Foto: Abi Porter – Flickr – CC BY 2.0

Warum man von Selbstoptimierung die Finger lassen sollte – ganz besonders als Mama

Selbstoptimierung ist Blödsinn. Wirklich. Wenn man ein Mama-Blog schreibt, kommt man um das Thema allerdings nicht herum. Und ich schreib ja eines. Das trifft sich gut. Denn: Ich bin dagegen.

 

Optimiert euch zu Tode!

Angeblich sind Frauen, insbesondere solche, die sich fürs Kinderkriegen entschieden haben, total scharf drauf, immer besser und effizienter zu werden Schon das ist natürlich Bullshit. Eigentlich sind es die Männer, die Arbeitgeber, die Gesellschaft … die, die genau das wollen. Und ich bin sowieso drüber hinweg. Eine Zeitlang hab ich das trainiert: Selbstoptimierung. Deswegen hat mein Sohn jetzt ‘ne Narbe am Kinn.

Wie war das damals? Zuerst hab ich mir eher einfache  Optimierungsaufgaben gestellt: Schminken während man einen mit Einkäufen und Kind vollgepackten Kinderwagen durch den Park schiebt. Sowas. Zu  Beginn könnte es vorgekommen sein, dass ich dabei meinem Kind statt  eines Apfelschnitzels meinen Lieblingslippenstift nach vorne  durchgereicht habe. Aber Kinder sind ja total kooperative Wesen. Mein  Sohn hat den Lippenstift auf jeden Fall nur PROBIERT. Der Körper sagt ihnen da auch ganz schnell: „Nee, das brauchst du gar nicht, verlange  lieber mehr von den grünen Dingern, die nach Apfel schmecken.“ Und solche Aussetzer hat man auch schnell wegoptimiert. Spätestens, wenn alle Lippenstifte aufgegessen sind. 

Eine effektive Trockenübung ist es auch, einen Lidstrich auf wackligem Untergrund zu ziehen, während einem ab und zu leichte Schläge und Schubser verpasst werden. Den Schwierigkeitsgrad kann man später erhöhen, indem man an beide Arme Gewichte hängt, die überraschend ihre Position verlagern: Einkäufe, die Laptoptasche, ein Hund. Das schult enorm für den Einsatz z.B. in öffentlichen Verkehrsmitteln mit Kind und Kegel. Im Rheinland ist sowas gut möglich, speziell in Düsseldorf. Da guckt niemand komisch, wenn man mal als Indianerin aufkreuzt. Und schließlich hat Amy Winehouse ja auch mit Riesenlidstrichen Karriere gemacht. Zeitweise zumindest. 

Aber: Achtung! Solche Praktiken sind stark suchtgefährdend. Man gerät da ganz schnell in einen multiplen Optimierungszwang.MOF: Multiple Optimising Force. Oder so ähnlich. Ihr wisst schon. Man übt dann ständig zwanghaft möglichst viele Tätigkeiten gleichzeitig aus. Man geht zum Beispiel joggen. Das verbessert die Kondition (schneller Einsatz beim Krisenherd Kind), ist angeblich gut für die Gesundheit (die Eigene!) und die Figur profitiert auch (wenn man noch eine hat). Und jetzt wird es interessant, jetzt kommt die Kür: Laufend kann man der Sprachaufnahme-App schon mal die To-Do-Liste für später diktieren. Dann beim Bäcker vorbei joggen und Brötchen holen. Oder auch mal einige Zweige von herabhängenden Ästen und ergänzend einige Blümchen aus einem besonders ansprechenden Vorgarten abreißen. Letzteres ist natürlich nicht ganz korrekt, klar, aber letztendlich werden sich diese Praktiken durchsetzen. 

Spätestens wenn die entsprechende „Jogging-App for busy Women“ per GPS Ortung mit der Laufroute auch gleich ein hübsches Blumenbouquet errechnet. Dann kommt da keine mehr dran vorbei: Schöner Wohnen, schöner Aussehen, schneller Rennen und dabei noch Brötchen holen. Mehr MOF geht nicht. 

Seit letztem Samstag allerdings, bin ich runter von der Droge. Letzten Samstag bin ich eins zu weit gegangen. Da hatte ich die unseelige Idee, meinen Sohn in meine Praktiken einzubeziehen. Ich dachte, so lerne er was. Hat er auch. Leider das Falsche. Ich hab nämlich das Gefälle auf unserem Laufweg nicht mit bedacht. Und diese Superapp für Mütter, die ist ja noch gar nicht auf dem Markt, die hat also ihr hoffentlich integriertes Frühwarnsystem auch noch gar nicht aktiviert. Deshalb hatte ich auch beide Hände voll (Brötchen, Blumenbouquet) als mein Sohn mit seinem Laufrad auf dem Gefälle nicht mehr zum Stehen kam und mit Karacho vor eine Mauer bretterte. Ein Blumenbouquet und eine Brötchentüte können einen Sprint enorm verlangsamen. Mann kennt das aus entsprechenden Alpträumen.

Seitdem ist mir klar: Es wird IMMER Luft nach oben geben. Ausser man hat Glück. Meine Freundin zum Beispiel wohnt direkt neben der Kinderklinik. Die muss nicht – wie ich – regelmäßig mehrere Kilometer mit kaputtem Navi und stark blutendem Kleinkind zurück legen, um da einzuchecken. So wie ich am Samstag. Ungeduscht. Mit dreckigen Händen vom Blumenabreißen. Ich schätze, die Glückliche verbindet diesen Gang mit dem Auftragen ihres Lieblingslippenstiftes. Aber da kann ja auch nicht JEDE Jungsmutter wohnen, da sind die Kapazitäten ja auch begrenzt.Und ausserdem ist da kein Park in der Nähe. Nee. Man muss Prioritäten setzen. Man kann nicht alles können. Man darf auch mal ungeschminkt und sportfrei einfach so vor sich hin leben. Zu was soll das denn alles führen

Schlussendlich sorgt die ständige Überstimulanz noch dafür, dass einem ein dritter Arm wächst. Da kann ich mich dann wieder abmühen, den aus dem Spiel zu lassen, falls ich beruflich so eine zweiarmige Durchschnittsfrau darstellen muss. Solls ja geben, solche.

*Diesen Text habe ich im Juni auf www.maryreili.com gepostet. 

Titelbild: Abi Porter – Flickr – CC BY 2.0

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