INTERVIEW MIT DR. GEERTJE TUTSCHKA VON CLP -CONSULTING FOR LEGAL PROFESSIONALS durch breaking.through
Dr. Geertje Tutschka, ACC, Managing Partner bei CLP, Präsidentin der ICF Deutschland und Ausbilderin im Legal Coaching, über ihren Weg zur weiblichen Führungskraft sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Interview mit breaking.through durch Nadja Harraschain, welches dort zuerst erschienen ist.
Frau Tutschka, Sie sind selbständige Anwältin, Coach, Präsidentin des Berufsverbandes für Coaches (ICF), Referentin sowie Autorin von Fachliteratur und Belletristik – mit anderen Worten ein wahres Multitalent. War für Sie schon immer klar, dass Ihnen eine einzelne Profession nicht ausreichen würde?
Ich glaube, dass Berufsbilder, insbesondere derart klassische wie die des Anwalts, überbewertet werden. Menschen und deren Talente und Kompetenzen lassen sich nicht kategorisieren. Deshalb gibt es gerade in den letzten Jahrzehnten sehr viele neue Berufe. Ich bin überzeugt, dass sich auch das Berufsbild des Anwalts grundlegend ändern wird.
Vor der Zusammenführung von Ost und West erschien es Ihnen nicht vertretbar Rechtswissenschaften zu studieren, daher arbeiteten Sie zunächst als Cellistin. Für Generationen heute, die ohne Ost-West-Trennung aufgewachsen sind, kaum vorstellbar. Wieso entschieden Sie sich zunächst gegen ein Jurastudium?
Ich wollte in Ostdeutschland nicht Jura studieren. Jura ist (und war) ein politisches Studium. Das hätte bedeutet, dass ich mich eindeutig staatskonform hätte positionieren müssen, also z.B. Mitglied der SED hätte werden müssen. Das kam nicht in Frage.
Nach Ihrem Studium arbeiteten Sie zunächst als Anwältin, bevor Sie innerhalb von drei Jahren drei Kinder bekamen. Aber nicht nur das, Sie nutzten die drei Jahre um eine Doktorarbeit im Vertragsrecht zu verfassen. Das erfordert sehr viel Disziplin und eine gute Organisation. Wie sah Ihr Tagesablauf in dieser Zeit etwa aus?
Strukturiert und chaotisch zu gleichen Teilen. Es erfordert einen gewissen Tunnelblick, sich auf die wesentlichen Dinge zu fokusssieren: in meinem Fall die Kinder und die Dissertation. In dieser Zeit habe ich Selbstmanagement gelernt, aber auch Achtsamkeit. Von Vorteil war für mich, dass ich während der Elternzeit sehr viel flexibler in der Einteilung meiner Zeit war. Autonom und selbstorganisiert, aber auch allein arbeiten zu können, ist jedoch unbedingt erforderlich, um das Schreiben einer Dissertation in der Zeit der Familiengründung unter einen Hut zu bekommen. Von Vorteil war für mich außerdem die finanzielle Sicherheit der Elternzeit. Ich hätte mir nicht leisten können, statt einer Vollzeitstelle mir eine Auszeit für meine Promotion zu nehmen. Von Nachteil ist möglicherweise, dass der Alltag einer jungen Familie oft chaotisch ist und schlecht planbar. Man muss sich in Geduld üben und einen langen Atem haben; dran bleiben. In einem strukturierten Erwachsenenalltag hat eine Dissertation sehr viel mehr Raum; man kann ausführlicher recherchieren und es noch öfter überarbeiten. In der Familienpause dauert die Dissertation insgesamt länger und wird trotzdem mit deutlich weniger Zeitaufwand geschrieben. Mein Tipp: Man sollte vor dem Start sich und die Motive für die Promotion gut kennen sowie sich Partner ins Boot holen (den Partner, einen Mentor, eine Arbeitsgruppe, einen guten Freund).
Welche Rolle kommt externer Kinderbetreuung Ihrer Ansicht nach bei der Verwirklichung solch ehrgeiziger Vorhaben zu?
Eine tragende Rolle. Ich bin ein großer Fan professioneller Kinderbetreuung. Ich habe mich intensiv mit frühkindlicher Bindung und Entwicklung beschäftigt – nicht nur als Coach. Gute Kinderbetreuung ist für Eltern und Kinder wichtig.
Würden Sie anderen ebenfalls dazu raten, Kinder während der Promotion zu bekommen? Welche Vor- und Nachteile sehen Sie dabei insbesondere?
Nein, ich möchte da keine Empfehlung abgeben. Für mich war es die Ideallösung. Als Coach habe ich Respekt vor den Lebensentscheidungen anderer. Es hängt viel von Persönlichkeit und Umfeld ab, wie die Ideallösung aussieht.
Ihr Coaching ist auf Juristen und Juristinnen spezialisiert. Welche Rolle kommt dem Thema Vereinbarkeit von Familie und Karriere in den meisten Coachings zu?
Das ist ein zentrales Thema bei den unter Viezigjährigen. Das sind die, die sich in der sogenannten Rush Hour des Lebens befinden. Alles muss in den 10 Jahren zwischen 30-40 passieren: Partnerschaft, Kinder, Karriere, Einkommen, Status, Hausbau, Reisen…
Sie geben regelmäßig auch Coachings für Nachwuchsjuristinnen, etwa Siegerinnen der PANDA Law Events. Gibt es Themen, die seit Ihrer Ausbildungszeit kaum an Relevanz verloren haben? Gibt es andere, die inzwischen an Relevanz verloren zu haben scheinen bzw. die noch relativ neu sind?
Das immer aktuelle Thema ist bei den Juristinnen die Ungleichbehandlung bei Gehalt/Partnerwerdung aber auch beim täglichen Miteinander. Das schmerzt schon, zu sehen wie wenig sich da entwickelt hat. Politik ist weniger. Entpreneurship mit Legal Tech neu.
Sie haben seit mehreren Jahren den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Heute geben Sie anderen in Publikationen und im persönlichen Coaching Rat bei der Kanzleigründung bzw. bei der Führung einer Kanzlei als Business. Welche Eigenschaften halten Sie für unabdingbar, wenn man sich selbstständig machen möchte?
Neben Führungs- und Entscheidungskompetenz sollte unbedingt Unternehmergeist dazukommen, also Spaß an Strategie, Positionierung, Marketing aber vor allem auch Vertriebde. Man muss nicht unbedingt ein Experte in einem juristischen Fachgebiet sein.
Woher nehmen Sie die Ideen für Ihre Vorhaben, etwa Ihr neues Buch über Kanzleigründung? Entstehen diese bisweilen auch angeregt durch Ihre Coachings oder tendenziell eher durch Ihre eigenen Erfahrungen?
Natürlich sind diese auch Teil meiner Arbeit bei CLP, wo ich umfassenden Einblick in die aktuellen Themen, Bedürfnisse und Probleme unserer Kunden bekomme. Und mittlerweile kommen Verlage oder auch der Anwaltverein auf mich zu für diese Projekte.
Ihr persönlicher Werdegang hat Sie von Deutschland nach Detroit und von dort aus nach Salzburg geführt. Wo sehen Sie den größten Nachholbedarf im Bereich Vereinbarkeit Familie und Beruf? Sehen Sie schwerwiegende Vorteile an einem der genannten Standorte?
Den größten Nachholbedarf sehe ich in Österreich, wo das christlich dominierte Wertesystem das sehr konservative Frauenbild betont. Österreichische Anwältinnen schauen voller Bewunderung auf die Errungenschaften der deutschen Kolleginnen.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte? Wieso?
Hier möchte ich unsere Justizministerin Dr. Katarina Barley nennen. Sie schafft es, nach einem so starken Charakter wie Heiko Maas präsent, authentisch und konstruktiv zu sein. Dafür bewundere ich sie.
Vielen Dank für das Interview und die Zeit, die Sie sich dafür genommen haben!