Anne-Kathrin Heier und Camille Haldner von EDITION F sind die Herausgeberinnen des Buches „Work*in Progress“, das nun im Klartext Verlag erschienen ist und 19 Autor*innen versammelt, die ihre Stimme für eine gerechtere Welt erheben.
In diesem Band versammeln die beiden Journalistinnen Anne-Kathrin Heier und Redakteurin Camille Haldner 19 Stimmen, die ausgehend von persönlichen Erfahrungen große gesellschaftspolitische Themen aufspannen und mögliche Lösungswege aufzeigen: Warum kann ein Frauenkörper in keiner Phase des Lebens „richtig“ sein und was sagt das über unser Gesundheitssystem aus? Warum sprechen so viele Menschen so ungern das Wort „behindert“ aus und nutzen lieber sperrige Begriffe wie „beeinträchtigt“ oder „gehandicapped“? Was meinen Unternehmen eigentlich, wenn sie von „echter Diversität“ sprechen? Warum haben insbesondere Frauen jede Menge Gründe, wütend zu sein? Warum regen sich so viele Menschen über das Gendern auf, obwohl gendergerechte Sprache einfach abbildet, was längst gesellschaftliche Realität ist? Was hat es mit der Spaltung unserer Gesellschaft auf sich – und gibt es Hoffnung auf neue Verbindung und Zugewandtheit? – Über Fragen wie diese denken die 19 Autor*innen von „Work*in Progress“ nach: Tino Amaral, Kantom Azad, Julia Becker, Jasmin Dickerson, Gizem Eza, Franziska Gärtner, Camille Haldner, Sara Hassan, Anne-Kathrin Heier, Rebecca Maskos, Katharina Rein, Fiona Rohde, Linda Rachel Sabiers, Gilda Sahebi, Ann-Kathrin Schöll, Ylva Tebartz, Yvonne Weiß und Lana Wittig.
Gleich zu Beginn ist im Buch ein Gespräch der Herausgeberinnen zu finden, das wir auch an dieser Stelle veröffentlichen, um neugierig zu machen auf diesen Band, der sich aus 19 verschiedenen Richtungen einer Welt annähert, die für alle gerechter wäre.
„Hier schreiben Menschen, die Mut haben und Mut machen.“
Julia Becker, FUNKE-Verlegerin
Gespräch der Herausgeberinnen über „Work*in Progress“
Camille Haldner: „,Work*in Progress’ heißt dieses Buch. Was hat es mit diesem Titel auf sich, Anne?“
Anne-Kathrin Heier: „Das Buch ist ein Ergebnis der redaktionellen Arbeit von EDITION F, dem Online-Magazin, für das wir gemeinsam arbeiten. Damit steht das Buch für die Werte, für die auch EDITION F steht, seit es vor zehn Jahren von Susann Hoffmann und Nora-Vanessa Wohlert gegründet wurde: Wir setzen uns unter Einbeziehung verschiedenster Perspektiven und mit einem intersektionalen Blick für Gleichberechtigung in allen Bereichen des Lebens ein. Da gibt es unendlich viel zu tun, ein Ende ist (leider) nicht in Sicht. Das Sternchen im Titel deutet auf eine verspielte Weise die Richtung an, in die wir uns bewegen müssen – hin zu Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt. Wir sind mitten im Prozess. Laut Weltwirtschaftsforum zum Beispiel dauert es noch 134 Jahre, bis die Gleichstellung zwischen Mann und Frau erreicht ist.“
Camille Haldner: „134 Jahre ist echt eine lange Zeit, insbesondere wenn man bedenkt, wie lange Feminist*innen bereits für Gleichberechtigung kämpfen. Hinzu kommt, dass diese Berechnung des Weltwirtschaftsforums lediglich die fehlende Chancengleichheit und Diskriminierung aufgrund von Geschlecht in den Blick nimmt und nicht auf die Kämpfe anderer marginalisierter Gruppen eingeht. Du hast den intersektionalen Ansatz erwähnt, der den Blick weitet für verschiedenste Formen der Diskriminierung wie Antisemitismus, Ableismus, Klassismus, Rassismus und Queerfeindlichkeit. Eine Berechnung, wie lange es dauert, bis all diese Ungerechtigkeiten aus der Welt geschafft wurden, gibt es vermutlich nicht einmal.“
Anne-Kathrin Heier: „Nein, sicher nicht. Vor allem gelten Errungenschaften des Feminismus ja leider nicht als unumstößlich. Nicht selten gehen wir als Gesellschaft drei Schritte vor und zwei zurück. Die Bandbreite an Ungleichheit, Ausgrenzung, Diskriminierung ist einfach immens groß. Und das ist auch der Grund, warum wir den Voices Newsletter bei EDITION F ins Leben gerufen haben: Hier schreiben jede Woche Autor*innen über Missstände und Ungerechtigkeiten. Ausgehend von ihren ganz persönlichen Erfahrungen spannen sie die Themen gesellschaftspolitisch auf, ergänzen sie mit Studien, Daten und Fakten und zeigen – und das ist uns besonders wichtig – im Sinne des konstruktiven Journalismus auch Wege und Lösungen auf. Daraus entsteht im besten Fall der utopische Entwurf eines Lebens, das gut und gerecht für uns alle ist. ,Work*in Progress’ ist eine repräsentative Zusammenstellung der wöchentlich im Voices Newsletter erscheinenden Texte.“
Camille Haldner: „Diese Vielstimmigkeit ist eine große Stärke des Buches, die wir auch im Untertitel – ,19 Stimmen für eine gerechtere Gesellschaft’ – sichtbar machen. Als uns die Kolleg*innen vom Verlag darauf aufmerksam machten, dass es 20 Autor*innen sein müssten, um im Titel ein Gefühl der Vollständigkeit vermitteln zu können, war für uns ganz klar: eine unrunde Zahl ist genau richtig. ,Work*in Progress’ erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und liefert kein fertiges Rezept, wie echte Gleichberechtigung für alle Menschen erreicht wird. Das kann ein einzelnes Buch kaum leisten. Vielmehr geben unsere 19 Autor*innen Impulse, bieten Einblicke in verschiedene Lebensrealitäten und schaffen so ein Bewusstsein dafür, dass die bestehenden Strukturen dieser Welt oft ungerecht sind und viele Menschen diskriminieren. Selbstverständlich gäbe es darüber hinaus noch viele weitere Perspektiven, die für eine Diskussion über Gleichberechtigung wichtig und wertvoll sind. Die bilden wir hoffentlich auch in Zukunft im EDITION F-Magazin ab.“
Anne-Kathrin Heier: „Ich muss sehr oft an einen Satz von Enissa Amani denken, die bei einem unserer Events gesagt hat: ,Wir haben eine Sache noch zu wenig begriffen: wie wichtig es ist, sich für Gruppen einzusetzen, denen wir nicht angehören.’ Ich denke, dass sie hier eine Haltung beschreibt, die wir als Gesellschaft verinnerlichen sollten. Wir brauchen das unablässige Bewusstsein über die eigenen Privilegien, um sie zu nutzen. Dieses Buch zeigt einen kleinen Ausschnitt einer riesigen Welt, die voller Krisen, Kriege und struktureller Unterschiede ist. Wir alle haben die Verantwortung und wir alle können unseren Teil beitragen für ein besseres Leben für alle. Und so bleiben die letz- ten Seiten in diesem Buch frei. Frei für die Gedanken unserer Leser*innen, frei für neue Ideen, frei für weitere Perspektiven. Wir führen dieses einleitende Gespräch kurz bevor das Manuskript in den Druck geht. Mit welchem Gefühl übergeben wir dieses Buch der Öffentlichkeit, Camille?“
Camille Haldner: „Mit der Hoffnung, dass sich möglichst viele Menschen in den Texten der verschiedenen Autor*innen wieder- finden, sich gesehen und verstanden fühlen; dass sie Worte für Gefühle und Erfahrungen finden, die ihnen bisher vielleicht ge- fehlt haben. Und wir hoffen, dass Leser*innen, die bisher keine Berührungspunkte mit gewissen Themen hatten, ihr neu ge- wonnenes Bewusstsein über existierende Ungerechtigkeiten dafür nutzen, andere in ihrem Kampf für Gleichberechtigung zu unterstützen. Gerade auch mit Blick auf immer stärker werdende antifeministische Kräfte, die – wie die Autorin Gilda Sahebi in ihrem Kapitel beschreibt – gut darin sind, Menschen zu spalten, müssen wir zusammenhalten und solidarisch sein.“
Work*in Progress: Ab sofort im Buchhandel erhältlich
Ihr könnt das Buch hier bestellen – oder bei der Buchhandlung eures Vertrauens. Support your local bookdealer! Das Buch kostet 19.90 Euro.