Viele Unternehmen melden wegen der Corona-Krise Kurzarbeit an. Nina Straßner ist Anwältin für Arbeitsrecht und erklärt, was das für Arbeitnehmer*innen bedeutet.
Mareice Kaiser: Nina, mehr als zwei Millionen Menschen in Deutschland gehen bald in Kurzarbeit. Ist das gut oder schlecht?
Nina Straßner: „Kurzarbeit ist eine arbeitsrechtliche Notfallmaßnahme für Betriebe. Sie ist dazu gedacht, vorübergehende Engpässe abzufedern, damit der Arbeitsplatz an sich erhalten werden kann und nicht gekündigt werden muss. Betriebsbedingte Kündigungen sind im Kündigungsschutzgesetz als Grund aufgenommen und daher durchaus möglich. Aus der Warte betrachtet ist es sehr gut, dass wir Kurzarbeit in unserem System haben, denn der Staat unterstützt das finanziell und gleicht Lohn aus. Aber natürlich ist die Tatsache, dass Kurzarbeit überhaupt beantragt werden muss, kein Grund zur Freude. Weder für Arbeitgebende noch für Arbeitnehmende.“
Wie funktioniert Kurzarbeit?
„Kürzer arbeiten, weil weniger Arbeit da ist. Das bestimmen die Betriebe mit Zustimmung des Betriebsrates oder mit den Mitarbeiter*innen selbst , wenn es keinen Betriebsrat gibt. Die Arbeitgeber*innen beantragen das bei der Bundesagentur für Arbeit, die überprüft, ob alle Voraussetzungen dafür auch wirklich vorliegen. Die Betriebsgröße ist egal, das geht also auch bei nur einem Angestellten. Vor Corona musste mindestens ein Drittel aller Beschäftigten von einem Arbeitsausfall betroffen sein, nun reichen zehn Prozent der Angestellten. Für die können dann die Arbeitsstunden reduziert werden. Teilweise sogar bis auf Null.“
Wie errechnet sich das Gehalt?
„Die Arbeitgeber*innen bezahlen die reduzierten Stunden nach wie vor an die Mitarbeiter*innen. Auf die weggefallenen Stunden zahlen sie nur die hypothetischen Sozialversicherungsbeiträge, aber eben nicht den Lohn an sich. Das entlastet die Betriebe finanziell, so dass sie durch vorübergehend schwere Zeiten leichter durchkommen und Arbeitsplätze erhalten können. Den Lohn für die weggefallenen Stunden übernimmt die Bundesagentur für Arbeit als ,Kurzarbeitergeld‘, das den Verdienstausfall zumindest teilweise ausgleichen soll. Wer Kinder hat, bekommt von dieser Differenz 67 Prozent, Beschäftigte ohne Kind bekommen circa 60 Prozent der Differenz zum Nettoentgelt.“
Was müssen Arbeitnehmer*innen beachten?
„Kurzarbeitergeld bekommt man nur, wenn man in der Arbeitslosenversicherung versichert ist. Kurzarbeit ist außerdem zustimmungspflichtig. Entweder der Betriebsrat stimmt zu oder der*die Arbeitnehmer*in selbst. In den meisten Fällen sollte man zustimmen, denn die Alternative wäre unter Umständen auch eine Änderungskündigung, die man dann nur drei Wochen gerichtlich überprüfen lassen kann – und das kostet Geld. Während man Kurzarbeitergeld bekommt, muss man bei Vermittlungsbemühungen durch die Agentur für Arbeit mitwirken, wenn da was kommen sollte.“
Wenn ich nach der Kurzarbeit arbeitslos werde, berechnet sich mein Arbeitslosengeld dann anhand des geringeren Kurzarbeitergeldes?
„Nein, darauf hat es keinen negativen Einfluss. Es soll ja dazu dienen, den Arbeitsplatz zu erhalten. Kurzarbeitergeld ist im Übrigen steuerfrei, wird aber im Lohnsteuerjahresausgleich bei einer gemeinsamen Veranlagung dazugerechnet. Es kann also sein, dass die gezahlten Beträge bei der Ermittlung des persönlichen Steuersatzes berücksichtigt werden. Ähnlich wie beim Elterngeld.“
Kann ich zusätzlich zum Kurzarbeitergeld auch ALG II beantragen, wenn das Geld für mich und meine Familie nicht mehr reicht?
„Ja, das kann man. Es gibt einen Freibetrag, bisher werden rund 20 Prozent des Einkommens nicht auf Hartz IV angerechnet. Die Beantragung ist aber leider ziemlich aufwändig und Ersparnisse oberhalb bestimmter Grenzen müssen zunächst verbraucht werden – aber bevor man sich verschuldet, sollte man das durchaus in Betracht ziehen. Auch Soloselbständige, die kein Kurzarbeitergeld erhalten, können Leistungen der Grundsicherung erhalten, wenn sie in dieser Krise keine Aufträge mehr bekommen.“
Wer leidet am meisten unter der Kurzarbeit, wer profitiert?
„Wirklich profitieren, im Sinne von ,die Taschen vollmachen‘ tut hier niemand. Kurzarbeit ist ein gutes Instrument. Wer eh schon wenig verdient, ist hier natürlich empfindlich getroffen, aber es ist immer noch besser als eine Kündigung in diesen Zeiten. Wer selbst kündigen möchte, sollte sich dringend anwaltlich beraten lassen, wie individuell das schlauste Vorgehen ist, damit keine bösen Überraschungen kommen.“
Was sollten unsere Leser*innen noch zur Kurzarbeit wissen?
„Die Zeit, die an Arbeitsstunden ausfällt, darf zur Qualifizierung genutzt werden. Wer also die Kapazitäten privat hat, weil keine Kinder betreut werden müssen, kann hier vielleicht was Positives für sich rausziehen. Wenn die Bundesagentur für Arbeit vermitteln möchte, geht das allerdings vor. Auch Nebentätigkeiten, die man vor der Einführung der Kurzarbeit beim Hauptarbeitgebenden schon ausgeübt hat, kann man weiter machen, ohne dass das Kurzarbeitergeld gekürzt wird. Wer aber deswegen eine neue Tätigkeit aufnimmt oder seine bestehende Nebenbeschäftigung ausweitet, muss mit einer Anrechnung auf das Kurzarbeitergeld rechnen. Hier sollte man also aufpassen und sich gut beraten lassen.“
Vielen Dank für das Gespräch, Nina.
„Gern. Ich wünsche allen, die sich finanziell nun enorme Sorgen machen müssen, viel Kraft – von ganzem Herzen.“
Nina Straßner ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Mediatorin. Außerdem ist sie Autorin, preisgekrönte Bloggerin und aktuell im Home Office, in dem sie jeden Tag um Vereinbarkeit kämpft.