Foto: Maria Noisternig

Madeleine Alizadeh: „Einigen Linken bin ich einfach nicht links genug“

Madeleine Alizadeh, auch „Daria Daria” genannt, ist eine der bekanntesten Aktivistinnen Österreichs. Seit sie sich für Nachhaltigkeit einsetzt und politisch engagiert, wird sie im Netz angefeindet. Wie geht man damit um? Eine Begegnung.

Man könnte meinen: Madeleine Alizadeh macht vieles richtig.

Auf dem tätowierten Arm von Madeleine Alidazeh, den sie zur Begrüßung entgegenstreckt, tanzen ein Brokkoli, Slip, Hund mit Sonnenbrille, Zahn, Auge, Getreidehalm und ein Gesicht mit Locken. Die meisten kennen die 30-jährige Aktivistin auf Instagram oder Twitter als „Daria Daria”. An diesem Spätsommertag in Berlin stellt sie ihr neues Buch „Starkes weiches Herz” vor – das übrigens aus Apfelpapier besteht. Im Hinterhof des Cafés in Berlin-Mitte gibt es einen eigenen Komposthaufen, die Mandelmilch ist selbstgemacht. Alles hier ist vegan. Sie habe zum Glück eine Lektorin gefunden, die genauso „öko” sei, wie sie, sagt Alizadeh. Darüber muss sie selbst lachen. Seit mehreren Jahren bloggt, postet und podcastet Alizadeh rund ums Thema Nachhaltigkeit. 2018 hat sie ein faires Modelabel gegründet (Dariadéh). Und aus Solidarität hat sie sich kürzlich bei den Grünen in Österreich auf dem letzten Listenplatz zur Kandidatur aufstellen lassen.

Alizadeh umarmt, bedankt sich, oder albert mit dem Kind ihrer Freundin herum. Die Runde ist eher klein und familiär, es sind vielleicht drei Journalistinnen dabei, sowie auch ihr Freund. Um Alizadehs dunklen Augen bilden sich immer wieder Lachfalten. Die Haare trägt sie seit neustem kurz, weil sie die Längen gespendet hat. Sie ernährt sich vegan, ist mit dem Nachtzug aus ihrer Heimatstadt Wien angereist und trägt fair produzierte Kleidung. Man könnte meinen: Alizadeh macht vieles richtig. Trotzdem erntet sie in den sozialen Netzwerken immer wieder heftige Kritik. Von Links, von Rechts, von Veganer*innen und Fleischesser*innen. Es scheint paradox: Gerade die Menschen, die viel Gutes tun und das auch öffentlich machen, werden viel stärker kritisiert als jene, die passiv bleiben. Wie geht man damit um?

Dein Buch „Starkes weiches Herz” trägt den Untertiel „Wie Mut und Liebe unsere Welt verändern können”. Wann hast du für dich gelernt, dass es beides braucht, um etwas zu bewegen? 

„Ziemlich früh, schon mit 13, 14 habe ich angefangen, mich politisch und ehrenamtlich zu engagieren. Da gehört ja viel Mut dazu, als Schülerin zu sagen: Ich möchte was bewegen. Und obwohl ich es mir selbst nicht zugetraut habe, war der Optimismus – die Liebe – stärker. Ich habe mich schon immer für Politik interessiert, ich bin in einem sehr politisierten Haushalt aufgewachsen, mein Stiefvater war Journalist und hat mir sämtliche Magazine mitgebracht.”

Wie hast du deine persönliche Entwicklung zur Aktivistin wahrgenommen? War dir das überhaupt bewusst? 

„Zunächst war es etwas Unbewusstes. Ich ahnte zwar, dass ein Fünf-Euro-Shirt nicht besonders ethisch oder ökologisch hergestellt wird, aber ich habe trotzdem weiterhin Fast-Fashion gekauft. Genauso wenn man Fleisch isst, und eigentlich weiß, dass das in hohem Maße nicht nachhaltig ist. Langsam wurde mir das bewusst, ich wollte keine Kleidung mehr tragen, bei deren Herstellung Menschen ausgebeutet werden, oder Produkte essen, für die Tiere leiden müssen. Ich glaube, in diesem Moment bin ich zur Aktivistin geworden.”

Über Social Media erreichst du viele junge Menschen. Wie viel Verantwortung geht damit einher? Und wie nutzen diese andere in der Branche?

„Jeder handelt im Ermessen des eigenen Bewusstseins. Alles, was wir Menschen tun, ist ein Ausdruck dessen, worüber wir uns aktuell Gedanken machen. Andere sind nicht schlechter, weil sie bestimmte Dinge nicht tun, vielleicht haben sie bislang einfach nicht darüber nachgedacht. Man sollte niemanden anklagen, nur weil er*sie zum Beispiel nicht nachhaltig lebt. Besser wäre es zu überlegen, wie man es schafft, dass Themen wie der Klimaschutz allen bewusst werden – ein kollektives Bewusstsein dafür schaffen. Ich denke, in der Influencer*innen-Szene hat sich da in den vergangenen Jahren schon einiges geändert.”

Du wirst im Netz teils hart kritisiert, von links wie von rechts. Letztens musstest du sogar einen Tweet löschen. 

„Seit vergangenem Sommer bombardiert mich die linke Twitter-Blase auf einmal mit Hass-Nachrichten, warum kann ich mir nicht erklären. Einige posten extreme Beleidigungen oder machen öffentlich zynische Bemerkungen. Bei dem besagten Tweet habe ich einer meiner Kritikerinnen ein Gespräch angeboten, das sie jedoch ablehnte und mich blockierte. Darauf postete ich: ‚Es mangelt überall an Dialog.’ Mir kreidete man an, dass ich sie öffentlich an den Pranger gestellt hätte. Darauf habe ich meinen Tweet gelöscht. In solchen Momenten verstehe ich die Welt nicht mehr, bin verzweifelt und hilflos. Ich habe vielen Frauen, die mich im Netz kritisieren, Gespräche angeboten – aber keine wollte mich treffen. Kritik aus dem eigenen politischen Spektrum tut am meisten weh, weil wir eigentlich für dasselbe kämpfen.”

„Ich empfinde mich nicht als neoliberal!”

Aber warum kommt die Kritik aus den eigenen Reihen? 

„Ich denke, dass viele sich nicht intensiv mit meinen Inhalten auseinandersetzen. Sie werfen mir vor, ich sei oberflächlich, entpolitisiert oder neoliberal. Ich empfinde mich aber nicht als neoliberal! Einigen Linken bin ich einfach nicht links genug, schätze ich. Dabei haben wir alle Interesse daran, das System zu verändern – manche von außen, andere von innen. Mit meinem Modelabel vertrete ich ja eher sowas wie konstruktiven Kapitalismus. Natürlich verdiene ich mit meiner Kollektion Geld, biete aber faire Arbeitsbedingungen, schaffe kompostierbare Kleidungsstücke, spende einen Teil der Einnahmen und investiere in die Entwicklung nachhaltiger Materialien. So versuche ich die Industrie voranzutreiben. Eine Ökonomie des Gemeinwohls als neue Form des Wirtschaftens. Einige meiner Kritiker*innen sträuben sich, überhaupt Teil des Systems zu sein. Da ecken wir an.”

Und bist du eher jemand, die sagt: Jede*r sollte machen, was er*sie kann, auch wenn es nur ein bisschen ist – oder jemand, die genervt davon ist, dass sich nicht alle mehr einbringen? 

„Ich glaube, es ist falsch, die Nachhaltigkeitsdebatte nur auf individueller Ebene anzugehen. Die Welt wird sich nicht verändern, nur weil jemand plötzlich nicht mehr aus einem Plastikstrohhalm trinkt. Das System ist kaputt – und muss repariert werden. Das Ganze ist aber auch kein entweder-oder. Es gibt verschiedene Ebenen: gesellschaftlich, politisch, individuell, sozial. Wandel muss auf all diesen Ebenen stattfinden.”

Für die österreichischen Grünen hast du dich symbolisch auf dem letzten Listenplatz zur Kandidatur aufstellen lassen. Braucht man diesen klassischen politischen Weg überhaupt noch?

„Na ja, wo werden denn Gesetze beschlossen? Da wären wir wieder beim System, das ich von innen verändern möchte. Sicher kann man an politischen Initiativen teilnehmen, außerhalb der Parteipolitik politisch sein, und muss trotzdem anerkennen, dass Gesetze nun mal im Parlament beschlossen werden. Da sollte man einen Fuß in die Tür stellen.”

„Wir leben in einer Zeit, in der man politisch sein muss.”

Würdest du den jungen Leuten empfehlen, die sich bei „Fridays for Future” engagieren, in eine Partei einzutreten?

„Ja! Wir scheinen uns alle vor parteipolitischen Bekenntnissen zu fürchten, vielleicht sollten wir diese Angst ablegen. Denn es gibt gute Parteien, bestimmt werden intern – wie auch bei politischen Initiativen – immer wieder Dinge schieflaufen. Die Mitglieder haben verschiedene Meinungen und Ansichten, sie streiten und widersprechen sich, weil eine Partei die Gesamtgesellschaft spiegelt. Letztendlich ist die Politik ein Teil unseres Lebens, an dem wir teilhaben sollten. Auch ich habe gezweifelt, bevor ich mich für die Solidaritätskandidatur bei den Grünen entschieden habe. Ich hatte Angst vor den Konsequenzen. Aber: Wir leben in einer Zeit, in der man politisch sein muss. Bestimmt findet man eine Partei, deren Ziele man teilt. Denn es geht um Macht, um die Umverteilung von Macht.”

Du hast also auch manchmal Angst und zweifelst an dir. Wie kämpfst du dagegen an?

„Ich kämpfe gegen nichts an, ich lasse diese Gefühle zu. Dabei versuche ich, ihnen neutraler zu begegnen. Das mag ein spiritueller Ansatz sein, aber ich glaube: Es ist, was es ist. Wenn ich aufwache und es geht mir nicht gut, dann nehme ich das hin. Oft bedeutet dieses Hinnehmen dann Schmerz, Wut oder Trauer, aber eben auch Freude, Ekstase oder Lust. Ein ständiges Auf und Ab – das ist das Leben. Lange habe ich nach dem andauernden Hoch gesucht, es aber nicht gefunden.”

Wie schaffst du es, deine Ziele nicht aus den Augen zu verlieren? Du schreibst zum Beispiel Listen mit Dingen, die dich glücklich machen, oder einen Brief an dich selbst. Hilft sowas?

„Mir hilft es. Ich beschäftige mich viel mit dem Außen, so dass ich mich mit den Briefen oder Listen auf mein Inneres fokussieren kann. Was möchte ich? Was ist mir wichtig? Über solche kleinen Hilfsmittel gewinne ich Abstand zur Außenwelt und kann meine inneren Ressourcen aufladen. Meine Energie soll gut eingesetzt sein.”

Du schreibst im Buch, wir seien nicht das Produkt dessen, was uns passiert, sondern das, wofür wir uns entscheiden. Nur kann man das erste wirklich ausblenden? Es gibt schließlich Menschen, die Schweres erlebt haben. Ist diese Haltung nicht recht privilegiert?

„Natürlich passieren einigen Menschen schreckliche Dinge. Und es gibt strukturelle Ungerechtigkeit. Um diese Fälle geht es mir nicht. Mir ist bewusst, dass manche eine schwierige Ausgangsposition haben. Die eigenen Privilegien sollte man sich immer vor Augen führen. Aber es gibt alltägliche Situationen, in denen wir selbst entscheiden können, welche Route wir wählen. Das fängt schon bei der Straßenbahn an, die man am Morgen verpasst hat: Entweder man ärgert sich den ganzen Tag schrecklich darüber, oder man nimmt es leichter, atmet tief durch. Davon geht die Welt nicht unter.”

Dann schreibst du, dass Privilegien in Diskussionen mittlerweile oft als Totschlagargument verwendet werden. Nach dem Motto: „Du bist privilegiert und darfst deshalb nicht mitreden.” 

„Ein Argument, das Inklusivität nicht zulässt und Menschen aus Debatten ausschließt. Für mich macht es keinen Sinn, dass jemand, der auf irgendeine Weise privilegiert ist, nicht mitreden soll. Das Ziel ist doch, dass Menschen, die ungerecht behandelt werden, zu Wort kommen – aber man darf sie auch unterstützen. Keiner hat etwas davon, wenn Stimmen in einem Diskurs zurückgewiesen werden. Besser kann man denjenigen, die ihre Privilegien gar nicht sehen, erklären, warum sie es im Leben womöglich manchmal leichter haben und deshalb die Probleme der anderen nicht nachvollziehen können.”

Du lebst mit „Brei im Kopf”, schreibst du. Wie ist das gemeint? 

„Der Brei, das sind die Sorgen, die Ängste, das Gedankenkarussell. Man kann es nicht auseinander zupfen, weil alles so verworren ist. Mir hilft es dann, meine Gedanken zu sortieren; mir bewusst zu machen, was mich gerade beschäftigt. Tagebuch oder To-do-Listen schreiben, die Augen schließen, meditieren, das ist für mich wie eine Art Selbsttherapie.”

Gerade bist du 30 geworden – ändert das etwas? 

„Gar nicht. Ich finde 30 sein ist cooler als 29.”

Madeleine Alizadeh
Starkes weiches Herz
Ullstein Verlag, 18,00 €

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