Vor einiger Zeit habe ich die Jobanzeige meiner Träume gesehen: Redakteurin bei einer feministischen Politikredaktion. Ein kurzer Blick auf die Jobbeschreibung ließ die anfängliche Begeisterung jedoch in Sekundenschnelle erkalten.
Traumberuf Redakteurin: aber nur mit HTML
Die Redakteurin sollte zusätzlich Webseiten entwickeln und
designen können und darüber hinaus noch das Übliche mitbringen (SEO,
PR-Erfahrung, Social Media-Kenntnisse, und so weiter). Da fragt man sich schon, wie
lange man überhaupt studiert und wie lange man darauf hin gearbeitet haben muss,
um all das in sein Skillset zu integrieren.
Na gut, Frauen sind halt zu selbstkritisch und schrecken
gleich zurück, wenn sie nicht zehn von zehn gewünschten Anforderungen erfüllen, mag
man sich da denken. Aber warum sind diese Anforderungen mittlerweile gerade für
Redakteure, Texter und Journalisten auch so vielfältig und eklektisch, dass man
sie eigentlich unmöglich erfüllen könnte, wenn man nicht überall ein Auge
zudrücken will (naja, ich hatte ja mal einen DOS-Kurs in der Schule, das sollte
reichen, oder?)
Ich will meine Arbeit gut machen, daher bewerbe ich mich auf
Stellen, deren Anforderungen meinem Profil entsprechen. Natürlich weiß ich,
dass die letztgenannten „Ihr Profil“-Punkte im Regelfall eher dem Wunschzettel
eines Kindes gleichen: Man zählt halt alles auf, was man haben will, Schwund
ist ja immer.
Doch diese Eigenschaften und Talente sollten ansatzweise
stringent sein. Immer häufiger werden HTML-Kenntnisse für Redakteure verlangt.
Klar, bei einem CMS mal eben die Headline umändern oder ein Bild formatieren,
das kann man schon irgendwie, aber das sind doch keine „HTML-Kenntnisse“.
Hauptsache, du kannst alles
Kürzlich kam mir eine Anzeige unter, die vom Redakteur einer
Fachpublikation auch den gesamten Publikationsprozess forderte. Das ist in etwa
so, als würde man den Architekten bitten, auch schnell mal das ganze Haus zu
bauen.
Digitale Skills lernt man auch im Alltag. So ein wenig HTML
kann man an einem gemütlichen Wochenende ausprobieren und selbst CMS sind
mittlerweile – in den besten Fällen – intuitiv.
Doch Webseiten-Design, Photoshop, InDesign und so weiter sind es
nicht. Warum muss ich als Redakteurin grundsätzlich die eierlegende
Wollmilchsau geben, während Entwickler einfach nur Entwickler sein dürfen und
Mediendesigner eben keine Kurzgeschichtenwettbewerbe gewinnen müssen?
Warum müssen PR- und Öffentlichkeits-Profis Texte für das
Marketing verfassen und nebenbei in der Mittagspause alle sozialen Netzwerke
bespaßen?
Es ist schon genug, dass es zahlreiche Verlage, Redaktionen
und Unternehmen gibt, die alle redaktionellen Arbeiten an Praktikanten
auslagern. Das suggeriert schon, dass es keine qualifizierten Kräfte braucht,
um einen guten, sauberen Text zu schreiben.
Da muss ich mir nicht noch zusätzlich anhören müssen, dass
ich als Angestellte erst dann etwas wert bin, wenn ich nicht nur die paar
Texte, Blogbeiträge, Whitepaper, Newsletter und Mailings schreibe, sondern
bitte auch noch Schönheitsfehler auf der Webseite korrigiere, Bilder bearbeite
und Flyer mitdesigne.
Die Wollmilchsau ist überfordert
Selbst die beste Redakteurin wird ihr eigentliches
Qualitätsniveau bei so einer Überbelastung nicht halten können. Und selbst die
bekannteste Publikation wird genau damit ihren Ruf an die Wand fahren.
Ich will keine eierlegende Wollmilchsau sein. Ich will redaktionelle
Arbeit leisten, die hochwertig, interessant und relevant ist. Ich will keine
Codes schreiben oder Bilder aufhübschen müssen und ich will verdammt noch mal
nicht ständig auf meinen Lebenslauf blicken müssen, mit dem Gefühl, dass ich
als Redakteurin nichts wert bin, nur weil irgendwelche Menschen in der Personalabteilungen
denken, dass ein guter Text kein Problem ist, weil sie selbst ja auch bloggen
oder ein Tagebuch haben.
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