, irgendwann aus dem Google-Sumpf der Absicherung und Wissenssuche auszusteigen und einfach mal etwas tun, etwas ausprobieren. Die gemachte Erfahrung stärkt mein Selbstvertrauen. Damit fällt es mir wiederum leichter, den Mut für die nächste Erfahrung zu sammeln.
Wenn das mein Handeln nicht tausendmal kraftvoller macht als nächtelanges Brüten über dem Wissen Anderer – nun, dann weiß ich auch nicht.