Das Personal in Medienhäusern muss vielfältiger werden, findet Marieke Reimann, Chefredakteurin von ze.tt. Wie sie dieses Ziel erreichen will, erzählt sie im Interview.
„Unsere Community merkt, dass wir es ernst meinen“
Marieke Reimann ist zu Beginn des Jahres zur Chefredakteurin von ze.tt aufgestiegen, einem Portal für junge Menschen, das zum ZEIT-Verlag gehört. Dort verantwortet sie ein wachsendes Team von Redakteur*innen, für das „junge Themen“ vor allem bedeutet: Vielfalt und Haltung. Ze.tt setzt zum Beispiel bereits seit zwei Jahren auf geschlechtergerechte Sprache, um alle Menschen sprachlich einzuschließen, und dürfte damit das erste zu einem großen Verlag gehörende Medium sein, das diese Entscheidung getroffen hat.
Auf der ersten großen EDITION F-Konferenz, dem FEMALE FUTURE FORCE DAY am 25. August in Berlin, war Marieke Reimann als Speakerin mit einem Vortrag dabei über die Zukunft des Journalismus, und warum es für Medienschaffende wichtig ist, Haltung zu zeigen.
Wir haben für EDITION F vorab mit der gebürtigen Rostockerin über ihren Blick auf die Debatte gesprochen – und warum für sie als Chefredakteurin zu einer Haltung auch zählt, Vielfalt in ihrer Redaktion herzustellen.
Du sagst, Journalist*innen müssen eine Haltung haben. Genau darüber wurde in den letzten Wochen auch immer wieder kontrovers diskutiert. Was bedeutet es für dich, eine Haltung zu haben und wie spiegelt sich das in der redaktionellen Arbeit von ze.tt wieder?
„Man muss zwischen der nachrichtlichen Berichterstattung und Meinungsformaten unterscheiden. Während es bei Ersterem um die objektive Informationsvermittlung geht, sollten Journalist*innen bei Letzterem, zum Beispiel in Form von Kommentaren, ihre Haltung transparent machen. Wenn Rechtspopulist*innen im Bundestag sitzen und Trump Muslim*innen die Einreise verweigert, habe ich privat eine Meinung zu diesen speziellen Themen und insgesamt eine Haltung zu der Verschiebung politischer Spektren in der westlichen Welt. Um authentisch zu bleiben, sollte ich zu meiner Haltung stehen – auch im Job – und diese bestmöglich argumentativ begründen.
Ein offener Diskurs kann uns nur gelingen, wenn wir unsere Meinung mit Fakten belegen können – und auf andere Meinungen eingehen. Und diese immer und immer wieder auf deren Argumente prüfen. Das Gefährlichste ist eine politische Berichterstattung, die rein auf Emotionen beruht und sich jedweder Faktenlage entzieht. Dann bist du am Ende genauso populistisch, wie die, die du populistisch nennst. ze.tt hat eine klare Haltung: Wir stehen für Gleichberechtigung, Feminismus und Inklusion.“
Redaktionen in Deutschland sind aktuell noch sehr homogen. Wie gehst du als Chefredakteurin vor, um eine diverse Redaktion aufzubauen und was ist dir dabei besonders wichtig?
„Mir ist es egal, ob jemand, gelb, grün, blau, schwarz oder weiß ist. Es ist mir ebenfalls egal, wie alt jemand ist und ob er*sie eine Bäckerlehre oder einen Studienabschluss hat. Mir ist wichtig, dass sich Journalist*innen in ihre Zielgruppe einfühlen und dementsprechend Themen für ze.tt sehr gut aufbereiten können.
Ich empfinde es als meine Pflicht, unterschiedlichste Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen in meiner Redaktion zu beschäftigen. Ich bin der Meinung, dass ich nur mit größtmöglicher Diversität in meinem Team auch der Diversität der Welt gerecht werden kann. Da es nach wie vor so ist, dass es in Deutschland viel mehr weiße westdeutsche Journalist*innen mit akademischem Hintergrund gibt als alles andere, gestaltet sich die Bewerber*innenauswahl zum Teil schwierig. Hinzu kommt der Punkt, dass viele Journalist*innen, die nicht in das obige Spektrum passen, einen viel schwereren Zugang zu redaktionellen Stellen haben. Weil sie niemanden kennen, der im Journalismus arbeitet oder weil sie schlicht nicht wissen, welche Möglichkeiten es gibt.“
Wie findest du diese Journalist*innen dann?
„Ich gehe bewusst privat zu Veranstaltungen, wo sich Medienmacher*innen mit anderen Hintergründen tummeln. Ich schaue mir Videoprojekte von freien Journalist*innen auf Youtube an, ich lese Artikel von Journalist*innen aus ,Geflüchtetenprojekten‘ und notiere mir bei jeder Geschichte, die mir gefällt, den Namen. Dann adde ich die Menschen auf Instagram und Twitter und verfolge ihre Arbeit weiter. Ergibt sich dann eine Stelle bei ze.tt, schreibe ich sie an.“
Wie könnte im Journalismus die Nachwuchsarbeit verbessert werden, damit Redaktionen vielfältiger werden?
„Oh ja, da hab ich viele Ideen! Ich könnte zigtausende Konzepte dazu verfassen, was geändert werden könnte. Eine Sache, die mich umtreibt, ist, dass Journalistenschulen endlich bewusst darauf achten sollten, dass sie Menschen mit Migrationsgeschichte erreichen und auch einladen. Das ginge zum Beispiel, indem man die Werbung für seine Bewerbungsphase nicht nur über seine eigene Website oder große Verlage spielt – sondern indem man bewusst dorthin geht, wo noch nie jemand von Henri Nannen oder DJS gehört hat. Wo sind diese Orte? Überall! Festivals der Black-Community, Vereinsabende kurdischer Studierender, Lesungen von Menschen mit syrischem Geflüchtetenhintergrund. Ich wünsche mir bei der Bewerbung der eigenen Ausbildung der Schulen viel mehr Selbstreflexion statt der Attitüde ,Wer zu uns will, muss zu uns kommen‘ – Nee, es sollte Aufgabe der Journalistenschulen und aller anderen Journalistenausbilder*innen Deutschlands sein, sich bewusst um diverseren Nachwuchs zu bemühen.“
Was kann man intern tun?
„Alle Chefredakteur*innen sollten sich genau überlegen, wie sie die Redakteur*innen, die schon im Team sind, fördern können. Ich habe oft den Eindruck, dass manche Redaktionen sich die ,Stars‘ des deutschen Journalismus hin und her abkaufen, statt das Team, was man schon ,Zuhause‘ hat, seinen individuellen Stärken entsprechend zu fördern.
Dabei ist es meiner Meinung nach das Allerwichtigste als Chefredakteur*in, den Text von Redakteur x regelmäßig zu lesen, das Video von Redakteurin y anzuschauen und meine Erwartungshaltung immer wieder zu formulieren. Nur, wenn ich zielgerichtetes Feedback gebe und dafür auch einen kontinuierlichen zeitlichen Rahmen schaffe, kann ich individuell fördern und sich mein Team weiterentwickeln.“
Hat die Berichterstattung durch vielfältige Journalist*innen für junge Leser*innen einen anderen Stellenwert? Was habt ihr in den letzten Jahren von euren Leser*innen gelernt?
„,Stresst euch nicht mit Beziehungslabels‘ wird bei uns mit zwei Frauen mit Migrationsgeschichte bebildert. ,Erstgeborene studieren die angeseheneren Fächer‘ mit zwei schwarzen Mädchen. Über die neuen Emojis für Menschen mit Behinderung schreibt bei uns ein Mensch mit Behinderung. Wenn du authentisch inklusiv sein willst, sollte sich das auch in der Text- und Bildsprache deines Mediums wiederfinden. Unsere Community merkt, dass wir es ernst meinen und wir bekommen vor allem für unsere queeren und inklusiven Inhalte viel positives Feedback von jüngeren Leser*innen.“
Hat das von Anfang an gut geklappt?
„Wir haben gleich zu Beginn gelernt, dass es im Gegenteil nicht authentisch ist, so zu tun, als stünde man noch mit der Community in der Raucherecke auf dem Schulhof. Du sprichst nicht mehr die Sprache von 16-Jährigen, wenn du 26 bist. Wir versuchen Berichterstattung auf Augenhöhe zu machen, in dem wir regelmäßig Vorschläge aus der Community aufnehmen und daraus Artikelserien in Protokollform gestalten. Du erreichst niemanden, indem du einmal ,Yolo‘ in die Überschrift schreibst.“
Ze.tt nutzt schon lange eine gendersensible Sprache und nutzt dafür das Gendersternchen. Welche Rückmeldungen bekommst du dazu von Kolleg*innen aus anderen Redaktionen?
„Keine. Lediglich privat sprechen mich ab und zu Kolleg*innen anderer Medien an, dass sie es toll finden, dass wir uns das ,trauen‘; sie das bei sich aber nie umsetzen könnten. Was schade ist, weil aus den Erfahrungen, die ze.tt in den vergangenen zweieinhalb Jahren mit Gendern gemacht hat, sicher auch sehr viele andere Redaktionen profitieren könnten. Wir haben einen Styleguide, der sich kontinuierlich weiterentwickelt und aus zweieinhalb Jahren gegenderte Texte lesen kann ich sagen: Es verändert das Nachdenken darüber, wer jetzt tatsächlich gemeint ist, enorm.
Für mich gilt das Grundprinzip: Wenn du möglichst alle gleichberechtigt ansprechen willst, musst du inklusive Sprache benutzen. Ja, dafür gibt es keine vorgefertigten Regeln, ja es ist zum Teil mühsam gegenderte Texte zu lesen – und auch zu schreiben. Aber: ,Sitzen zwei Passagiere im Flugzeug. Sagt die eine zur anderen: ’Bestimmt haben sich jetzt alle zwei Männer vorgestellt.’“
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