Am 22. Februar hat der Bundestag über Paragraf 219a diskutiert. Es wäre die Chance gewesen, ein deutliches Zeichen gegen ein rückständiges Gesetz zu setzen, aber der Deutsche Bundestag ist wohl noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen.
Ein Paragraf hat ausgedient
Paragraf 219a, der Paragraf im Strafgesetzbuch, der faktisch Informationsbereitstellung über Abtreibungsmöglichkeiten unter Strafe stellt, muss weg. Und die Hoffnung in den letzten Wochen war groß, dass dieses rückständige Gesetz, das ursprünglich 1933 von den Nazis eingeführt wurde, tatsächlich bald gestrichen werden könnte. Die Bundestagsdebatte am 22. Februar 2018 allerdings machte eher deutlich, wie weit wir noch von einer Gesellschaft entfernt sind, in der Frauen und anderen Menschen, die schwanger werden können, die Kompetenz und das Recht zuzusprechen, über ihren eigenen Körper entscheiden zu können.
Denn für nichts anderes steht der Paragraf 219a. Der Paragraf, der festlegt, dass Ärztinnen und Ärzte nicht für den eigenen „Vermögensvorteil oder in grob anstößiger Weise” für Schwangerschaftsabbrüche „werben” dürfen. Faktisch bedeutet dies allerdings, dass eine Ärztin oder ein Arzt keine Informationen darüber veröffentlichen dürfen, dass sie oder er Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Es genügt, dass sie auf ihren Webseiten darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, um verurteilt werden zu können. So ging es im vergangenen November der Gießener Ärztin Kristina Hänel, die vor dem Gießener Landgericht zu einer Geldstrafe von 6.000 verurteilt wurde.
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Ärztin durch das Bereitstellen von Informationen über Schwangerschaftsabbrüche auf ihrer Website gegen Paragraph 219a verstoßen würde. Auf ihrer Website gibt es einen Link, unter dem betroffene Frauen sich per E-Mail Informationen über Schwangerschaftsabbrüche zusenden lassen können. Diese Informationsmöglichkeit stellt der Paragraf unter Strafe – und nimmt betroffenen Schwangeren damit sowohl die Möglichkeit, sich anonym und zeitnah darüber zu informieren, welche Ärzt_innen Abtreibungen durchführen als auch sich direkt bei diesen über sichere Abtreibungen zu informieren.
So weit, so rückständig
Schon im Vorfeld der Verurteilung Hänels und nach der Urteilsverkündung solidarisierten sich viele Gruppen mit der Ärztin. Sie selbst starte eine Petition gegen den Paragrafen, politische Verbände und hessische sowie Bundesverbände von Linken, Grünen, der SPD und der FDP zogen nach. Der Paragraf sollte gekippt werden. Auch der Berufsverband der Frauenärzte, die Evangelischen Frauen, der Frauenverband der FDP und der Deutsche Juristinnenbund sprechen sich für eine Abschaffung oder Änderung des Paragrafen aus.
Doch noch vor der ersten Anhörung im Bundestag, zog die SPD Anfang der Woche ihren Antrag zurück. Grund hierfür: die klar ablehnende Haltung der Union, die sich so wie die AFD komplett gegen eine Änderung oder Streichung stellt.
Statt sich klar zu positionieren, möchte die SPD einen Kompromiss mit der Partei finden, die glaubt, dass Frauen, wenn 219a gestrichen wird, anfangen würden, Abtreibungen wie ein neues Hobby zu betreiben. Wie absurd dieser Rückschluss ist, brachte Cornelia Möhring, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, auf den Punkt: „Ich kenne keine Frau, die sagen würde, ‚was für eine coole Werbung, jetzt mach ich mal einen Schwangerschaftsabbruch.”
Werbung für Abtreibungen wird es auch ohne 219a nicht geben
Das ist genauso absurd, wie die Angst, dass mit der Streichung von 219a, plötzlich überall blinkende Werbetafeln für Schwangerschaftsabbrüche auftauchen würden. Die CDU-Politikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker fürchtet in ihrer Rede, dass Abtreibungen ohne Paragraf 219a bald wie Schönheitsoperationen beworben werden könnten. Sie stellte, wie auch ihr Parteikollege Stephan Harbarth, das „Recht des ungeborenen Kindes” über das Selbstbestimmungsrecht der Frauen. Für sie „stünde Werbung im Widerspruch zur Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs”. Dabei verkennt sie allerdings eine sehr wichtig Tatsache: Kein Arzt könnte ohne Paragraf 219a Werbung für Abtreibungen machen. Die Berufsordnung der Ärztinnen und Ärzte würde dies weiterhin verbieten. Ihre Aussage zeigt allerdings noch etwas anderes auf: Abtreibungen müssen endlich legalisiert werden. Nach Paragraf 219a, muss also auch Paragraf 218 verschwinden. Die Reden der AfD spare ich mir an dieser Stelle aus gutem Grund komplett. Wer sie nachschauen möchte, kann dies hier tun.
Anstatt gemeinsam mit den Grünen, der Linken und der FDP einen fraktionsübergreifenden Antrag einzubringen, der zu einer Gewissensabstimmung führen könnte, bei der jeder Abgeordnete parteiunabhängig abstimmen könnte, brachte die SPD lieber gar keinen Antrag ein und hofft auf einen Kompromiss. Ähnlich wie bei der Ehe für alle, verpassen die Sozialdemokraten damit einmal mehr die Chance, einen progressiven Wandel der Gesellschaft angeführt zu haben. Die Anträge wandern nur erst einmal zurück in die Ausschüsse. Eine Entscheidung wird damit erst einmal vertagt. Einziger Hoffnungsschimmer: die klaren Worte der stellvertretenden Fraktionsvorsitzende der SPD, Eva Högl, die eben genau für so eine Gewissensabstimmung plädiert und einräumt: „Der Paragraf ist nicht mehr zeitgemäß“. Aber ihren Antrag zurückgezogen hat die SPD eben dennoch.
Frauen müssen über ihren eigenen Körper bestimmen können
Damit wird das das Recht von Schwangeren auf Information, auf eine sichere Abtreibung, und ja, auf eine Wahlmöglichkeit weiter ausgesetzt. Und das ist gefährlich, rückständig und diskriminierend. Die Gründe, warum Frauen sich für eine Abtreibung entscheiden, sind vielseitig, aber keine Frau trifft sie leichtfertig. Umso wichtiger ist, dass sie sich informieren kann. Frauen werden weiter abtreiben, egal ob es Paragraf 219a gibt oder nicht. Mit der Festhaltung an dem Paragrafen, entscheiden wir uns nur dafür, dass sie dies unter unmenschlichen Umständen tun müssen. Wir erlauben sogenannten „Lebenschützern”, Schwangere und Ärzt_innen zu diskreditieren, zu stigmatisieren und sie zu Verbrechern zu machen. Wir nehmen ihnen das Recht auf Information und zwingen sie zu unsicheren Entscheidungen. In einer Gesellschaft, die für sich beansprucht, sich stetig weiterzuentwickeln, ist das anachronistisch. Ein Grund mehr, den Paragrafen 219a endlich abzuschaffen. Das gleiche gilt übrigens für Paragraf 218. Darum kümmern wir uns dann als nächstes.
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