Vor 25 Jahren starb die Mode-Redakteurin des 20. Jahrhunderts, die sehr viel mehr war: Förderin, Künstlerin, Visionärin.
Zu Lebzeiten eine Legende
Es gibt Menschen, die sind überlebensgroß. Bereits zu Lebzeiten umranken sie Mythen wie einst Dornen das Schloss des verhexten Dornröschens. Diana Vreeland war so ein Mensch. Eine Stilikone. Ein wandelndes Bonmot. Eine Frau mit einem Lebenswerk, das heute noch genauso frisch und inspirierend ist wie vor 40 Jahren. Eine Geschichtenerzählerin, eine furchtlose Baronin Münchhausen mit Zeitgeist prägenden Ideen, angetrieben von unermüdlichem Enthusiasmus für die kunterbunte Vielfalt des menschlichen Daseins.
Als Diana Dalziel 1903 in Paris geboren, erlebte die sie die Opulenz der Belle Epoque im wohlhabenden elterlichen Salon. Ihr britischer Vater und ihre amerikanische Mutter führten ein offenes Haus, in dem die Künstler des Ballets Russes und viele andere bekannte Persönlichkeiten der Hautevolee verkehrten. Theater, Ballett, Selbstinszenierung, Feste, Exzesse – schon als Kind beobachtete Diana all dies, sog es in sich auf. Diese Jahre sollten sie für ihr ganzen Leben prägen. In einer Tonbandaufnahme mit ihrem Biografen George Plimpton Anfang der 1980er Jahre brachte sie es auf den Punkt: „I certainly didn’t learn anything at school, my education was the world.“
Dazu gehörte auch, dass ihre Mutter sie im Gegensatz zu ihrer attraktiveren Schwester immer als hässliches Entchen behandelte. So lernte Diana schon früh, ihre optische Einzigartigkeit – ihre markante Nase, den großen breiten Mund und die schmalen Augen – in Szene zu setzen und zu zelebrieren. Statt sich zu ducken, entschloss sie sich herauszustechen.
Privates fand sie irrelevant
Nach dem ersten Weltkrieg zog die Familie nach New York und die junge Diana stürzte sich ins Vergnügen, tanzte die Nächte durch, hatte Affären mit Gigolos und lebte den unkonventionellen Zeitgeist der Roaring Twenties. 1924 traf sie den Bankier Thomas Reed Vreeland, es war Liebe auf den ersten Blick. Bald darauf heiratete das Paar. Und auch wenn es immer wieder Krisen gab, Gerüchte über seine Affären kursierten, hielt die Verbindung bis zu seinem Krebstod 1967. Ihr Mann unterstützte sie stets, er gab ihr das Gefühl schön zu sein und auch nach Jahrzehnten Ehe gab sie zu immer noch scheu und nervös zu werden, wenn er sich ihr näherte. Mit ihm bekam sie zwei Söhne, doch ihr Privatleben hielt sie immer von der Öffentlichkeit fern. Auch in späteren Interviews erachtete sie es als wenig spannend und wollte nicht wirklich darüber sprechen. Viel lieber schwärmte sie von Europa.
Das junge Paar ging bald nach der Hochzeit nach London und wie Diana einmal flapsig bemerkte „das Schönste an London ist Paris“. Obwohl sie in der britischen Hauptstadt ein erfolgreiches Geschäft für Damenmode führte, zog es sie verstärkt an die Seine, wo sie schnell Freundschaft mit Coco Chanel schloss und sich von ihr einkleiden ließ. Später erzählte Vreeland, sie habe Wallis Simpson, der späteren Herzogin von Windsor, verführerische Dessous für ein Liebeswochenende mit dem späteren König Eduard VIII verkauft, die ihrer Meinung nach dazu führten, das er schliesslich aufgrund seiner nicht standesgemäßen Liebe zu der Amerikanerin abdanken musste. Vreeland liebte Anekdoten wie diese und kultivierte sie wie kostbare Bonsaibäumchen über Jahre hinweg. Im Paris der 1930er Jahre entwickelte sie ihr Gespür für Mode, das sie später beruflich nutzen sollte.
Beginn der Redakteurskarriere
1937, im Schatten des heraufziehenden Weltkriegs, ging das Paar zurück nach New York. Und weil Diana Probleme hatte, ihren opulenten Lebensstil alleine mit dem Einkommen ihres Mannes aufrecht zu erhalten, beschloss sie selbst arbeiten zu gehen. Wie praktisch, dass Carmel Snow, die legendäre Chefredakteurin von Harpers Bazaar, Vreeland im Nachtclub St.Regis tanzen sah und von ihrem Erscheinungsbild und ihrer Stilsicherheit so angetan war – natürlich trug Vreeland Chanel – dass sie ihr eine Stelle als Redakteurin anbot.
Unter dem Titel „Why don’t you …?“ verfasste die Neu-Journalistin eine Kolumne, in der sie extravagante Ratschläge gab, den Alltag aufregender und glamouröser zu gestalten. Auch wenn die Leserinnen in Zeiten der Rezession von der Verwirklichung dieser Tipps nur träumen konnten, liebten Sie die Kolumne. „Warum lassen Sie sich nicht einen Schal aus acht Fuchsschwänzen anfertigen?“, „Warum richten sie sich nicht ein ovales Schlafzimmer ein, komplett mit Seide ausgekleidet?“, „Warum lassen Sie sich nicht Zigaretten mit ihren Insignien bedrucken?“ hießen einige der Texte. Danach ging es beruflich schnell bergauf. Vreeland wurde die erste und zu diesem Zeitpunkt einzige Moderedakteurin des Magazins. Der Ausbruch des zweiten Weltkrieges verdrängte die schwelgerischen Kolumnen-Seiten aus dem Heft, machte aber Platz für einen wahrhaftigen Skandal – das erste Foto eines Modells im Bikini, also quasi nackt, zierte auf ihre Veranlassung die Modeseiten und Dianas Einfluss auf die gesamte Modewelt wuchs von Ausgabe zu Ausgabe. Sie machte die Blue Jeans populär und entdeckte Lauren Bacall als Model, die daraufhin eine erfolgreiche Karriere in Hollywood startete. Zweifelsfrei war Mode für Vreeland eine Kunstform, genauso wie Fotografie. Und auch wenn sie eine strenge Chefin war, förderte sie Menschen an denen sie Gefallen fand. Ähnlich wie die heutige Vogue-Chefin Anna Wintour lebte sie nach dem Motto „Ich arbeite hart und erwarte, dass meine Angestellten genauso hart arbeiten“. Sie war zweifelsohne ein Workaholic, aber die, die sie ertrugen, blieben meist sehr lange an ihrer Seite.
Mode-Journalismus mit Abenteuerlust
Jackie Kennedy entwickelte unter Dianas Einfluss den eleganten Stil, durch den sie später selbst zur Ikone wurde. 1962 warb die Konkurrenz sie ab und sie wurde Chefredakteurin der amerikanischen Vogue. Halb Britin begeisterte sie sich für den aufkommenden Zeitgeist der Swinging Sixties und ließ sich von allem inspirieren was Großbritannien zu bieten hatte. Die Beatles, die Stones, Twiggy, Jean Shrimpton, Miniröcke, sexuelle Revolution – sie befreite das Heft vom verstaubten Hausfrauen-Image und füllte es mit Abenteuern, Sex und Zukunftsvisionen. In Zeiten, in denen das Budget für Mode-Editorials noch keinen Sparmaßnahmen unterzogen wurde, schickte sie ihre Teams in ferne Länder, wo sie wochenlang weilten um eine Modestrecke zu schießen.
Unter ihren Zöglingen waren Fotografen wie Richard Avedon und David Bailey, Models wie Angelica Huston, Penelope Tree, Veruschka Gräfin von Lehndorff – die alle mehr durch ihren besonderen Look bestachen als durch ihre klassische Schönheit. Das was ihre Mutter an ihr auszusetzen gehabt hatte, erhob Vreeland zum Schönheitsideal: Den Makel. Sie buchte Models mit Sommersprossen, rückte lange Hälse von in den Fokus. Betonte Zahnlücken, ließ schlaksige Körper noch länger wirken und zelebrierte Barbra Streisands griechische Nase im Profil. Cher entdeckte sie als Model für unzählige Editorials, lange bevor ihre Solokarriere sie weltbekannt machte.
Alles, bloss nicht gewöhnlich!
Sie schloss Freundschaft mit den aufstrebenden Ikonen des New Hollywood Kinos, zog mit Jack Nicholson und Warren Beatty um die Häuser. Auch wenn sie ihn selbst nicht lebte, war sie fasziniert vom hedonistischen Exzess dieser jungen Wilden. Sie fand das alles amüsant und aufregend, ihr oberstes Motto lautete stets: „Don’t be boring, invent something – alles, bloss nicht gewöhnlich!“. Auch Andy Warhol hofierte sie, sie zierte das Cover seines legendären Interview-Magazins. Ihre Memos, in denen sie Anweisungen für die Shootings gab, waren legendär. Sie schuf romantische Fantasiewelten und malte ihre eigenen Bilder von russischen Prinzessinnen und japanischen Geishas. Es musste immer eine Geschichte erzählt werden: „A new dress doesn’t get you anywhere – it’s the life you’re living in the dress“ (Ein neues Kleid bringt dich nirgendwo hin, es ist das Leben, das du in dem Kleid lebst“).
Trotzdem war selbst zu verreisen nicht ihr Ding und die Realität dieser Kulturen interessierte sie weniger als die opulenten Klischeevorstellungen, die sie ihren Lesern monatlich auf den Teetisch legte. Auch was ihre eigene Biografie betraf, bevorzugte Diana Vreeland die Legendenbildung. Viele ihrer Anekdoten sind ganz offensichtlich frei erfunden, doch das spielt keine Rolle, sind sie doch so unterhaltsam wie die Ergebnisse ihrer redaktionellen Arbeit.
Diana in ihrem roten Wohnzimmer: „I wanted this apartment to be a garden – but it had to be a garden in hell.”
70 ist zu früh für den Ruhestand
Laut eigener Auskunft dachte Vreeland nicht viel über Emanzipation nach, sie lebte sie einfach. Da sie gesellschaftlich privilegiert war und aufgrund ihrer „Hässlichkeit“ früh gelernt hatte sich durchzusetzen und abzuheben, entwickelte sie eine geradezu egozentrische Durchsetzungskraft. Diese wurde allerdings kurzfristig geschwächt als die Vogue ihr 1972 nach zehn Jahren kündigte. Fünf Jahre zuvor war ihr Mann gestorben, und sie hatte sich in Folge dessen geradezu manisch in ihre Arbeit vertieft. Was konnte nach der Vogue kommen? Da kam es mehr als gelegen, dass das Costume Institute des Metropolitan Museum of Art in New York ihr einen Posten als Special Consultant anbot. Von nun an kuratierte sie Ausstellungen mit wahrem Blockbuster-Andrang und sorgte auch hier für Furore, indem sie als erste einem lebenden Designer, Yves Saint Laurent, eine Retrospektive widmete. Diana kommentierte ihren neuen Job nur so: „I was only 70. What was I supposed to do, retire?“ („Ich war doch erst 70, was hätte ich tun sollen, in den Ruhestand gehen?”).
Ob in Ausstellungen über zeitgenössische Designer wie YSL oder Balenciaga oder zu historischen Themen wie Chinas Ch’ing Dynastie oder die Habsburger Doppelmonarchie Österreich-Ungarn, die Visionärin konnte sich austoben und Mittel einsetzen, die auf Magazinseiten nie möglich gewesen waren: Musik, Lichtdesign, opulente Ausstattungsdetails, ja sogar Düfte kamen zum Einsatz um die Besucher zu bezaubern! Obwohl sie für ihre verschwenderische und unkonventionelle Art wiederholt Kritik ihrer Vorgesetzten einstecken musste, war sie bis zu ihrem Tod für das Museum tätig. Am 22. August 1989 erlag sie einem Herzinfarkt. Bis zuletzt hatte sie sich ganz ihrer Arbeit gewidmet, behauptete seit ihrem 30. Geburtstags keinen Tag nicht gearbeitet zu haben, ein Wunder, dass ihre Gesundheit überhaupt so lange mitspielte. Vreeland rauchte leidenschaftlich und aß angeblich jeden Tag zum Lunch ein Vollkorn-Sandwich mit Marmelade und Erdnussbutter, das sie mit einem Glas Scotch Whiskey herunter spülte („Peanut butter is the greatest invention since Christianity!“).
Diana Vreeland war ein Freigeist, die sich im Kopf eine unvergleichliche Jugendlichkeit bewahrte, legendär bleibt ihr Ausspruch: „I shall die very young – maybe 70, maybe 80, maybe 90 … but I shall be very young!“ Ein fantastischer Leitspruch, den wir uns alle von Zeit zu Zeit an den Badezimmerspiegel heften sollten, ganz nach dem Motto: „Why don’t you …?“
Wer mehr über sie wissen will, dem sei die Dokumentation „The Eye Has To Travel” und ihre Biografie „Allure: Der Roman meines Lebens“ empfohlen.