Bundesliga, Restaurants, Automobilindustrie – die Politik entwickelt in der Corona-Krise Lösungen. Bloß familienpolitisch passiert nichts. Jetzt gibt es sogar noch weniger Unterstützung. Ein Kommentar
„Heute ist ein guter Tag für Restaurantbesitzer“, hieß es heute morgen im Radio. Für Restaurantbesitzer*innen mit kleinen Kindern wohl eher ein schlechter. Denn sie dürfen ihre Läden zwar wieder öffnen – aber wer betreut ihre Kinder?
Die Schulen öffnen gerade nur schrittweise, Kitas ebenso. Für viele Familien bedeutet das eine noch komplexere Organisation und noch weniger Zeit für Erwerbstätigkeit. Seit Wochen berichten unter dem #CoronaEltern Familien von ihren Überforderungen und Überlastungen. Statistiken zeigen, wie belastet vor allem Mütter und Alleinerziehende in der Corona-Krise sind. Ganz abgesehen von den Kindern.
Wie reagiert die Politik darauf? So gut wie gar nicht. Und sie rudert sogar zurück. Für viele Eltern, die wegen der Betreuung ihrer Kinder in der Corona-Krise nicht lohnarbeiten können, läuft die Lohnfortzahlung in diesen Tagen aus. Heute wurde bekannt, dass diese auch nicht verlängert werden soll – entgegen vorheriger Ankündigungen.
Eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums sagte auf Anfrage, dass es wegen der verstärkten Öffnung der Schulen und Kindergärten „nach heutigem Stand keine Verlängerung der Regelung geben“ werde. Das bedeutet also, dass viele Eltern ihre Kinder weiterhin zu Hause betreuen müssen und dass sie dafür weder eine finanzielle Entlastung, noch Entschädigung bekommen.
Das bedeutet auch, dass Politiker*innen offensichtlich keine Ahnung haben, wie es Familien in der Corona-Krise geht. In einem Videogespräch mit den Initiatorinnen von #ElternInDerKrise sagt Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, Homeoffice sei „anstrengend, aber möglich“. Ich würde dieses Interview gern nochmal sehen, aber mit zwei Kleinkindern im Hintergrund. Homeoffice mit Kindern ist anstrengend und unmöglich. Lohnarbeit und zeitgleich ein Kind betreuen, das geht schlicht nicht zusammen.
Franziska Giffey ist mit ihrer Einstellung nicht allein. Ihr zur Seite steht ihr Parteikollege Jörg Steinbach, Brandenburgs Wirtschaftsminister. Im RBB erklärt er: „Wir sind im Augenblick in einer Situation, die ist gerade mal 14 Tage länger als die Sommerferien.“ Das sei noch kein „Wahnsinns-Ausnahmezustand“. Steinbach fügte hinzu: „Ich würde mich freuen, wenn zum Teil die Eltern auch mal wieder ihre Kinder richtig kennengelernt haben.“ Er kann sehr gern mal mein Kind kennenlernen, innerhalb einer weltweiten Krise, acht Wochen zu Hause, während die Mutter versucht, die Existenz mit Lohnarbeit zu sichern.
Unschön, aber nicht dramatisch
Doch nicht nur öffentlich äußern sich Politiker*innen so. Auch in den Mailboxen von Müttern, die sich beschweren, landen solche Antworten. Katharina Haag ist Mutter von zwei Kindern und hat sich per Mail hilfesuchend an den für sie verantwortlichen Parlamentarischen Staatssekretär der CDU gewendet. Seine Antwort: „Vielleicht glauben Sie mir nicht als Politiker, aber glauben Sie mir als Vater: Kinder sind viel widerstands- und anpassungsfähiger, als wir uns das vorstellen können. Und verglichen mit dem, was Kinder zu früheren Zeiten durchmachen mussten und – heil – überstanden haben, sind die gegenwärtigen Unannehmlichkeiten unschön, aber nicht dramatisch.“
Ist es das, was Politiker*innen meinen, wenn sie sagen, sie nähmen Sorgen ernst? Es ist das Gegenteil. Es ist eine Beschwichtigung, es ist ein „stell dich nicht so an“ und ein „jammer nicht“. Es ist genau das, was Mütter reihenweise erleben müssen, wenn sie in den Sozialen Medien ihre Stimmen erheben und sich über die strukturelle Diskriminierung beschweren, die es bereits vor der Krise gab und die nun polarisiert vor allem Mütter betrifft.
Katja Dörner, Grüne Bundestagsabgeordnete, hat eine Erklärung dafür, warum Familienpolitik nicht priorisiert wird: „Noch immer ist die Situation der Kinder nicht zur Chefinnensache geworden, weder bei der Familienministerin, und bei der Kanzlerin schon gar nicht.“ Sie verstehe nicht, dass die Kanzlerin Autobosse zum Krisengipfel einlade, nicht aber die Kinderschutzverbände. Und das, obwohl alle Statistiken zeigten, dass es aktuell viele herausgeforderte Familien gibt.
„Vor dem Hintergrund der bereits zuvor bestehenden ungleichen Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit in den meisten Familien in Deutschland ist zu vermuten, dass viele der Mütter auch aktuell einen großen Teil der durch die Schul- und Kitaschließungen zusätzlich notwendigen Kinderbetreuung übernehmen”, so das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
„Es war schon vor der Corona-Zeit so, dass Mütter im Durchschnitt deutlich mehr Kinderbetreuung und Hausarbeit übernommen haben. Wir vermuten, dass aufgrund der gleichen Mechanismen, die zu dieser Ungleichverteilung geführt haben, auch derzeit vor allem Frauen den größten Teil der zusätzlichen Last schultern“, sagt Julia Schmieder, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am DIW.
Retraditionalisierung von Rollenbildern
Die Soziologin Jutta Allmendinger befürchtet, dass wir drei Jahrzehnte in Richtung Gleichberechtigung verlieren und spricht von einer Retraditionalisierung von Rollenbildern. Wir sind bereits mittendrin. Die Reaktionen auf Mütter, die sich öffentlich über ihre Belastungen beschweren, zeigen genau das.
Mütter hätten sich das schließlich selbst ausgesucht, Kinder zu bekommen. Mütter würden ihre Kinder als Einkommenssteigerung sehen. Weiteren Beschuldigungen und Drohungen – meist von Männern – möchte ich an dieser Stelle gar keinen Raum lassen. Diese digitalen und öffentlichen Reaktionen, auch von Politiker*innen, zeigen, welche Rolle Eltern und vor allem Mütter, noch immer in dieser Gesellschaft – und damit auch in den politischen Entscheidungen – haben: Dienstleister*innen.
Mütter sollen Kinder gebären und aufziehen, möglichst ohne Murren. Alle Belastungen, die sie zu spüren bekommen, sollen sie mit einem Lächeln ertragen. Dabei bitte auch noch lohnarbeiten und zwar die anstrengendsten Jobs mit dem niedrigsten Lohn und dem geringsten Prestige. Kommt dann eine weltweite Pandemie dazu, sollen sie sich gefälligst mit ihren Kindern hinten anstellen und die Klappe halten. Bundesliga und Automobilindustrie first.
Eine aktuelle Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geht davon aus, dass die in der Krise anfallende Betreuungsarbeit hauptsächlich von Frauen geleistet wird und damit die Lohnungleichheit verschärft werde. Das WSI hatte im April mehr als 7600 Erwerbstätige befragt. „Die Pandemie legt nicht nur problematische Ungleichheiten in den wirtschaftlichen und sozialen Möglichkeiten offen, sie verschärft sie oft noch“, sagt die WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch. Laut der Studie reduzieren 27 Prozent der befragten Mütter ihre Arbeitszeit für die Kinderbetreuung, bei den Vätern sind es 16 Prozent.
Mutti macht das schon? „Mutti“ war in den vergangenen Wochen ziemlich fleißig und laut. So laut jedenfalls, wie sie neben der Erschöpfung konnte. Dass die Politik sie nicht hört, hat andere Gründe. Zum Beispiel die fehlende Lobby von Eltern und Kindern, die Abwertung von Care-Arbeit. Die Zurückdrängung von Frauen ins Private. Wie wäre es, wenn jetzt mal die Väter übernehmen würden? Entweder die Care- oder die Lobbyarbeit. Oder einfach mal beides, ganz gleichberechtigt, wie es die Mütter seit Jahrzehnten machen. Dann könnten Mütter endlich Politik machen, nicht nur im Privaten.
Heute ist der Internationale Tag der Familie, das wurde heute morgen im Radio nicht gesagt. Vielleicht auch, weil heute kein guter Tag für Familien ist. Eigentlich wie jeden Tag in den vergangenen acht Wochen.