Mehr als 5.000 Menschen leben derzeit in dem EU-Hotspot Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Eigentlich ist das Lager nur für 3.100 ausgerichtet. Ein Lagebericht.
Moria: ein EU-Hotspot, der Menschen leiden lässt
Moria ist ein sogenannter Hotspot, der größte von insgesamt fünf auf griechischen Inseln. Ein europäisches Camp also, in dem in schnellen Verfahren über Asylanträge entschieden werden soll. Abgelehnte Antragssteller*innen sollen dank des EU-Türkei-Deals möglichst schnell in die Türkei abgeschoben werden. Und auch, wenn das keine gute Alternative sein mag, ist auch das Festhalten in dem Lager menschenunwürdig. „Gerade ist es so, dass die Menschen hier ankommen und überhaupt nicht wissen, was sie erwarten wird“, beschreibt Cordula Häffner, medizinische Leiterin von Ärzte ohne Grenzen vor Ort, die ungewisse Situation der Geflüchteten.
Manche müssen länger als ein Jahr im Lager bleiben. In einem Lager, das komplett überfüllt ist, in dem es nicht genug Schlafplätze, sanitäre Anlagen oder auch nur ausreichend sauberes Trinkwasser gibt. Ein Lager voller undichter Zelte. Cordula Häffner kennt die Lebensbedingungen: „Die Menschen wohnen in Containern oder eben in Zelten Neben dem offiziellen Lager ist ein Zeltlager entstanden. Und da herrschen keine akzeptablen Lebensbedingungen.”
Alltag in Moria. Quelle: Robin Hammond | Ärzte ohne Grenzen
Der Winter auf Lesbos ist besonders hart
Bedingungen, die im Winter noch einmal schlimmer werden: „Das Lager hat Hanglage. Das heißt, wenn es regnet, und das kann man gar nicht vergleichen mit Regen in Deutschland, fließen ganze Bäche den Hang runter. Die Kälte spielt eine große Rolle. Es gibt zahlreiche Risiken, durch die Lebensumstände krank zu werden.”
Zudem gibt es keine ausreichende medizinische Versorgung für die Bewohner*innen des Lagers. Zwischenzeitlich ist immer wieder kein*e einzige*r Arzt*Ärztin im Lager selbst gewesen. Die Versorgung von Patient*innen übernehmen, laut Ärzte ohne Grenzen, fast ausschließlich Hilfsorganisationen: „Es gibt eine Abteilung des griechischen Gesundheitsministeriums, die eigentlich für die Gesundheit der Migrant*innen zuständig ist. Aber die sind völlig unterbesetzt, haben nicht das entsprechende Material. Letztendlich wird der größte Teil der medizinischen Versorgung des von Europa eingesetzten Camps fast ausschließlich von Hilfsorganisationen getragen. Das ist ein Zustand, den man nicht akzeptieren kann.”, beschreibt Cordula Häffner die Situation. Ärzte ohne Grenzen selbst betreibt zwei Kliniken auf der Insel: eine Klinik für Kinder und Schwangere und eine Klinik für Patient*innen, mit psychischen Problemen. Beide außerhalb des Hotspots.
Das Bild entstand in einer Kinder-Therapie-Sitzung in der Klink von Ärzte ohne Grenzen. Quelle: Robin Hammond | Ärzte ohne Grenzen
Die EU zahlt und schaut zu
Diese Bedingungen sind seit Jahren bekannt. Sie werden nicht besser, sondern eher schlechter. Es gibt Medienberichte von Januar 2018, die man ein Jahr später eigentlich eins zu eins wieder so veröffentlichen könnte. Die Jahreszahl hat sich geändert, die Lebensbedingungen der Menschen in Moria nicht. Hilfsorganisationen sind sich einig: Das Camp, in seiner jetzigen Form, stellt einen Verstoß gegen die Menschenrechte dar.
Dieser Aussage stimmt auch die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Luise Amtsberg, zu. Sie war selbst schon einige Male vor Ort in Moria, das letzte Mal Anfang Februar 2019: „Die humanitäre Lage auf Lesbos ist katastrophal. Der sogenannte Hotspot Moria ist völlig überfüllt und kann zum Beispiel so gut wie keine medizinische und psychosoziale Versorgung leisten und noch nicht einmal die Sicherheit von Frauen und Kindern gewährleisten. Die Zustände sind eines EU-Mitgliedsstaates unwürdig.”
Zurückgelassene Schwimmwesten auf Lesbos. Quelle: Robin Hammond | Ärzte ohne Grenzen
Wann kommt der öffentliche Aufschrei?
Und trotzdem bleibt der große öffentliche Aufschrei aus, die Aufforderung an die deutsche und europäische Regierung, die unwürdigen Bedingungen zu beenden, ihre Verantwortung zu übernehmen. Cordula Häffner empfindet diese Verantwortung selbst: „Für mich als Deutsche hier vor Ort, die sieht, wie Deutschland diese Politik beeinflusst, ist es ganz klar, dass ich auch Position beziehen muss. Ich fühle mich auch einfach persönlich in der Verantwortung.” Und weiter: „Ganz Europa muss sich der Verantwortung stellen.” Darauf macht auch Ärzte ohne Grenzen als Organisation immer wieder auf. Auf die Kritik, Hilfsorganisationen sollten stets neutral bleiben, antwortet Häffner, dass ihre Organisation sich in zwei Säulen gliedere. Und eine davon sei eben: Zu sagen, was ist. Das machen sie auf Lesbos.
Wie sich Europa der Verantwortung auf der griechischen Insel entziehen konnte, bringt Luise Amtsberg auf den Punkt: „Seit Jahren schieben EU-Mitgliedsstaaten die Verantwortung für Schutzsuchende durch das System der Dublin-Verordnung systematisch an die EU-Außengrenzen ab. Staaten wie Italien und Griechenland sind durch ihre geografische Lage erste Anlaufstelle und werden schlicht alleingelassen. Die Reform des gemeinsamen Europäischen Asylsystems scheitert seit geraumer Zeit auch an der Bereitschaft von Staaten wie Deutschland, hier deutlich mehr Verantwortung zu übernehmen, das muss sich dringend ändern.”
Wie so oft, egal ob es um die Flüchtenden geht, die in Libyen gefoltert werden, diejenigen, die im Mittelmeer ertrinken oder diejenigen, die in Hotspots wie Moria festgehalten werden, man kann nur immer wieder betonen: Es geht um Menschen. Das scheint die Politik, aber auch die Öffentlichkeit immer wieder erfolgreich verdrängen zu können. Cordula Häffner ist seit Oktober 2018 auf Lesbos und wollte auch mit ihrem im Januar veröffentlichten offenen Brief an Angela Merkel auf die weiter andauernden prekären Bedingungen aufmerksam machen, als diese im Januar nach Griechenland reiste. Das andauernde Desinteresse ist für sie zermürbend: „Wir als Organisation können nur immer wieder versuchen, auf die Situation aufmerksam zu machen. Es ist enorm frustrierend, wenn man darüber nachdenkt.” Die drängende Frage bleibt: Wie lang wollen wir noch zusehen?
In Moria und dem Zeltlager daneben leben derzeit rund 1.800 Kinder. Quelle: Anna Pantelia | Ärzte ohne Grenzen
Sie und ihre Familien warten unter menschenunwürdigen Bedingungen auf einen Entscheid über ihr Schicksal. Quelle: Robin Hammond | Witness Change | Ärzte ohne Grenzen
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