Foto: Marco Kral

Wenn es niemand glaubt. Ein paar Gedanken zur #MeToo-Debatte

Am Anfang der #MeToo-Debatte war ich erleichtert. Ich war erleichtert, endlich nicht mehr allein zu sein. All diese Geschichten nicht mehr nur als eine von unzähligen Whatsapp-Nachrichten zu lesen oder als Teil eines privaten Gesprächs zu hören. Endlich waren sie da, wo sie hingehörten: In der Öffentlichkeit. Doch diese öffentlichen Anklagen schienen keine Richtung zu haben. Ich fühlte mich zwischen den Lagern, ambivalent. Denn niemand schien zu wissen, was da eigentlich angeprangert wird. Viele Männer denken ja, es gehe um Komplimente, Flirts und schlechten Sex. Nein liebe Männer, darum geht es leider nicht. Es geht um Machtmissbrauch. Ein treffendes Wort für etwas, das sich schwer in Worte fassen lässt.

 

Emotionaler Missbrauch

Intrigen und Manipulation haben viel mit Sexismus gemeinsam: Menschen glauben nicht an Intrigen, Manipulation und an Machtmissbrauch. Diese Realität lassen sie nicht gelten. Vielleicht aus Angst oder/und Unwissenheit. Opfern von Machtmissbrauch wird nicht geglaubt, nach wie vor. Immer wieder höre ich von Männern ein empörtes “Ja, warum hat sie sich denn nicht gewehrt, Anzeige erstattet?”  Deshalb. Weil es selten vorkommt, dass Opfern von Machtmissbrauch geglaubt wird. Weil Menschen Angst haben vor Täuschung und Lüge. Und sich dieser Angst nicht stellen wollen.

Manchmal verwundert mich die Naivität mancher Menschen schon sehr. Wenn mächtige Männer angeklagt werden, wenn von Machtmissbrauch im Film-oder Musikgeschäft die Rede ist. Natürlich geht es in dieser Branche um Macht. Natürlich sind da nicht alle lieb zueinander. Sex ist einfach ein Mittel zur Macht: Um sie auszuüben, zu demonstrieren und zu erhalten. Es geht dabei weder um einen Flirt, noch um Erotik. Eher um das Gegenteil.

Mit ein paar Freunden betrat ich das Café, wir begrüßten ein nettes Paar. Arbeitskollegen meiner Freundin, einer klassischen Musikerin, die diese netten Menschen aus ihrem Orchester kannte. Nach einer Stunde netter Plauderei mussten die beiden gehen. “Arschloch” zischte meine Freundin. Und erzählte mir dann, wie es in der schönen Welt der klassischen Musik so zugeht. Dieser Typ, der Leiter des Orchesters, mache Sex zu einer Bedingung. Wer nicht “mitspielt”, kommt nicht weiter. “Egal wie gut du bist, wenn du an so einen Typen gerätst, hast du verloren.” Niemand tut etwas dagegen weil es funktioniert, dieses Spiel aus Schweigen, Vertuschen und Manipulieren. Weil jeder dem harmlos wirkenden,  netten Mann eher glaubt, als einer jungen Musikerin, die dankbar ist für Aufmerksamkeit und bereit, alles dafür zu tun. So das Klischee. Dieses Klischee hat sich durchesetzt als Realität. Die Besetzungscouch allerdings gibt es doch nur in Filmen. Das “wahre Leben” ist langweilig. Da benehmen sich alle harmlos und nett, es zählt nur die Leistung und ein Bösewicht ist ganz klar als solcher zu erkennen. Sexuelle Übergriffe gehören zur Ausnahme, die Täter sind psychisch verwirrt, die Taten tragische Einzelfälle. So ungefähr sieht das Weltbild der Menschen aus, die sich bei Vorwürfen auf die Seite des vermeintlichen Täters stellen. Und klassische Musiker sind doch viel zu brav für sowas. So schöne Musik und so schlechte Menschen? Das passt doch nicht. Das passt nicht, also gibt es das auch nicht. Unter sexueller Belästigung verstehen diese Menschen die “wirklich schlimmen Sachen”. Also Angrabschen, deftige Beleidigungen, Und Vergewaltigungen, ganz klar, ohne Frage, gaanz schlimm. Diesen bösen Vergewaltigern sieht man das ja auch sofort an. Die tragen alle furchterregende Masken und T-Shirts mit der Aufschrift: Ich bin böse.

Solche Menschen glauben nicht, dass der nette Künstlertyp von nebenan ein solcher Bösewicht sein soll. Dieser gutaussehende, sensible Typ? Dieser liebe Opa? Der nette Brummbär? Dieser gestandene Mann? Na ja. Das ist wohl eher Enttäuschung, verletzte Eitelkeit und diese junge Frau ist sicher psychisch labil.

Die #MeToo-Debatte war für mich keine Überraschung, weil Geschichten dieser Art zu meinem Alltag gehören: Der Taxifahrer mit gewissen Bildern auf dem Handy, die er dem weiblichen Fahrgast zeigt. Der Freund, der noch schnell oral befriedigt werden “muss” , um vor seinem wichtigen Termin zu entspannen. Sex, der vom Partner eingefordert wird. Die Freundin, die von ihrem Freund dazu aufgefordert wird, sich sexy zu kleiden um für ihn interessant zu bleiben. Männliche Vorgesetzter , die ihre weiblichen Untergebenen verbal und physisch demütigen, ohne sich dabei im juristischen Sinne strafbar zu machen. der Freund, der seine geliebte  Freundin nach drei Jahren harmonischer Beziehung plötzlich vergewaltigt und dann behauptet, das sei gar keine Vergewaltigung gewesen, nur sehr heftiger Sex, er hätte nicht gemerkt, dass die Freundin keinen Spaß daran hatte, es tue ihm furchtbar leid. Sie hätte doch was sagen können. Der Freund, der auf einmal ausrastet, seine Freundin schlägt. Sie hat ihn aber auch provoziert! Ist verbale Gewalt nicht ebenso schlimm wie physische? Frauen machen das eben schlauer….Was, du willst dich trennen? Ihn anzeigen? Diesen netten Typen, mit dem wir letzten Sommer verreist sind. Der ist doch Feminist und gar nicht der Typ für sowas. Diese Frauen, die mir das erzählen, zweifeln an sich. Sie fragen, bin ich hysterisch, komisch? Sie begeben sich in Therapie, obwohl doch der Täter dringend eine Therapie benötigte. Die mit ihrem Freund zusammenbleiben, weil sie nicht allein sein wollen. Weil sie nicht anstrengend, nicht kompliziert, locker und witzig bleiben wollen. Die Sorte Frau, die mit den “Jungs” dreckige Witze macht, laut lacht und nicht “so ne Sissy” ist. Jawoll!

Der Fall Ansari und die Grauzone

Ich habe vor einigen Tagen einen Artikel über Azis Ansari gelesen. Der coole, lustige und nette Typ, dessen Serie “Master of None” zu meinen Lieblingsserien gehört. Und ausgerechnet dieser nette Mann sollte nun übergriffig geworden sein. Die Frau die das behauptete, hatte nur schwammige Äußerungen über ein missglücktes Date zu bieten. So zumindest vermittelte es der Artikel. Ich bin sehr dankbar, dass eine Leserin unter all die empörten Kommentare die Originalversion des Artikels postete, der im Magazin “Babe” veröffentlicht wurde.  Eine ausführliche Schilderung des Falls, ein vollkommen anderer Text. Das was “Grace” da beschreibt, kenne ich selbst sehr gut. Aus meinem Leben, aus dem anderer Frauen. deshalb zweifelte ich keine Sekunde daran. Es ist erschreckend alltäglich. Es ist diese Art subtiler Machtmissbrauch, der sich in einer schwammigen Grauzone bewegt. Noch kein Strafbestand, aber nahe dran. Ein Mann, der Sex einfordert, als wäre das seine Belohnung. Eine Frau, die sagt und deutlich macht, dass es ihr zu schnell geht. Er ignoriert das, nervt und quengelt wie ein kleines Kind, bedrängt sie und drängt sich auf. Sagt nichts, handelt einfach. Ja, das kenne ich. Wenn Sex nicht mehr ein Spiel zwischen zwei Menschen ist, nur noch das Bedürfnis des Mannes, das gar nichts mit mir zu tun hat,  ich muss  ihm geben was er verlangt, weil ich nun mal da bin. Sex, der nicht auf Anziehung beruht, sondern einer Machtdemonstration. Der nur ausdrückt, ich bin stark, du bist schwach. Diese Art Sex ist ein Kampf. Und die Art, wie sich Ansari anschließend herausredete, ist typisch für diese Sorte Täter: Er hätte gar nicht gemerkt, dass es für sie unangenehm war. Eine Lüge, wenn man den Originaltext liest. Er glaubt damit durchzukommen, weil er sich nicht strafbar gemacht hat. Weil er “Grace” zwar nicht gehen liess, sexuell belästigt und unter Druck gesetzt hat, aber sie kurz vorher, an dem Punkt, wo normalerweise eine Vergewaltigung passiert, dann doch wieder gehen liess. Ganz bewusst, weil er ja sein Ziel erreicht hatte: Das Opfer war gedemütigt, fühlte sich schlecht und niemand würde ihr glauben: Sie hatte das Wörtchen nein nicht benutzt. Und er ist berühmt, im Gegensatz zu ihr. Berühmt für sein Good-Guy-Image. Sie ist ja nur eine unbekannte Frau aus Brooklyn, wir kennen nur ihren Decknamen Grace.

Ich habe das auch erlebt. Ich hatte wie Grace, Angst vor dem Wahnsinn in den Augen des Mannes, den ich kurz zuvor noch für nett und harmlos gehalten hatte. Und tat deshalb das was er wollte, damit nichts Schlimmeres passiert. Wie Grace, wollte ich ihn beruhigen, wieder zu dem netten Typen machen, mit dem ich doch gerade noch über Bücher und Filme geredet hatte. Auch ich schlug vor, zu “chillen”, als ob man an diesem Punkt noch etwas retten könnte. Der verrückte Typ, vor einigen Minuten noch so  aggressiv, dass ich Angst um mein Leben hatte, saß nun ganz cool und lustig auf dem Sofa. “Du findest mich bestimmt komisch heute, oder? Ich geb es ja zu. Ich hab ein Problem!” Und dann folgte die Geschichte eines armen Mannes, aus Täter wurde Opfer. Er war ehrlich, stand zu seiner krankhaften “Aggression”, die so schlimm aber auch nicht wäre, denn ich hätte ja alles ganz falsch verstanden. Nach diesem Gespräch waren wir wieder Freunde und er tat mir leid. Erst als ich wieder allein war, wurde mir bewusst, was da passiert war: Er verdrehte die Realität, manipulierte mich auf billigste Art und Weise. Etwas Ähnliches passierte mir danach wieder. Mein damaliger Freund wurde, wenn es um Sex ging, zum Kleinkind. Als ob das nicht schon abstoßend genug wäre, kam auch noch etwas Gieriges, ja, Krankes dazu. Sex war das, was ich ihm geben musste, nichts, das zwischen uns entstehen konnte. Nächtelang hielt er mich wach und bettelte. Dieses Betteln kannte ich aus den Erzählungen meiner Freundinnen. Lange dachte ich, das sei nun einmal so denn: So machen das die Männer. Und ich suchte den Fehler auch bei mir, meinen “zu hohen Ansprüchen”. Das ist alles lange her, doch die Erinnerungen sind geblieben. Ich bin damals nicht auf die Idee gekommen, den freundlichen Mann mit der Aggressionsstörung anzuzeigen oder mich irgendwie zu wehren, weil ich dachte, das sei “nicht schlimm genug”. Ich wollte diese Geschichte vergessen. Ich schämte mich, dass ich so dumm war. Wie man es auch dreht und wendet, die Schuld lag ja doch bei mir. Ich hatte mich nicht gewehrt. Ich habe zwar jedes erdenkliche Synonym für das Wörtchen nein verwendet, aber nicht nein gesagt. Selbst schuld.

Ich sehe Paralleelen zu anderen Opfergruppen: Immer wenn es um Machtmissbrauch geht, tauchen diese Zweifel auf: Stimmt das? Gibt es sowas? Die Solidarität gilt nach wie vor eher den Tätern. Erst ändert sich das, auch durch Debatten wie #MeToo. Ich verstehe Catherine Deneuve, möchte so wie sie keinerlei Reglementierung der Sexualität. Keine haltlosen Schuldzuweisungen. Ja, das Recht lästig zu werden, sollten wir alle haben. Doch darum geht es nicht. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, einen netten Mann, der auf ungeschickte Art und Weise versucht, meine Aufmerksamkeit zu erlangen, der sexuellen Belästigung zu bezichtigen. Ich mag Männer, die Frauen in den Mantel helfen, die Tür aufhalten, ich habe nichts gegen eine Hand auf der Schulter oder ein nettes Kompliment. All das ist nicht gemeint.

Vielleicht lässt sich das am besten anhand des Themas Kompliment erörtern, denn das ist ja nun die Angst vieler Männer: Oh nein! Darf ich einer Frau nun keine Komplimente mehr machen?  ich lief mal in einem engen, roten Kleid durch die Stadt. Ein breit grinsender Ami rief: Hey! You really know how to wear this Dress! Beautiful! Ich fand das cool und nett. Er wollte gar nichts von mir. Wir wünschten uns einen schönen Tag und ich dachte: Warum fällt das deutschen Männern so schwer? Diese Sorte Kompliment ist einfach freundlich. Doch es gib t noch etwas anderes: Das schmierige Kompliment. Wenn mir ein Mann immer wieder, in einer Art “Komplimente-Shitstorm” auf eklige und aufdringliche, anzügliche Weise immer wieder zu verstehen gibt, wie er mich sieht und dabei gnadenlos übertreibt, will , dass ich mich unwohl fühle. Es ist wieder eine Machtdemonstration: Die Frau wird auf ihren Platz verwiesen. Du hast dir vielleicht eingebildet, ein Mensch zu sein, bist aber nur ein Objekt. Und deshalb sage ich dir jetzt immer wieder, dass du wahnsinnig sexy bist. Das ist die gleiche Form von Demütigung, die ich im vorherigen Absatz geschildert habe.

Was macht man da? Wie sollen Frauen diesem Verhalten begegnen? Ich glaube, dass wir erst einmal begreifen müssen, was uns passiert, ein Unrechtsbewusstsein entwickeln. Menschen, die Opfer einer Intrige wurden, begreifen oft nicht, was ihnen passiert ist. Sie können  die subtilen Erlebnisse nur schwer beschreiben und kriegen das Unerklärbare nicht zu fassen. So ist es auch beim Sexismus: Viele Frauen schämen sich, weil sie Opfer wurden, weil da jemand stärker war. Niemand möchte Opfer sein, schwach sein. Deshalb tun viele Frauen ja so cool, weil sie sich vorgaukeln, dass alles was passiert, Teil einer gleichberechtigten Beziehung ist. Sie wollen kein Opfer sein. Das ist der Grund für jahrelanges Schweigen. Vielleicht ist das der Punkt, an dem wir arbeiten müsen: Die Angst vor Schwäche. Wenn ich diese Angst nicht mehr habe, zu meiner Menschlichkeit stehe, biete ich keine Angriffsfläche mehr und werde so viel stärker. Ich kann die aufgesetzte Coolness vieler Frauen nur noch schwer ertragen. Auch das Verharren in der Opfer-und Beschwerdehaltung. Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir unsere Schwäche akzeptieren, sie nicht negativ bewerten. Wir müssen es riskieren, etwas zu verlieren. Doch vor allem müssen wir zusammenhalten. All diese angeblichen Einzelfälle sollten zur Gruppe werden und gemeinsam gegen die Täter vorgehen.  Dann würden auch die Ignoranten erkennen, dass Sexismus kein Nischenthema ist, die betroffenen Frauen keine Einzelfälle, am Rande der Gesellschaft, außerhalb der Alltagsrealität. Dann wird deutlich: Sexismus und Machtmissbrauch sind Teil unserer Lebensrealität. Und dieser Realität sollten wir uns gemeinsam stellen.

Dieser Text erschien zum ersten Mal auf meinem Blog “Schreiben, Leben und der Rest”. https://rikawordpress.wordpress.com/

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