Gisela Enders arbeitet als Führungskräfte- und Finanzcoach. Einen Teil ihrer Coaching-Tätigkeit widmet sie dem Thema Körperakzeptanz, zu dem sie auch bloggt und Bücher schreibt. Unser Partner Manager Magazin hat sie zu den Vorurteilen von Dicken und Karriere befragt.
Dicke sind faul und nicht ambitioniert
Frau Enders, Sie sind Coach, selbst dick und beschäftigen sich auch mit dem Thema Körperwahrnehmung. Beim Thema Karriere und Ehrgeiz stellen die meisten sich wohl eher schlanke Leute vor.
„Dicke sind faul, dumm, schwitzen und sind doof. Das sind die gängigen Vorurteile, nicht wahr? Es gibt selten die Assoziation: Dicke sind erfolgreich, pfiffig und fleißig. Aber das kommt genauso vor. Das Kriterium “dick” ist als Klassifizierungsmerkmal für Kompetenz, Fleiß oder Ehrgeiz ungefähr so sinnvoll wie das Kriterium ‚glatte Haare‘ oder ‚blaue Augen‘. Sind langhaarige Frauen fauler als andere, weil sie seltener zum Friseur gehen? Das ist offenkundiger Unfug, oder? Die Vorurteile gegenüber Dicken funktionieren aber nach derselben hanebüchenen Logik.“
In einem Bericht über eine Selbsthilfegruppe las ich das Zitat eines sehr dicken Mannes: „Niemand ist glücklich damit, übergewichtig zu sein.“
„Das ist eine Bewertung, die einer aus seiner Realität über die vermeintliche Realität anderer stülpt. Man könnte auch sagen: Niemand ist mit vielen Leberflecken glücklich. Wissenschaftlich nachgewiesen ist allerdings eine Stigmatisierung von dicken Menschen, die das Leben tatsächlich schwieriger macht.“
Es gibt ja auch den gesundheitlichen Aspekt. Einer aktuellen Studie zufolge ist fast ein Drittel der Menschheit übergewichtig.
„Dass man mit einem Body-Mass-Index von mehr als 25 als übergewichtig gilt, hat die Weltgesundheitsorganisation vor 20 Jahren einmal festgelegt. Damit wurden dann plötzlich Millionen von normalen, gesunden Menschen plötzlich dick und risikobelastet. Dass das Unfug ist, zeigen andere Studien: Die geringste Sterblichkeit haben Leute mit einem BMI von rund 27 – die wären ja dann schon übergewichtig, sind aber merkwürdigerweise viel gesünder als dünne Menschen. Ob Sie dick sind oder nicht, hat kaum einen messbaren Effekt – wohl aber, ob Sie sich bewegen. Sportliche Dicke sind viel gesünder als schlappe Schlanke.“
Das Marathon-Finisher-Shirt hat als Statussymbol aber schon lange den Wohlstandsbauch abgelöst. Wird der Druck auf Dicke stärker?
„Ja. In der Teeküche wird über Diäten gesprochen, dicken Mitarbeitern wird generell weniger zugetraut. Eine Freundin von mir ist im Beruf sehr gut und erfolgreich. Seit zwölf Jahren bewirbt sie sich auf höhere Positionen, und jedes Mal werden ihr sehr gute Chancen eingeräumt. Aber wenn es um Hopp oder Topp geht, ist sie immer nur die zweite. Die Vermutung liegt nahe, dass es daran liegt, dass sie dick ist.“
Körperfülle ist nach gängiger Meinung ein selbstgewähltes Schicksal. Viele Dicke wollen ja auch lieber nicht dick sein. Da fällt es Arbeitgebern vielleicht schwer, in solchen Menschen Leute zu sehen, die Ehrgeiz besitzen und Zielvorgaben erfolgreich umsetzen können.
„Das ist Unfug. Dicksein ist oft nicht selbstgewählt, und die Figur sagt wenig bis nichts über die Ernährung aus. Wer einmal dick ist, hat einen ganz anderen Stoffwechsel. Die Behandlungsmethode Diät wirkt bei höchstens fünf Prozent der Abnehmwilligen, hat aber viele Nebenwirkungen. Würden Sie eine Behandlung wählen, die Ihren Stoffwechsel ruiniert und Sie durch den Jojo-Effekt langfristig noch dicker macht? Ich wehre mich dagegen, Dicksein als bestimmenden Faktor für die Charaktisierung von Menschen zu akzeptieren. Sind Frauen mit widerspenstigen Haaren zickiger? Das ist einfach Unfug. Wie gesagt: Wer sich als dicker Mensch regelmäßig bewegt, ist gesünder als andere. Das Körpergewicht ist nicht der entscheidende Faktor. Es ist ein ebenso unsinniges wie unausrottbares Vorurteil.“
Welche Strategien empfehlen Sie Dicken, die Karriere machen wollen?
„Für mein Buch ‚Wohl in meiner Haut‘ habe ich Erfolgsmodelle gesucht. Was haben dicke, erfolgreiche Menschen richtig gemacht? Es stellte sich heraus: Alle, die ich dazu befragt habe, haben sich im Bewerbungsgespräch keine Gedanken über ihre Figur gemacht. Ich habe mir selbst auch nie Gedanken darüber gemacht, ob ich zu dick bin. Ich habe, wie alle anderen, darüber nachgedacht, was ich anziehen soll. Aber nicht darüber, ob die Größe der Kleidungsstücke die richtige ist. Wenn man Unsicherheit ausstrahlt, macht sich das bemerkbar. Man muss als dicker Mensch vielleicht besser sein als die schlanke Kollegin. Und man darf sich, wenn man abgelehnt wird, durchaus mit Selbstkritik befassen. Aber sollte nicht darüber nachdenken, ob man zu dick war.“
Aber eben sagten Sie doch, dass die Freundin nicht befördert werde, habe mit ihrer Figur zu tun.
„Ja, das glaube ich auch. Aber das hilft in der jeweiligen Situation nicht weiter. Ich prangere an, dass im System etwas falsch ist. Sie selbst aber macht das nicht zum Thema. Man kann Dicken nur raten: Lasst euch nicht unterkriegen.“
Wären Sie selbst lieber schlank?
„Ich glaube, in dieser Gesellschaft wäre das Leben mit weniger Gewicht deutlich einfacher. Aber es hat auch Vorteile, nicht in der Norm zu sein.“
Welche sind das?
„Der Faktor ‚Ich glänze durch mein Aussehen, und das macht mich erfolgreich‘ fällt komplett weg. Dicke können viel weniger blenden. Die meisten Strategien, die Dicke im Laufe ihres Berufslebens entwickeln, haben eher mit Wissen und mit Können zu tun. Was natürlich nicht heißt, dass alle Dicken schlauer sind als alle Dünnen. Was allerdings oft stimmt: Dicke Kinder werden schon als Sechsjährige gehänselt. Wer es in diesem Umfeld trotzdem bis zum Abi und auf die Uni schafft, hat oft mehr drauf als andere, für die es leichter läuft. Widerstand macht zäh.“
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