Dass Hannah Herzsprung immer top angezogen ist, wissen wir. Wer der kreative Kopf dahinter ist, wusste bislang kaum jemand. Bis jetzt: Wir haben die Stylistin Leena Zimmermann getroffen.
Von der Sinologie zur Mode
Leena kam mit 19 Jahren nach Berlin – mit dem Plan, Modedesign zu studieren. Stattdessen schrieb sie sich für Sinologie sowie asiatische Studien ein und lernte Hindi – bis sie irgendwann merkte: „Das kann’s nicht sein.“
Mit ihrer anschließenden zweijährigen Mode-Ausbildung schaffte sie den Sprung in die Modeindustrie und arbeitet seitdem als Stylistin. Die erste Recherche am Anfang jeder Saison betreibt sie auf vogue.com (früher style.com), die Fittings finden meist in ihrem Atelier in Berlin-Mitte statt. Zu den Fittings kommt aber nicht irgendwer, sondern Schauspielerinnen wie Hannah Herzsprung, Katharina Schüttler und Karoline Herfurth. Wie sie es schafft, ihrem „eigenen, femininen, zugleich klassischem und extrovertierten Stil“ treu zu bleiben, zur Berlinale 400 Outfits zusammen zu stellen, für ihren kleinen Sohn da zu sein und gleichzeitig immer einen plausiblen Style-Vorschlag parat zu haben, erzählt sie uns im Interview.
Fitting für den Deutschen Filmpreis im Atelier.
Von der asiatischen Studie zur Mode – Leena, wie hast du gemerkt, dass Sinologie doch nicht ganz dein Steckenpferd ist?
„Ich dachte mir eigentlich nur: ,Deine Kommilitonen sind so anders als du. Konzentriere dich endlich auf das, was du wirklich machen willst.‘ Und entschied mich für eine duale Mode-Ausbildung, in der ich unter anderem Schnitttechniken sowie Zeichnen gelernt habe. Eigentlich sollte das die Vorbereitung auf das Modedesign-Studium sein, ich habe aber schnell gemerkt, dass ich das Nähen und die Schnitttechnik am liebsten abgeben und lediglich danach gerne mit dem Kleidungsstück experimentieren möchte.“
Also doch kein Modedesign-Studium?
„Nein, ich habe mich dann auf zwei Stellen beworben: einmal als Assistenz einer Kostümbildnerin, was ein ganz anderes Business ist als Editorial-Shooting, und dann bei MTV als Assistentin
der Stylistin. Die Entscheidung war vor allem bedeutend in der Hinsicht, welche Richtung ich als Stylistin einschlage. Letztlich ist meine Wahl auf MTV gefallen, ich habe dort ein Jahr gearbeitet und mich anschließend als
Stylistin selbstständig gemacht.“
Stylistin wird man ja nicht von jetzt auf gleich, dafür braucht es eine große Portion an Modeverständnis. Wie hast du denn deine Leidenschaft für Mode entdeckt? Was ist deine erste modische Erinnerung?
„Das ist der Film ,Mannequin‘ mit Kim Cattrell, ein 80er-Jahre Teenie-Film. Darin spielt sie die Schaufensterpuppe, die jede Nacht lebendig wird. Der Schaufensterdekorateur verliebt sich in sie und die beiden machen jede Nacht das Kaufhaus unsicher. Ich kann mich erinnern, dass Outfitwechsel in dem Film eine große Rolle spielten.
Besonders inspirierend während der ersten Zeit in Berlin war mein Job in Nicole Hogerzeils Store ,Schwarzhogerzeil‘. Schon damals gab es dort Isabel Marant, die damals aber noch niemand kannte. Sie hatte nicht mal eine Website!“
Als Stylistin muss man sich ja erst mal etablieren und einen Kundenstamm aufbauen. Gehst du dafür auf die Schauspielerinnen zu oder eher umgekehrt?
„Meistens ist das Mundpropaganda. Du kannst ja schlecht hingehen zu jemandem und sagen ,Hey, du bräuchtest mal einen neuen Style.‘ Darum geht es auch gar nicht, sondern zu einem großen Teil auch um die Logistik und darum, den Schauspielerinnen Arbeit abzunehmen. Die haben schließlich ihren Job als Schauspieler. Warum sollten sie zusätzlich auch noch das Netz durchsuchen und wieso sollte sich ihr PR-Agent auch noch um ihre Outfits kümmern? Das kann ein Stylist machen.“
Katharina Schüttler.
Die Suche nach dem perfekten Outfit sowie das Fitting sind sicherlich intime Momente. Schließlich kommen dort nicht nur die Eigenheiten, sondern auch die Unsicherheiten der jeweiligen Schauspielerin zum Vorschein. Wie baust du Vertrauen zu ihnen auf?
„Zum ersten Kennenlernen trifft man sich am besten in einem Café, in dem eine nette Atmosphäre herrscht. Dann erkläre ich erst mal, wie ich arbeite – und, was das an Zeit und Kosten für die Person bedeutet.
Ich sehe meine Aufgabe als Stylistin nicht darin, irgendwem einen neuen Stil aufzudrücken. Vielmehr versuche ich die Person zu sehen, wie sie sich wohl fühlt. Jeder sieht sich selbst schließlich anders und hat einen eigenen individuellen Geschmack.“
Karoline Herfurth auf dem Weg zur „Fack ju Göthe“-Premiere.
Wie findest du den heraus?
„Anfangs habe ich natürlich eine größere Auswahl dabei, als wenn ich eine Person schon besser einzuschätzen weiß. Jeder hat da seine ganz spezielle Sicht. Das kennt man ja von sich selber auch. Ich mag zum Beispiel keine kurzen oder ärmellosen Kleider an mir.
Meine Arbeit ist es, mit der Person gemeinsam herauszufinden, was ihr am besten steht. Logischerweise ist da meine Expertise relevant.
Vorschusslorbeeren gibt es, wie überall, selten. So ein Vertrauen muss sich aufbauen und das ist auch total okay. Ich fordere nichts mit der Brechstange.“
Schauspielerin Karoline Schuch in Streifen.
Welche Sachen forderst du denn genau? Was ist für eine gegenseitige Vertrauensbasis unentbehrlich?
„Wenn jemand ein bestimmtes Label tragen will – das ist ja eine Leihgabe zu 100 Prozent– dann heißt das im Gegenzug, dass sich die Person auf dem Roten Teppich auch gut präsentieren muss. Wenn jemand daran keinen Spaß hat, hat nachher niemand etwas gewonnen.“
Worin siehst du denn primär deine Aufgabe als Stylistin? Inwiefern kannst du den Schauspielerinnen konkret helfen?
„Wenn das Paket ankommt, du das Kleid auspackst und siehst, es passt nicht richtig, ist ein zweiter Blick absolut hilfreich. Jemand, der sagt: ,Jetzt warte doch mal, lass es uns noch mal probieren.‘
Dabei schätze ich vor allem die Offenheit der Schauspieler, mit der sie meine Tipps einfach annehmen und es probieren, selbst wenn sie persönlich vielleicht manchmal denken: ,Oh Gott, nein, echt nicht.‘
Da zu jedem Outfit auch ein richtiger Auftritt gehört, machen wir bei jedem Fitting Fotos, sodass wir später vergleichen können und sehen, welche Posen am besten funktionieren. Wie muss man sich mit einer Hose hinstellen, die einen Marlene-Schnitt hat? Was hilft, damit sie nicht groß, sondern fein aussieht? Das gibt den Schauspielern, wenn sie im Kamera-Tumult stehen und von allen Seiten angeschrien werden, einfach Sicherheit.“
Hört sich nach wahnsinnig viel Arbeit an…
„Ja, das ist es auch, und den wenigsten Leuten ist das bewusst. Aber es kommt auch wahnsinnig viel zurück. Beispielsweise bei Hannah Herzsprung wird das durch die Bank weg positiv wahrgenommen.
Das ist natürlich ein tolles Kompliment – aber für uns beide. Grundsätzlich wird meine Arbeit mehr wahrgenommen, seitdem ich mit Instagram begonnen habe.“
Hannah Herzsprung in Dior.
Hast du denn überhaupt
noch Lust, für dich selber einzukaufen, wenn du täglich nach neuen Outfit-Kombinationen für deine Kunden schaust?
„Ja, sehr. Das ist das
Schlimme. Man ist einfach viel unterwegs, sieht viel, da wird gerne mal das eine oder andere Teil mitgenommen. Weil ich dadurch schnell viel zu viel habe, mache ich regelmäßig einen Sale meiner Sachen. Vorher habe ich unglaublich viel verschenkt und kein Geld dafür verlangt, das musste irgendwann anders geregelt werden. Also habe ich meine Sachen aussortiert, beschriftet und alle zu mir nach Hause eingeladen. Mittlerweile mache ich das etwas größer. Das Ganze heißt ,Vente Privée Last Season and Vintage Sale‘. Verkauft wird alles, was man so mag – von Acne, Isabel Marant und Cos bis Céline und Dries van Noten. H&M Deutschland hat mir dafür ihre tollen Showrooms zu Verfügung gestellt, ähnlich wie ein Popup Secondhandshop, aber eben nur für einen Tag. Wir waren jetzt schon in Berlin, München und Hamburg. Fast jder, der kommt, kauft etwas. Ein besseres Kompliment gibt’s nicht.“
Vente privée in München.
Erneuerst du jede
Saison deinen Kleiderschrank oder gibt es auch Teile, die ewig in deinem
Kleiderschrank bleiben?
„Ich habe so viele Sachen, dass ich keinen Überblick mehr habe (lacht). Nein, im Ernst, die Blusen hängen so eng beieinander, dass sie verknittert sind, wenn man sie heraus nimmt. Vor dem letzten Sale hat mir mein guter Freund, der Designer Michael Sontag, beim Ausmisten geholfen. Manche Sachen kann man trotzdem nicht wegpacken, weil man eine besondere Beziehung dazu hat oder doch noch eine Saison braucht, bis man bereit ist für den Abschied. Anfangs habe ich alles behalten,
aber irgendwann brauchst du ja ein Lager oder ein riesen Ankleidezimmer. Und selbst
das wäre dann ja irgendwann voll.“
Mein Trick: Am Anfang des Monats die
Kleiderbügel umgekehrt in den Schrank hängen und alles, was getragen wurde, wieder „richtig“ zurück hängen. Dann weiß ich immer, was ich in einem Monat angezogen habe und
alles andere kann weg.
„Ach, echt? Das ist dein
Trick? Das finde ich ja super. Aber da würde mir alles rumgedreht
hängen. Ich habe auch einige Sachen, die hatte ich noch nie an. Aber oft wird ein Teil auch erst später interessant – weil es von einem anderen modischen Blickwinkel betrachtet, dann genau passt. Plötzlich ist es da und man freut sich, dass man
es hat.“
Oder man kauft sich ein
Teil, ist sich danach doch unsicher und plötzlich wird es zum heiß geliebten
Favorit.
„Genau, so ist das auch oft.
Es gibt natürlich Sachen, die sind perfekt vom ersten Moment. Wie zum Beispiel meine Sachen von Perret Schaad. Mit Johanna und Tutia arbeite ich schon lange zusammen. Da bin ich Fan der
ersten Stunde. Weil es wirklich zeitlos ist und wahnsinnig gut passt. Sie wurden ja
nicht umsonst schon mal ,die Töchter Jil Sanders genannt‘.
Letztens hat mir eine Schauspielerin erzählt, dass
sie mit einem Perret Schaad Coat aus dem Flugzeug ausgestiegen ist und von der Stewardess gefragt wurde: „Entschuldigung, was ist das für ein Mantel?“ Das muss dir erst mal passieren!
An dieser Stelle muss ich auch eine Lanze für die
deutsche Mode brechen. Viele bemängeln, dass Berlin nicht wie Paris ist – natürlich ist es nicht Paris. Aber es gibt hier trotzdem eine Modelandschaft, die toll ist. Und zwar nicht im Sinne von Berlin 2000, nach dem Motto ,Wir schustern jetzt was
zusammen‘, sondern hochwertig, ,Made in Germany‘. Es ist mir ein Rätsel, warum wir das nicht feiern sollten.“
Anna Maria Mühe in Perret Schaad.
Stichwort feiern – Bist du auf den jeweiligen Events für die Anprobe eigentlich mit dabei?
„Bei den Events, die mit Mode zu tun habe, ja. Aber beim deutschen Filmpreis gehe ich nicht mit, das ist ein komplett anderes Business.“
Und das Anziehen vor Ort übernimmt dann jemand anders?
„Nein, das mache ich schon selbst. Aber, wenn acht Leute zum Filmpreis gehen, kann ich nicht bei allen gleichzeitig sein. Katharina Schüttler hatte beim letzten Filmpreis beispielsweise ein ganz tolles Burberry-Kleid an, mit einem riesigen Tüll-Gürtel. Den habe ich zugeknotet, bevor sie losgegangen ist.“
Du kennst ja sicherlich auch die Stylisten anderer Celebrities. Wie sieht denn die Stylisten-Szene in Deutschland aus?
„Die ist eher klein, aber es sollte viel mehr Celebrity-Stylisten geben. Es gibt viel zu tun, in Amerika ist das schließlich gang und gäbe.“
Wie viele betreust du
momentan dauerhaft?
„Ungefähr zehn. Irgendwann ist natürlich eine Schwelle erreicht, an der man expandieren und mit
jemandem zusammenarbeiten muss. Ich arbeite oft mit Assistenten. Wenn man
plötzlich merkt, man wird größer, muss man sich darauf einstellen, gewisse Verantwortung in andere Hände abzugeben.“
Hannah Herzsprung bei der Bambi-Verleihung 2015.
Kannst du das denn? Hast du Assistenten, die dir Arbeit abnehmen?
„Wenn Berlinale ist, habe ich immer Hilfe. Schließlich hat da jeder zwischen sieben und zehn Events, was bei zehn Schauspielern bedeutet: 100 Outfits, die de facto genutzt werden, also 400 oder 500 insgesamt, um noch eine Auswahl zu haben.“
Wie viel arbeitest du denn
pro Woche?
„Als Freiberuflerin hat man eigentlich jeden Tag
zu tun. An freien Tagen könnte ich die Steuern machen oder Quittungen
sortieren und mich fragen: ,Oh Gott, da war ich überall essen?‘“
Wie viel Geld gibst du denn
für Klamotten aus im Monat?
„Puh, das kann ich nicht genau sagen. Aber letztens haben mir die Schauspielerinnen, mit denen ich eng zusammenarbeite, gemeinsam einen Dior-Schuh
geschenkt, um den ich ewig herumgeschlichen bin. Ich habe mich so unglaublich gefreut! Der Schuh ist einfach ein Evergreen – schlicht, schwarz, spitz – Raf Simmons für Dior eben.“
Hannah Herzsprung in Dries Van Noten. Quelle aller Bilder: instagram | leena_zimmermann_styling
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