Foto: patrizia isabella widritzki

nacheinander? miteinander!

kann man jetzt nicht mal morgens in ruhe zeitung lesen, ohne sich darüber aufregen zu müssen, dass da draußen immer noch leute rumlaufen, die es nicht kapiert haben? die immer noch bücher darüber schreiben, wie ich als frau und mutter es am besten mache? am besten für mich. aber auch am besten für die anderen? ich würde den artikel-titel “immer mit der ruhe!” gerne ersetzen: lasst mich doch alle in ruhe!

 

statt sich darüber auszulassen, mit welch überfordernden gleichzeit-aufgaben sich mütter heute – das ich nicht lache, was die heutigen herausforderungen des lebens anbelangt, gab es die früher garantiert auch, bloß unter anderem deckmäntelchen – konfrontriert sehen (worüber sich in den letzten monaten unendlich viele besser-wissende ausgelassen haben und wo doch dann die x-te expertenmeinung vielleicht einfach nur noch langweilt), könnte man sich doch mal damit beschäftigen seine perspektive auf dieses thema auszuweiten und die umstehenden protagonisten in sein gedankenspiel mit einzubeziehen.

“kinder, partnerschaft, karriere, fortbildung, soziales engagement – alles sollen und müssen frauen heute liefern, gleichzeitig und nebeneinander.” (*eva corino, welt am sonntag, “immer mit der ruhe”, ausgabe 17. juni 2018)

für mich ist in dieser aufzählung garnicht die aufzählung interessant. relevant scheint vorallem das letzte wort: nebeneinander… ersetzt man es durch ein “miteinander”, sieht die sache ganz anders aus. dann handelt es sich nicht um die aufzählung unbewältigbarer und belastender faktoren, sondern um die liste angestrebter ziele, die im zusammenspiel beteiligter personen gemeinsam erreicht werden können.

“früher hatten frauen eine option: familie…heute haben sie drei wahlmöglichkeiten: familie, beruf oder beides gleichzeitig.”(*eva corino, welt am sonntag, “immer mit der ruhe”, ausgabe 17. juni 2018)

ich verweigere mich, diese sehr eingeschränkte und verfälschte auswahl an möglichkeiten anzuerkennen. meines erachtens scheint hier die vorstellung von familie und den veralteten rollen allzu starr. diese rollenzuschreibungen aufzulösen, mehr möglich zu machen und dem potenzial jedes einzelnen in einer familie und somit auch in der gesellschaft mehr raum zu verschaffen – das beginnt bei jedem einzelnen im kopf. die vorstellung dessen in sich zu tragen was möglich sein kann. eine vision von dem zu haben, wie man es haben möchte, wie es sein soll.

was ist familie?

dass ein leben mit beruf und familie gleichzeitig unglaublich und mörderisch stressig sein kann, meist auch ist, wie die autorin schreibt, kann ich bestätigen. aber meines erachtens ist es kein lösungsansatz, zumindest nicht für mich, deshalb erst familie “zu machen” und dann (wann übrigens genau?) “beruf machen”. vielmehr sehe ich die lösung im miteinander (statt wie von der autorin vorgeschlagen nacheinander). weil ich die themen ansich aber auch nicht monopersonel im bezug zur frau und mutter sehe. wenn ich von familie spreche oder lese, bedeutet für mich familie immer zunächst eine lebensgemeinschaft, in der man sich umeinander kümmert. nicht vater, mutter, kind. und schon garnicht frau als mutter und hauptverantwortliche für das kind. meine gedanken und lösungsansätze kreisen viel mehr um das thema elternschaft als gemeinschaft. und ich mag den begriff eltern-sein inzwischen viel lieber als ein einzelnes “mutter” oder “vater”. es wird viel mehr meinem bild von familie und der form die verantwortung gemeinsam zu tragen gerecht. und somit tragen wir auch gemeinsam die verantwortung dafür, dass keiner in der familie seinen aufgaben, welcher art auch immer, derart nachkommt, dass er oder sie unter “mörderischem stress in seiner lebensmitte” leidet.

ist scheitern keine option?

und das genau dieser stress, oder wie eva corino ihn nennt “druck” ein grund für die zahlreichen scheidungen sein soll… naja, ich halte den weg in eine scheidung oder trennung für viel komplexer und demnach vielleicht auch auf mehreren ebenen umgehbar, womöglich aber auch manchmal für den besten weg. was ist dramatischer – eine familie die nur kämpft und kreischt, kein vorbild ist und schon garnicht eine wohlfühlstätte – oder das beenden einer solchen situation mit der aussicht auf eine bessere option?

damit weder frauen noch männer, die beruf und familie sinnvoll und gut unter einen hut bekommen wollen, zwangsläufig das gefühl haben müssen zu versagen, braucht es mehr gemeinschaftssinn. weg von der denke, man müsse alles perfekt machen und alles alleine schaffen. das muss man nicht. weder im job, noch zuhause oder sonst wo. und wenn wir endlich mal beginnen das zu erkennen und miteinander und füreinander umzusetzen, wird es nicht nur jedem einzelnen von uns besser gehen, sondern uns allen. empathie ist eine der grundlegendsten einstellungen und gefühle, die eine gute gesellschaft braucht.

was macht uns zu menschen?

und zu eva corinos bestreben “anreize für einen rollentausch” zu finden, möchte ich nur sagen: es ist sicher nicht erstrebenswert, dass rollen getauscht werden. im gegenteil, das ziel ist, rollen gemeinsam zu erfüllen, in teilzeit sozusagen. und wenn die menschen in einer gesellschaft nicht nur als ökonomische maschinen betrachtet werden, sondern ihnen ein leben ermöglicht wird, das human ist und in dem das arbeiten (nur) ein wichtiger teil von vielen ist, dann können wir alle auch mal tief durchatmen und uns dessen besinnen, was unser menschsein ausmacht: kausale zusammenhänge zu erkennen und nach ethisch-moralischen prinzipien zu handeln. selbstreflexion, antizipation, sowie eine vielfältige kommunikation.

und: die fähigkeit zur abstraktion. womit wir wieder bei der eingangs erwähnten denke einer vision wären. und mit dieser einstellung, schaffen wir es auch neue wege zu denken und zu gehen. hier gebe ich frau corino recht. die zeit ist reif, in der familie nicht mit beruflicher marginalisierung bestraft wird, sondern als chance des wachstums erkannt wird. und vielleicht nicht nur deshalb, weil die arbeitswelt sich verändert, sondern eben auch, weil sich die definition von familie verändert, die definition von elternschaft und vielen anderen, kleinen, dazu beitragenden faktoren.

es hängt eben doch alles irgendwie zusammen, alles ist wichtig und nichts bleibt zu unwichtig, um sich keine gedanken darüber zu machen. diese gesellschaft braucht jeden einzelnen von uns und jedes einzelne, individuelle engagement!

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