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Keine Lust auf Kinder und Bausparvertrag – warum ich mich gerade wie ein Alien fühle

Ich frage mich in letzter Zeit oft, ob mit mir etwas nicht richtig ist. Ob ich anders ticke. Beziehungsweise ob ich gar nicht ticke. Die biologische Uhr tut das ja angeblich ab spätestens Ende 20 sehr laut. Ich bin jetzt Ende 20 und höre nichts.

Ich mag Sonntage – manchmal

Ich mag Sonntage. Die verbringe ich oft einigermaßen soziopathisch. Freiwillig. Ich telefoniere nur in absoluten Notfällen, benutze Whatsapp, Facebook und den ganzen anderen Kram nur ein Drittel so oft wie unter der Woche und die Tür mache ich sowieso nur auf, wenn Besuch angekündigt ist oder jemand was zu essen bringt. Der Sonntag ist heilig, dabei bin ich nicht einmal gläubig. Oft sind die einzigen Worte, die ich an diesem Tag spreche, die mit der Empfangsdame im Fitness-Studio, wenn ich mich mal wieder lautstark beschwere, dass bei allen Steppern der TV nicht geht.

An diesen Sonntagen kann ich vor mich hinkatern, wenn der Samstagabend mal wieder eskaliert ist, ich muss nicht duschen, wenn ich nicht will, ich kann den ganzen Tag mit einem Buch auf der Couch verbringen oder ich kann so lange zum Sport gehen und mich auspowern, bis ich ganz erschöpft nach Hause komme.

Manchmal ist der Sonntag aber auch ein Arschloch

Es gibt aber auch die Sonntage, die ich hasse. An denen ich in ein selbstmitleidiges, melancholisches kleines Löchlein versinke und mich der Ausflug vor die Haustür mit der damit einhergehenden Konfrontation des puren, scheinbar überall herrschenden Familienglücks zu sehr schlimmen Gewaltgedanken in meinem Kopf treibt.

Seit circa einem Jahr fühle ich mich zunehmend wie ein Alien. Oder ET. Mit dem Unterschied, dass ich nach Hause telefonieren könnte. Halt nicht sonntags.

Das ET-Gefühl resultiert nicht nur aus dem Umstand, dass mein kompletter Freundes- und Bekanntenkreis ausnahmslos (und ich meine wirklich ausnahmslos) in festen Beziehungen steckt, nein, sie bekommen auch beinahe ausnahmslos alle Kinder, heiraten, kaufen Wohnungen und schließen Bausparverträge ab. So diese richtige Erwachsenen-Nummer. Klar. Kann man mal machen mit Ende 20. Kommt mir aber irgendwie trotzdem absurd vor. Wir haben doch gefühlt erst vorletztes Jahr Abi gemacht.

Bechamelsoße und Bausparvertrag

Ich verschicke mit Ende 20 stolze Nachrichten an meinen kompletten Freundeskreis, wenn ich eine klumpfreie Bechamel-Soße hinbekommen habe. Was ein Bausparvertrag so genau beinhaltet, habe ich ehrlich gesagt bis heute noch nicht so richtig verstanden. Bevor mirUnreife und die Verweigerung des Erwachsen werdens vorgeworfen wird: Ich habe seit kurzem den tollsten Job der Welt, ein fantastisches soziales Umfeld, wohne in einer schönen, kleinen Wohnung und verdiene mein eigenes Geld, seit ich 15 bin.

Ich bin keineswegs neidisch auf die Kinder-Krieger, Haus-Käufer und Bausparvertrag-Besitzer. Ich freue mich von Herzen für jeden Einzelnen von ihnen. Übermäßig. Ich liebe meinen kleinen Neffen abgöttisch, ich bestaune fasziniert alle Babys meiner Freundinnen und Freunde, ich feiere auf allen Hochzeiten, als gäb es kein Morgenmehr, habe ein Tränchen im Auge, wenn sich wieder zwei Menschen die ewige Liebe geschworen haben – aber all das macht nichts mit mir. Ich konnte mir schon mit zwölf nicht vorstellen, Kinder zu haben. Auch wenn ich da mittlerweile nicht mehr ganz so radikal bin, ist mir die Vorstellung, selbst Mutter zu sein, immer noch fremd.Von Heiraten brauche ich gar nicht erst anfangen, ich verstehe das Konzept bis heute nicht so richtig. Außer vielleicht bei dem Punkt der Steuerersparnis.

Stimmt etwas mit mir nicht?

Ich frage mich einfach in letzter Zeit oft, ob mit mir etwas nicht richtig ist. Ob ich anders ticke. Beziehungsweise ob ich gar nicht ticke. Die biologische Uhr tut das ja angeblich ab spätestens Ende 20 sehr laut. Ich bin jetzt Ende 20 und höre nichts. Muss man ja vielleicht auch nicht. Es gibt ja die unterschiedlichsten Lebensentwürfe und jeder davon ist super, solange jeder mit seinem glücklich ist.

Und ich bin mit meinem Lebensmodell eigentlich ganz zufrieden. Eigentlich. Denn natürlich kommt man auch mal ins Grübeln. Oft sonntags. Will ich irgendwann im Alter alleinesein? Wünscht man sich dann nicht Kinder, die da sind und vielleicht sogar irgendwann Enkelkinder? Die sich dann um einen kümmern, damit man nicht mit 17 Katzen alleine in der Wohnung vor sich hin siecht?

Ich bin raus

Der andere springende Punkt ist, dass sich mein Freundeskreis grade einmal um 180 Grad dreht. Ich bin ein bisschen raus. Weil kein Kind. Natürlich sind das alles immer noch meine Freunde. Tolle Freunde. Ich möchte auch keine anderen haben. Aber die Freundschaften verändern sich. Ganz leise und dann immer mehr, ohne dass man viel dagegen tun kann. Verabredungen werden schwieriger, sogar telefonieren klappt manchmal über Wochen nicht. Wenn ich Feierabend habe, muss gerade anderswo das Kind ins Bett gebracht werden. Oder die jeweilige Mutti liegt selbst schon drin, weil sie die letzten Nächte mal wieder länger wach war als die Leute im Berghain. Die Gesprächsthemen und Interessen ändern sich. Ich weiß halt leider nicht, welcher Babybrei förderlich für die Verdauung ist oder welche Windel bei flüssigem Stuhlgang am besten dicht hält. (Wobei das eine ja vielleicht mit dem anderen zusammenhängt?)

Ich möchte meine Freiheit nicht missen. Gar nicht. Ich liebe sie. Und ich bin gerade nicht bereit, sie aufzugeben, da müsste schon Robbie Williams höchst persönlich vor der Tür stehen und „Angels“ für mich singen. Das kann man jetzt egoistisch nennen, wahrscheinlich ist es aber einfach nur ehrlich.

Alles ist gut so, wie es ist

Vielleicht musste das mal raus. Dass ich es eigentlich gut finde, so wie es ist. Dass es schön ist, dass alle Kinder bekommen und ich die leicht verrückte, lustige und durchgeknallte Tante und Freundin sein kann, bei der oft Action ist und die garantiert immer eine lustige oder absurde Geschichte zu erzählen hat. Das kann sie nämlich gut – lustige und absurde Dinge erleben. Dass ich all den kleinen Menschen beim Aufwachsen zusehe, wie sie die Welt entdecken und ich sie dabei begleiten darf.

Vielleicht rufe ich sonntags jetzt öfter mal die Mütter unter meinen Freundinnen an. Die freuen sich über verkorkste Chaos-Geschichten, die zur Abwechslung mal nichts mit Kinder- und Erziehungsfragen zu tun haben und ich kann mich anschließend wieder darauf freuen, ungeduscht auf die Couch zu hüpfen und den Lieferdienst anzurufen.

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