Foto: Department of Foreign Affairs and Trade – Australia – Flickr – CC BY 2.0

Gewalt in Köln – Welche Frage wir uns jetzt stellen sollten

Rund um den Kölner Hauptbahnhof wurden in der Silvesternacht offenbar Frauen von Männergruppen attackiert und belästigt. Doch es ist falsch, dabei vor allem auf die Herkunft der Täter zu schauen.

 

Dutzende Übergriffe in Köln

Natürlich ist es verstörend, dass es in der Silvesternacht
rund um den Kölner Hauptbahnhof gehäuft zu gewalttätigen und sexualisierten
Übergriffen
gegenüber Frauen kam. Einige dieser Frauen haben Anzeige erstattet
und über die Geschehnisse berichtet, sodass die Stadt Köln sich nun auch auf
politischer Ebene mit den Ereignissen beschäftigt – das ist gut.

Was mich bei der Debatte, die sich bislang an die Vorfälle
angeschlossen hat, so irritiert und wütend macht, ist die Richtung, die sie
nimmt, und die gespielte Überraschung, die dabei durchscheint und sich in etwa
so liest: Sexualisierte Gewalt? In Deutschland? In diesem Ausmaß? Und das an
Silvester? Das kann nicht sein.

Gewalt gegen Frauen in Europa

Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück: Am 25. November war wie jedes Jahr seit 1981
der „Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“. Das ist nur
wenige Wochen her
. Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD) sagte anlässlich des
Aktionstages
im vergangenen Jahr: „Gewalt gegen Frauen kommt viel zu häufig vor
und vor allem wird sie leider viel zu häufig totgeschwiegen. Dieses Schweigen
müssen wir brechen – gemeinsam!“ Weiter heißt es in der Pressemitteilung zum
Hilfetelefon, das die Bundesregierung eingerichtet hat und in 15 Sprachen
anbietet: „Jede dritte Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal in ihrem
Leben körperliche und/oder sexuelle Gewalt. Die Gewalt findet in der Mitte der
Gesellschaft statt – betroffen sind Frauen jeden Alters und jeder Schicht.“

Wie die deutsche Regierung ist das Thema Gewalt gegenüber
Frauen auch für die EU kein neues Thema. In der EU-Gleichstellungsstrategie
(2010-2015) wurde „eine EU-weite Strategie zur Bekämpfung der Gewalt gegen
Frauen“ angekündigt sowie „eine europaweite Kampagne zur Sensibilisierung für das
Problem der Gewalt 
gegen Frauen“. Frauenorganisationen kritisierten jedoch zu
Recht zum Auslaufen der Gleichstellungsstrategie, dass in diesen Bereichen auf
EU-Ebene bislang zu wenig passiert sei.

Warum diese Gewalt uns alle betrifft

Diese Gewalt betrifft 100 Prozent der Bevölkerung weltweit –
denn wir sind Teil der Kulturen, in denen Gewalt zum Alltag gehört, toleriert
oder strategisch eingesetzt wird. Es reicht nicht aus, diese Gewalt zu
thematisieren, wenn sie massiv auftritt oder an einem ausgewählten Tag im Jahr. Da stehen dann dieser einsame Tag und diese einfache Telefonnummer symbolisch dafür, dass uns als Gesellschaft bislang nicht
wichtig genug ist, den Ideen für ein friedliches Zusammenleben große Aufmerksamkeit zu schenken und sie in politische und
gesellschaftliche Lösungen zu integrieren. Die Normen von Männlichkeit und Macht in Frage zu stellen, wirkt für viele eben so brachial, da tut das kleine Bisschen körperliche Gewalt nicht weh, oder?

Wie die Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp schreibt,
können wir aber bereits mit kleinen Dingen beginnen, um unsere Kultur zu verändern:
Stärken wir Mädchen in Schule und Kindergarten, für ihre Ideen und Ansichten
einzustehen, auch gegen Widerstände. Bringen wir Jungen von klein auf bei, dass
sie Mädchen und Frauen zu respektieren haben, dass sie nicht aufgrund ihrer
Männlichkeit über ihnen stehen. Machen wir bei jeder sich bietenden Gelegenheit
klar, dass Frauen sich anziehen und bewegen können wie sie wollen und niemand
deshalb zu Übergriffen (oder dummen Kommentaren) irgendeiner Art berechtigt
ist.“

Keine Einwanderung ist keine Lösung

Völlig falsch hingegen ist, aufgrund der Übergriffe in Köln
nun das Thema sexualisierte Gewalt mit eingewanderten oder muslimischen Männern
zu verknüpfen, wie es beispielsweise die rechtskonservative Publizistin Birgit
Kelle tut, die bei Focus Online schreibt: „Es waren offenbar Männer mit
Migrationshintergrund. Und wohl deswegen bleibt das feministische Netz stumm.“
Die Autorin, die für sexualisierte Übergriffe während der #Aufschrei-Debatte
Frauen die Schuld gab – „Dann mach doch die Bluse zu“ – instrumentalisiert
nun Frauen, denen Gewalt geschehen ist, um das Problem der Gewalt zu einer
Frage der Herkunft zu machen – und findet damit leider viel Zustimmung. Texte in der Stoßrichtung von Kelle füttern jedoch rassistische Hetze, und der Pressekodex besagt auch aus diesem Grund: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“

Birgit
Kelle könnte Frauen genauso gut davor warnen, eine Beziehung einzugehen – denn
etwa jede vierte Frau
in Deutschland erlebt in ihrem Leben mindestens einmal
Gewalt durch ihren Partner. Das aber passt nicht in die Argumentation der Menschen, die Gewalt gegenüber Frauen dafür instrumentalisieren, um andere politische Interessen zu stützen, wie etwa eine restriktivere Asyl- und Einwanderungspolitik.

Ein Fakt und ein Wunsch

Ob also vermehrte Zuwanderung das Risiko für Frauen, Gewalt
zu erleben erhöht, kann bislang niemand belastbar sagen. Fakt ist, dass
Abwertung und Gewalt davon unabhängig für Mädchen und Frauen in Deutschland ein
Problem bleibt.

Schaffen wir das, dass es irgendwann anders ist?

Titelbild: Department of Foreign Affairs and Trade – Australia – Flickr – CC BY 2.0

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