Das liebe Gehalt. Ein ungeliebtes Thema. Aber auch ein Freiheitsstifter. Wieso wir eine Menge Geld verlangen sollten, ohne uns dafür zu schämen.
Wieviel sind wir wert?
Vor zwei Wochen besuchte ich mit einer guten Freundin eine Veranstaltung im Soho House, die ausschließlich für Frauen gedacht war und sich dem Thema „Cash Flow“ widmete. Es ging um Selbstwert und letztlich auch darum, wie wir lernen, höhere Gehälter und Tagessätze auszuhandeln. Dass damit ein großer Teil von uns ein Problem zu haben scheint, verdeutlichte die Besucherzahl. Mehr als 100 gut gekleidete Marketing-Beraterinnen und Art Direktorinnen füllten den Raum aus – mit ihrer Neugier und ihrem Wunsch, die letzte Hürde auch noch zu nehmen, die sie von Männern so grundlegend unterscheidet: nämlich eine Menge Geld zu verlangen, ohne sich dafür zu schämen.
Mit derselben Hoffnung, mit der wir täglich heimlich unser Horoskop lesen, nämlich um der großen Wahrheit, die sich scheinbar niemals in uns selbst, sondern wie verhext immer nur im Außen finden lässt, ein großes Stück näher zu kommen, starrten wir auf die Bühne. Auf die Sprecherinnen. Und auch auf die Präsentationsfolien, die an die Wand projiziert wurden. Und als uns Maja kluge Sachen über Geld an sich verriet und Nina etwas über unsere Bedürfnisse, waren wir theoretisch schon fast soweit, um zu erfahren, wie man ganz konkret Verhandlungen führt oder was angemessene Tagessätze wären.
1500 Euro Tagessatz
Wir waren gespannt auf die letzte Sprecherin, die jetzt genau jene praktischen Tipps hätte geben sollen. Ich dachte an sowas wie: Eine Marketing-Beraterin mit zehn Jahren Berufserfahrung kann locker und ohne Probleme einem großen Unternehmen 1000 bis 1500 Euro Tagesgage abverlangen oder eine Designerin mit einer fünfjährigen Erfahrung 500 Euro, und dass man unter keinen Umständen für weniger als 250 Euro am Tag arbeiten dürfte, weil das nach allen Abzügen gerade einmal 100 Euro wären, und dass solche Dumpingpreise den Markt kaputt machen. Nachdem man uns eine solche Tabelle gezeigt hätte, vielleicht mit tollen Bilder oder vergleichenden Zahlen, wie viel Männer normalerweise mit derselben Berufserfahrungen verdienen, hätte man uns Verhandlungsskills beibringen können.
Zum Beispiel, dass man seinen Tagessatz erst einmal 30% höher veranschlagen sollte, weil jeder Arbeitgeber einen um 30% versuchen wird, zu drücken. Oder dass man als Frau lernen muss, einfach mutig statt zaghaft und standhaft statt flexibel zu sein. Denn solche Attribute machen Männer aus, und solche Attribute befördern eine Person eben auch in die Chefetage oder sogar in den Vorstand. Und diese Attribute sind nicht prinzipiell männlich, sondern sehr wohl auch weiblich.
Geld stinkt nicht
All das hatte jede Einzelne von uns an diesem Abend erwartet. Auch, dass endlich jemand sagen würde, Verhandlungen sind dazu da, als Gewinner herauszugehen und für einen kurzen Moment hatte Nina uns ja auch schon darauf hingewiesen, dass es sich dabei um ein Spiel handle. Was dann aber folgte, war der Grund, warum wir immer noch zu wenig verdienen und warum immer noch eine zu geringe Anzahl an Frauen in den Chefsesseln großer Unternehmen sitzt. Denn die dritte Sprecherin war eben keine Vorstandsvorsitzende oder Chefin, sondern eine spirituelle Beraterin.
Sie flüsterte von innerer Schönheit und davon, dass Geld unwichtig sei. Schließlich lebe sie von Licht. Wer braucht schon Geld?, fragte sie uns alle ernsthaft, obwohl wir unsere Kinder in die Obhut von teuren Babysittern gegeben oder unseren Schreibtisch zwei Stunden früher verlassen hatten, um ganz konkrete Tipps zu bekommen: Tipps, um zu erfahren, wovon wir unsere Miete zahlen sollen, die der Wohnung und des Büros, und unsere Garderobe, die viel wichtiger im Geschäftsleben einer Frau ist, als eines Mannes.
Das Geheimnis des Geldverdienens
Schon wieder wollte jemand ihnen das große Geheimnis, nachdem sie solange gesucht hatten, vorenthalten. Schon wieder erklärte jemand, dass Geld böse und schmutzig sei, ja fast so wie Sex, und dass dachte man doch sowieso längst als Frau, deswegen konnte man seine Tagessätze nicht in die Höhe treiben oder ein anständiges Bruttogehalt aushandeln. Schon wieder gab ihnen niemand praktische Tipps, logische Formeln und geschäftliche Richtlinien, sondern säuselte ihnen die Ohren voll mit klischeehaftem Eso-Geseier.
Hätte ein Mann dieser Veranstaltung beigewohnt, er wäre wohl aufgestanden, hätte laut gebrüllt und dann den Raum verlassen. Die Frauen aber blieben sitzen, ganz gebannt und gleichsam erschrocken darüber, dass sie ohne etwas gelernt zu haben zurückkehren müssten: in ihre Wohnung mit den hohen Mieten, in ihre Küchen, die gefüllte Kühlschränke erwarteten und zu ihren Männern, die schon wieder mit einer Gehaltserhöhung nach Hause kommen würden.
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