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Matthias Horx: „Wir leben in einem virtuellem Gender-Universum, in dem wir Muster wiederholen”

Frauen streben nach einer Karriere auf der Überholspur. Doch wie sehen die Chancen aus? Ein Gespräch mit Zukunftsforscher Matthias Horx.

 

Megatrend Frauen

Der ehemalige Journalist Matthias Horx zählt heute zu den einflussreichsten Trend- und Zukunftsforschern im deutschsprachigen Raum. 2011 thematisierte er die weibliche Bildungsrevolution. Neue, soziokulturelle Konflikte provozieren einen Gender War, der nur von einer emanzipativen Gesellschaft beendet werden kann.

Wo stehen wir ein paar Jahre später? Horx zieht im Interview Bilanz.

Herr Horx, welche wesentlichen Stärken unterscheiden Frauen und Männer?

„Neue, seriöse Studien zeigen, dass die Unterschiede viel geringer sind, als es der öffentliche Gender-Diskurs – einschließlich seiner feministischen Seite – behauptet. Früher hieß es: Frauen sind von der Venus, Männer vom Mars. Ich behaupte mal, der Unterschied ist eher wie einer zwischen Mars und Snickers. Frauen können alles, was Männer auch können – taktisch, aggressiv, wenig kommunikativ, berechnend, pornographisch sein …und Männer sind durchaus auch sensibel und komplex. Der vielleicht fundamentalste Unterschied ist in meinen Augen die Gewaltbereitschaft, die bei den Frauen deutlich geringer ausgeprägt ist.“

Wie spiegeln sich diese Unterschiede in unserem täglichen Handeln wieder?

„In unserem Handeln spiegeln sich nicht die realen Unterschiede wider, sondern eher die Selbst- und Fremdzuordnungen. Wir interpretieren uns und das andere Geschlecht mit voreingenommenem Blick – und daraus entsteht eine ständige Self Fulfilling Prophecy. Männer und Frauen reden oft deshalb aneinander vorbei, weil sie unentwegt Stereotypen reproduzieren. Wir leben in einer Art virtuellem Gender-Universum, in dem wir immer dieselben Muster wiederholen.“

In Ihrem Buch „Das Megatrend Prinzip“ setzen Sie sich mit dem Wandel der Frau auseinander. Wie definiert sich der „Megatrend Frauen“ aus Ihrer Sicht?

„Es geht im Kern um die Machtverschiebung durch Bildung. Frauen sind heute im Schnitt besser gebildet als Männer, was erstaunlicherweise auch für Länder wie den Iran oder Saudi-Arabien gilt. Das führt zum kulturellen und sozialen, aber auch zum ökonomischen Machtzuwachs der Frau über eine lange historische Phase – wobei dieser Prozess sehr asynchron verläuft. Es gibt sehr unterschiedliche Geschlechter-Kulturen, von den feministischen Gesellschaften in asiatischen und afrikanischen Ländern bis zu den extremen Macho-Kulturen, die sich jetzt wieder in einigen Ländern als wahrhaft mörderisch erweisen. Die wesentliche Frage lautet: Was verändert sich in der Arbeitswelt oder Familie, wenn Frauen weiter erstarken? Ich denke, diese Veränderungsprozesse sind deutlich sichtbar. Das männliche Erwerbsmodell ist auf dem absteigenden Ast, auch wenn es sich in den deutschsprachigen Ländern noch hartnäckig hält.“ 

Was hat sich in den letzten Jahren in diesem Zusammenhang noch verändert?

„In der Arbeitswelt zeigen sich erste Anzeichen echter Flexibilisierung. Man muss nicht mehr mühsam erklären, dass die Wahlfreiheit zwischen Beruf und Familie vielleicht eine gute Sache wäre. Sogar konservative Männer sehen das inzwischen so. Überhaupt haben sich die Männer erheblich verändert: Immerhin die Hälfte der jüngeren Generation hat inzwischen ein anderes Familienbild, in dem der Mann seine Rolle nicht mehr durch Abwesenheit definiert. Doch man kann inzwischen – wie ich zum Beispiel – auch als Mann für die Frauenquote sein und trotzdem harten Widerspruch von Frauen bekommen. Ich finde das OK, es zeigt, dass die Meinungsfronten nicht nur zwischen Männern und Frauen verlaufen, sondern auch innerhalb der Geschlechter.“

Welche Chancen sind Frauen heute durch die angesprochene Flexibilisierung geboten?

„Die norwegische Familienministerin hat den schönen, schlichten Satz gesagt: Gleichheit wird es erst geben, wenn in den Vorständen auch unfähige Frauen sitzen. Frauen haben heute alle Chancen, das ist nicht das Problem. Sie zahlen aber immer noch einen höheren Preis für ihre beruflichen Entscheidungen. Männer können in vielen Fällen ihre Karriere voll durchziehen und die Familie delegieren – auch, weil sie immer noch Frauen finden, die das mitmachen.“

Vergangenes Jahr wurde heftig über den vorläufigen Verzicht auf Kinder diskutiert, weil führende Unternehmen wie Apple und Facebook ihren Mitarbeiterinnen mit dem “Social Freezing” das Einfrieren ihrer Eizellen bezahlen. Wie beeinflussen derartige Angebote die zukünftige Verteilung der Geschlechter?

„Das wird kommen – aber nicht, weil die Firmen es wollen, sondern weil wir auf vielfältige Weise unsere Biographien flexibilisieren. Ich kenne Frauen, die eigentlich lieber im Alter von 50 plus Kinder haben wollen. Nicht, weil sie vorher nur ihrer Karriere nachjagen, sondern weil sie sich erst dann reif und ausgeglichen genug fühlen, um das Muttersein richtig genießen zu können. Die erweiterte Lebensspanne wird zwangsläufig die Lebensphasen verschieben und die reife Elternschaft – die früher Männerprivileg war – wird sich technologisch demokratisieren. Es gibt Anzeichen, dass sich die humane Spezies auch biologisch an ein längeres Leben anpasst. Ich wage mal die Prognose, dass in 500 Jahren die Fertilität der Frauen viel länger andauern wird, wobei dann die Wege zum Kinder-Bekommen wahrscheinlich sehr vielfältig sein werden – mit einer womöglich ganz anderen Rolle der Männer.“

Was können sich die USA oder ein Land wie Deutschland von einer familienfreundlichen Nation wie beispielsweise den Schweden mit ihrer Männer basierten Präsenzkultur abschauen?

„Der entscheidende Punkt ist, ob wir die alte Bindung zwischen Stunden-Zeit-Anwesenheit und Produktivität, wie wir sie im Maschinenzeitalter erlernt haben, weiterhin akzeptieren werden. Hilfreich ist hier das Aufkommen der kreativen Klasse: In Berlin etwa arbeiten inzwischen ungefähr 25 Prozent im kreativen Sektor jenseits klassischer Erwerbsentwürfe. Auffällig ist, dass in diesem Milieu der Einzelselbstständigen, vernetzten Portfolio-Arbeiter, Co-Worker und Gründer die Mann-Frau-Unterschiede weniger eine Rolle spielen. Als Kreativer weiß man, dass die eigene Leistungsfähigkeit nicht an den Stunden hängt, die man im Büro verbringt. Und dass man mit Kindern, Freunden und Verwandten immerzu improvisieren muss. Die Idee von der Work-Life-Balance ist eine Illusion, an der man nur scheitern kann – als Mann und als Frau. Weil es nämlich Arbeit als Gegenwelt von Leben definiert. In Skandinavien gehen Leben, Arbeit und Familie organisch ineinander über: Wenn ein Mann oder eine Frau einen Termin absagt, weil es in der Kita ein Problem gibt, nicken alle zustimmend.“

Worin sehen Frauen beruflichen Erfolg und wie unterscheiden sie sich hier von Männern?

„Männer fahren immer noch häufiger auf äußere Statussymbole ab. Sie glauben, dass sie Frauen damit beeindrucken können. Aber für Frauen ist Erfolg nicht so sehr an Status-Etagen und Privilegien gebunden, sondern am sozialen Erfolg. Vielleicht erleben wir in Zukunft ein generelles Verblassen der Karriere im alten hierarchischen Sinne: In der Welt der Kreativität sind eher die Authentischen die Gewinner.“

In welchen Bereichen unserer Gesellschaft werden Frauen zukünftig besonders wichtig werden und demnach erfolgreicher als zuvor sein?

„Überall!“

In Ihrem aktuellen Buch „Zukunft wagen“ geht es um den Umgang mit dem Unvorhersehbaren. Wie kann Ihrer Meinung nach eine Gesellschaft aussehen, in der eine absolute Chancengleichheit gegeben ist?

„Chancengleichheit kann niemals absolut sein, weil dann auch das Ergebnis absolut sein müsste. Chance beinhaltet die Wahl, sich anders zu entscheiden – zum Beispiel Vollzeit-Mutter oder Karrieretyp zu sein. Der Preis völliger Chancengleichheit wäre die Freiheit. Wir leben in einer Welt der Differenz und der Zufälle – und das Einzige, was wir tun können, ist diese Zufälle so produktiv wie möglich zu gestalten. Anstatt einer Gleichheitsgesellschaft würde ich lieber einer fröhlichen Vielfaltsgesellschaft das Wort reden, in der reichlich Mini- und Micro-Chancen existieren und keine Entscheidung endgültig sein muss. Wenn ich mich nicht irre, sind wir da schon einen guten Schritt vorangekommen: Das Entweder-Oder ist nicht mehr so stark, man kann immer häufiger eine Familie im klassischen Sinn haben und trotzdem gutes Geld verdienen. Man kann heute homosexuell sein oder auch sonst einen unkonventionellen Weg gehen und bleibt trotzdem sozial integriert. Chancengleichheit stellt sich am besten her, wenn wir die Anzahl der Chancen weiter erhöhen. In der Systemsprache nennt sich das Law of Requisite Variety – in einer komplexen Gesellschaft ist ein hohes Maß an integrierter Differenz unerlässlich!“

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