Frauen verdienen in vergleichbaren Positionen noch immer weniger als Männer. Welchen Anteil haben die Frauen selbst an der Misere?
Mehr Vertrauen in die Expertise
Ich selbst arbeite mit einer Reihe von selbstständigen Frauen und Männern in ganz Europa zusammen. Meine Erfahrung ist, dass Frauen in Honorarverhandlungen fast immer weniger verlangen als Männer. Dass Frauen im Durchschnitt weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen, ist kein Geheimnis. Laut Statistischem Bundesamt liegt die Verdienstlücke („Gender Pay Gap“) bei abhängig beschäftigten Frauen und Männern bei rund 22 Prozent. Diese Ungleichbehandlung wird im Allgemeinen darauf zurückgeführt, dass Frauen häufiger für die Kinder daheimbleiben, danach mit geringerer Stundenzahl in den Job zurückkehren und öfter Brüche in ihrer Erwerbsbiografie verzeichnen. Das erklärt aber nicht, warum Frauen, die ihre Preise selbst bestimmen, dennoch weniger verlangen als ihre männlichen Kollegen.
Den eigenen Wert erkennen und realistisch kalkulieren
Die Freelancer, die mit mir zusammenarbeiten, sind nicht ausschließlich für mich tätig. Mein Unternehmen ist noch sehr jung und hat noch viel zu lernen. Daher arbeite ich oft mit ganz jungen Leuten zusammen. Daraus ergibt sich meist eine recht ausgewogene Balance zwischen niedrigem Stundensatz und Entlastung für mich. Wer noch nicht so erfahren ist, kann auf dieser Basis mein Unternehmen gut voranbringen. Doch selbst in dieser Situation verkaufen sich die Frauen, die für meine Firma arbeiten, als weniger wert als die Männer. Sie unterschätzen sich. Vielleicht sitzt das Vorurteil, Bescheidenheit sei eine Tugend, zu tief. In manchen Fällen habe ich den Frauen, die mir Angebote unterbreitet haben, mehr angeboten. Warum? Klar, eigentlich wäre es für mich gut, wenn ich weniger für mein Team bezahlen muss. Weiß ich aber, dass die Frauen, die für mich arbeiten, zu knapp kalkulieren, muss ich damit rechnen, dass sie sich nach vielen weiteren Kunden umschauen. Ihre Kapazitäten nehmen ab und sie können sich nicht mehr auf meine Aufgaben konzentrieren. Die Qualität sinkt und die Fluktuation steigt.
Das eigene Können richtig einschätzen
Für Frauen, die ihre Preise selbst bestimmen oder in Gehaltsverhandlungen gehen, ist es daher wichtig, ihren Marktwert zu kennen und ihre Ausbildung sowie ihr Können richtig einzuschätzen. Vergleichspreise und -gehälter helfen bei der Orientierung. Darüber hinaus ist es wichtig, richtig zu kalkulieren. Einige Frauen haben mir im Gespräch erzählt, ihnen sei das Geld egal. Das ist jedoch für mich als Arbeitgeberin nicht glaubhaft. Zudem hat das etwas mit Wertschätzung der eigenen Person und der eigenen Arbeit zu tun. Wer nicht von Anfang an realistische Preise fordert, hat es später schwer, nachzuverhandeln. Außerdem werden so die Preise am Markt gedrückt, was niemandem gegenüber fair ist. Gemocht werden wollen Frauen mangelt es mitunter an Mut, für ihre Expertise einzustehen. Worin aber liegen die Ursachen für das mangelnde Selbstvertrauen und das Selbstverständnis, mehr zu verlangen? Welche Einstellungen sollten Frauen verändern, um besser zu kalkulieren?
Chefs wollen so wenig wie möglich zahlen
Viele Frauen übertragen ihren Sinn für Gemeinschaftlichkeit, Harmonie und Familienleben auf den Job. Statt die in der Männerwelt mitunter üblichen Hahnenkämpfe auszufechten, setzen sie auf Verhandlung und den Appell ans faire Miteinander. In Verhandlungen rund ums Geld funktioniert das leider häufig nicht. Schließlich sind die Interessen hierbei oft gegensätzlich. Auftraggeber oder Chefs sind naturgemäß daran interessiert, so wenig wie möglich zu zahlen. Hier hilft es nur, die eigene Qualität zu betonen und standhaft zu bleiben. Die eigene Persönlichkeit und der Wunsch, Sympathien zu wecken, hat bei Gehaltsverhandlungen nichts zu suchen. Das wissen auch potenzielle Kunden oder Arbeitgeber. Darüber hinaus ist vielen Arbeitgebern inzwischen bewusst, dass eine angemessene Bezahlung die Grundlage für eine gute Zusammenarbeit ist. Zumindest ist das in meinem Fall so. Für eine gesunde Souveränität und die Bereitschaft zu lernen, zahle ich gern ein faires Honorar. Bei mir muss sich niemand unter Wert verkaufen, aber ich mag auch keine Schaumschlägerei. Man merkt schnell, wie erfahren jemand ist. Wer gerade von der Uni kommt, sich aber als Experte auf seinem Gebiet darstellt, ist schnell enttarnt. Dabei ist es völlig in Ordnung, nicht gleich alles zu können. Würde ich einen absoluten Experten suchen, würde ich mich schließlich nicht unbedingt für Menschen in ihren Zwanzigern entscheiden.
Was mir als Arbeitgeberin wichtig ist
Wichtiger als Billigkräfte, die am Ende nicht von ihrem Einkommen leben können, sind mir Mitarbeiter, die zuverlässig sind. Klar, ich arbeite mit vielen Einsteigern zusammen. Da passieren Fehler. Das ist völlig in Ordnung, solange ich mich auf mein Team verlassen kann und weiß, meine Mitarbeiter liefern eine kontinuierliche Qualität. Wer selbstständig ist, ist meist aktiv und innovativ. Davon möchte ich als Geschäftsführerin profitieren. Ich beschäftige mich sehr häufig mit administrativen Aufgaben. Daher verlasse ich mich darauf, dass mich mein Team entlastet, mir die Schwächen in meinem Unternehmen aufzeigt und mir Lösungen präsentiert. Ich helfe meinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gern dabei, sich zu entwickeln. Die Eigeninitiative, die hierfür nötig ist, müssen sie aber selbst aufbringen. Wichtiger als Dumpingpreise ist mir Vertrauen. Ich muss mich auf mein Team zu 100 Prozent verlassen können. Ich habe ein Interesse daran, ein stabiles, gut funktionierendes Team zu haben. Fluktuation schadet dabei.
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