Mit Kraft ins neue Jahr starten? Positiv denken? Das kann gerade wie eine unüberwindbare Herausforderung wirken – und das ist ok. Wir haben mit vier Frauen über Motivation gesprochen – wann sie sie verlieren und wo sie sie (wieder-)finden.
„Du hast erst verloren, wenn du aufhörst es zu versuchen“ oder „Jeder Erfolg beginnt mit einer Sehnsucht.” Kann helfen, klingt aber auch ziemlich privilegiert und realitätsfern, oder? Doch auch abseits von nervigen Tee-Sprüchen und Wandttatoos, lässt sich im Alltag Motivation finden. Zum Beispiel im eigenen Freundeskreis, der Familie, der eigenen Arbeit oder dem Gefühl, anderen Menschen zu helfen.
Die Ingenieurin Kenza Ait Si Abbou Lyadini erzählt, wie künstliche Intelligenz sie motiviert. Warum man nicht unbedingt ein Vorbild braucht, um motiviert zu sein, erklärt Nachhaltigkeits-Managerin Lavinia Muth. Für die Schulamtsdirektorin Florence Brokowski-Shekete ist die Umsetzbarkeit von Ideen wichtig, um ihre Motivation nicht zu verlieren und die Schriftstellerin Karosh Taha gibt Tipps, wie man Langeweile überwindet und motiviert bleibt.
Kenza Ait Si Abbou Lyadini
Kenza Ait Si Abbou Lyadini hat sich schon als kleines Mädchen ein Heft mit Stift gewünscht, nicht zum Malen, sondern um Rechenaufgaben zu lösen. Heft und Stift hat sie gegen einen PC getauscht – die Faszination für Zahlen ist geblieben: Als Senior Manager Robotics and Artifical Intelligence managed sie bei der Deutschen Telekom IT den Bereich Robotic und AI-Solutions. Dort und darüber hinaus brennt sie für die Themen künstliche Intelligenz, Diversity und Networking. Ihr Ziel: Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Denkweisen zusammenbringen.
Woraus ziehst du Motivation für das, was du tust?
„Meistens sind es Themen, Projekte oder Initiativen, die mich begeistern. Wenn ich die Ideen gut finde, sage ich sofort zu und überlege erst dann, wie ich es hinbekomme. Mit der Zeit zeigt sich, dass das, was mich inhaltlich und emotional bewegt, mir Energie zurückgibt und ich bleibe dadurch länger motiviert. Das, was nach einer längeren Zeit kein Spaß mehr macht, gebe ich irgendwann auf. Je länger ich für die Entscheidung brauche, desto mehr Energie verschwende ich. Manchmal ist es aber auch das zukünftige Ergebnis, das mich motiviert. Das ist zum Beispiel so mit dem joggen. Was mich dabei motiviert, ist das Gefühl der Leichtigkeit nach dem joggen. Währenddessen ist es anstrengend, aber ich arbeite auf das Ziel hin.“
Wofür fehlt dir Motivation?
„Für Themen, an denen ich keinen Spaß habe, aber die gemacht werden müssen. Wie zum Beispiel bei einem Projektbericht oder beim Aufräumen an einem sonnigen Tag. Auch solche Aufgaben muss man gelassen akzeptieren.“
Kannst du dich selbst motivieren? Wenn ja: Wie machst du das?
„Generell ja. Ich bin einerseits diszipliniert und andererseits gelassen, das ist aus meiner Sicht die perfekte Kombination. Wenn ich etwas erledigen muss, dann tue ich das ohne Wenn und Aber. Das bedeutet aber auch, dass ich die Themen genau analysiere und priorisiere. Es muss nicht alles perfekt sein und einiges lasse ich auch liegen und schaue einfach weg. Ich habe gelernt, dass man nicht alles schaffen kann und deswegen priorisiere ich sehr stark.“
Welche Personen findest du motivierend und warum?
„Motivierend finde ich Menschen, die positiv sind und einfach machen. Denn in der Aktion findet man den Weg. Menschen, die immer einen Grund finden, warum etwas nicht funktionieren kann oder nur das Negative sehen, versuche ich zu meiden.“
Lavinia Muth
Lavinia Muth blickt auf mehr als zehn Jahre Erfahrung im nachhaltigen Wirtschaften mit Schwerpunkt auf Textilien zurück. Seit Ende 2017 ist sie die Corporate Responsibility Managerin bei Armedangels. Bevor sie zu Armedangels kam, prüfte, beriet und unterstützte Lavinia zahlreiche Hersteller*innen, Händler*innen und Marken in Deutschland, China, Bangladesch, Indien, Myanmar, der Türkei und Südamerika bei der Umsetzung von Verhaltenskodizes und Standards der Textilindustrie in den Bereichen faire und sichere Arbeitsbedingungen und Chemikalienmanagement.
Woraus ziehst du Motivation für das, was du tust?
„Für mich ist Motivation die Bereitschaft Dinge voranzutreiben, Dinge zu verändern und Ideen zu mobilisieren, um ungerechte und insbesondere patriarchalische Strukturen aufzubrechen und neue zu definieren. Ich glaube, dass es einfach für mich ist motiviert zu sein, da sowohl im Job als auch privat genau das großer Teil meines Tuns ist: das Umgestalten von festgefahrenen Strukturen. Da schwingt natürlich eine Menge persönlicher Enthusiasmus und der Spaß an der Arbeit mit – und auch Anerkennung. Das ist wie ein Spagat zwischen Egoismus und Aktivismus, den man machen muss, aber auch hinterfragen muss. Jeden Tag aufs Neue.“
Wofür fehlt dir Motivation?
„Motivation fehlt mir meistens nicht, wobei es Tage gibt, an denen ich mich müde fühle und einfach mal durchatmen muss, um mich zu sammeln. Im Ruhefinden bin ich nicht so gut, da ist auf jeden Fall noch Luft nach oben. Dabei hilft mir aber meine tägliche Yoga-Praxis und der Austausch mit anderen. Manchmal mache ich so viele Dinge gleichzeitig, dass ich einige nicht zu Ende bringe. Das liegt dann wahrscheinlich daran, dass ich so on-fire war, dass ich mich und meine Energie selbst überschätzt habe und zu oft ,ja‘ sage. Die Motivation zu priorisieren fällt mir schwer, da ich viele Dinge so wichtig finde. Welches Projekt gehen wir als Nächstes systematisch an: Gender-Based Violence, existenzsichernde Löhne, erneuerbare Energien, den Kampf gegen Müll und die Wegwerfgesellschaft? Ihr versteht die Herausforderung und mich, oder?“
Kannst du dich selbst motivieren? Wenn ja: Wie machst du das?
„Ja, das kann ich, aber es ist nicht immer einfach. Grundsätzlich bin ich Optimistin. Oder besser: Ich möchte Optimistin sein. Ich möchte nicht handlungsunfähig, taten- und bewegungslos und eingeschüchtert vom Weltschmerz durch das Leben laufen. Manchmal einfach mutig sein, einfach machen, ohne ein klar definiertes, skalierbares Ziel vor Augen zu haben, ist oft ein guter Start. Und offen sein, offen für Dynamiken, neue Blickwinkel usw. hilft auch. Und man wird oft positiv überrascht oder steht halt vor einer neuen Herausforderung, die es dann anzupacken gilt. Das klingt alles einfach daher gesagt und auch ein bisschen leichtsinnig, und man geht natürlich das Risiko ein, gehörig auf die Schnauze zu fallen. Aber wir wissen auch: Wir stehen immer wieder auf.“
Welche Personen findest du motivierend und warum?
„Ich bin wirklich dankbar für Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die Politik mitgestalten oder Druck auf Politiker*innen ausüben, um eine egalitäre Gesellschaft und intersektionalen Umweltschutz zu schaffen. Dennoch wehre ich mich gegen Personenkult: Ich finde es faszinierend, aber zeitgleich auch gruselig, wie wir Menschen selbst in vermeintlich antiautoritären und antihierarchischen Zeiten weiterhin Ausschau nach Personen halten, zu denen wir gerne aufblicken und uns Orientierung für das eigene Leben erhoffen.
Ich habe in meinem direkten Umfeld mehrere großartige Menschen, die nicht Personen des öffentlichen Lebens sind, die mich inspirieren und motivieren und mir nah sind. Aktuell ist eine meiner Heldinnen meine Oma. Ich finde es bewundernswert und super motivierend, wie sie mit dieser großen Bereitschaft, sich täglich neu anzupassen im stolzen Alter von 87 Jahren durch dieses Pandemie-Jahr geschifft ist. Eine gute Freundin und Kollegin schreibt gerade ein Buch über Feminismus im Islam; meine Chefin und gute Freundin setzt sich beständig für meine Kollegen*innen und mich ein, ein guter Bekannter hat sich vor Kurzem selbst in eine stationäre psychologische Behandlung begeben. Verantwortung übernehmen, Haltung zeigen, nahbar sein, sich mutig und verletzlich zeigen – das finde ich motivierend.“
Florence Brokowski-Shekete
Florence Brokowski-Shekete arbeitet als Schulamtsdirektorin in Mannheim und hat so Einfluss auf das Innenleben der Schulen: Lehrpläne, Ausstattung und die Lehrer*innenbesetzung – eine große Herausforderung in dieser Zeit. In ihrer eigenen Agentur FBS intercultural communication arbeitet sie seit 1997 als freie Beraterin, Coachin und Trainerin. Ihr Motto: „Nett sein allein’ reicht nicht, man muss auch mal klare Grenzen setzen.“ In ihrem Buch „Mist, die versteht mich ja!“, hat Florence Brokowski-Shekete ihre eigene Geschichte aufgeschrieben.
Woraus ziehst du Motivation für das, was du tust?
„Die größte Motivation für mich ist es, selbstwirksam zu sein und an das zu glauben, was ich tue. Es motiviert mich mit dem, was ich tue, auch andere Menschen zu erreichen. Das gilt sowohl für mein berufliches Standbein als Schulamtsdirektorin, für meine Autorinnen- und Coachingtätigkeit sowie für alltägliche Aufgaben.
Bei meiner Coachingtätigkeit im Bereich der interkulturellen Kommunikation freut es mich, wenn die Teilnehmenden im Anschluss gestärkt, empowert und sensibilisiert sind. Stillstand lehne ich ab und lege wert darauf, mich immer weiterzuentwickeln. Ich liebe inspirierende Herausforderungen und habe Visionen, die ich angehe – wenn ich sie für umsetzbar halte.“
Wofür fehlt dir Motivation?
„Wenn ich Tätigkeiten erledigen muss, die mir sinnlos erscheinen oder bei denen ich das Gefühl habe, sie seien eine bloße Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, fehlt mir die intrinsische Motivation. Dann schaue ich, ob sich die Arbeit auch anders regeln lässt. Sollte das nicht der Fall sein, entwickle ich eine möglichst zielführende Strategie, diese Aufgabe zügig und professionell erledigen zu können. Jedoch versuche ich, meine Zeit nicht mit sinnfreien Tätigkeiten zu verschwenden.“
Kannst du dich selbst motivieren? Wenn ja: Wie machst du das?
„Ich liebe Rituale und zelebriere sie. Alle Tätigkeiten verbinde ich mit Ritualen, die mich motivieren und auf die ich mich freue. Mir helfen To-do-Listen sehr, die ich systematisch abarbeite. Ich bin sehr fokussiert und entschlossen, was es mir erleichtert, meinen Zielen näher zu kommen. Ich nehme mir ein Ziel vor, teile es in überschaubare Schritte ein und arbeite sie dann schrittweise ab.“
Welche Personen findest du motivierend und warum?
„Ich finde Menschen sehr motivierend und inspirierend, die ihr Leben und ihre Ziele mit eigener Entschlossenheit und Energie meistern. Dazu gehören Menschen, mit denen man nicht gerechnet hätte. Das können Menschen sein, die in der Öffentlichkeit stehen, wie Barack Obama und Kamala Harris, aber auch Menschen aus dem privaten Umfeld, die ihr Leben bewundernswert meistern.“
Karosh Taha
Karosh Taha schreibt über die Erinnerungen von Menschen mit Migrationserfahrungen und wie diese in Köpfen und Körpern über Generationen hinweg haften bleiben. Sie schreibt von Heimweh, Freiheit und sexueller Lust und ist längst zu einer wichtigen literarischen Stimme geworden, auch für die feministische Bewegung. Karosh wurde 1987 in Zaxo im Nordirak geboren. Seit 1997 lebt sie im Ruhrgebiet. Sie wuchs in Duisburg auf, studierte Englisch und Geschichte auf Lehramt und wurde mit ihrem Debütroman „Beschreibung einer Krabbenwanderung“ zur Schriftstellerin.
Woraus ziehst du Motivation für das, was du tust?
„Ich kann mich sehr schnell langweilen, deswegen wähle ich für mein Schreiben immer Themen, die mich interessieren; ein Thema, das mich entweder emotional oder intellektuell herausfordert, was meine Neugier weckt – also hauptsächlich kommt die Motivation aus dem Inhalt. Wenn dies nicht der Fall ist, dann versuche ich zumindest, eine neue Form zu finden.“
Wofür fehlt dir Motivation?
„Mir fehlt die Motivation für alles, was indirekt mit meiner Arbeit zu tun hat, also eher Organisation und Verwaltung.“
Kannst du dich selbst motivieren? Wenn ja: Wie machst du das?
„Ich erinnere mich daran, dass ich als Jugendliche immer davon geträumt habe, Schriftstellerin zu werden. Dieser Traum ist irgendwie in Erfüllung gegangen und deswegen will ich es auch in vollen Zügen genießen.“
Welche Personen findest du motivierend und warum?
„Schriftstellerinnen, die ich bewundere: Sandra Cisneros, Zadie Smith, Toni Morrison (englischsprachig), Shida Bazyar und Rasha Khayat (deutschsprachig). Ich lese oder schaue ihre Interviews und werde so an meine Aufgabe erinnert.“
Dieser Artikel erschien erstmals am 19. Januar 2021.