Foto: Ruth117

Weg mit der rosa Brille: Kann ich das wirklich (nicht)?

Ich war nie ein klassisches Mädchen-Mädchen. Programmieren? Das war für mich trotzdem immer ein klassisch männlich besetztes Thema- bis ich selbst zum Role Model wurde…

 

Ich war nie ein klassisches Mädchen-Mädchen. Als kleine Schwester eines neun Jahre älteren Bruders fand ich schon mit drei Jahren Hosen deutlich cooler als Kleider, gab zu den unpassendsten Gelegenheiten freche Antworten und beharrte darauf, dass meine Baby Born ein Junge sei- allen rosa Kleidungsstücken zum Trotz. Als Teenagerin kokettiere ich gern damit, dass ich keine „Tussi“ sei und fand Mädchen, die darauf warteten, dass der Junge den ersten Schritt machte, einfach nur peinlich. Lange Zeit war ich wirklich davon überzeugt, dass ich die Sache mit den Geschlechter-Klischees für mich ganz gut durchschaut hatte! 

Umso härter traf mich die Erkenntnis, dass ich über eine Komponente all die Jahre noch nie nachgedacht hatte. Welches Geschlecht hatte eigentlich mein Fähigkeitsselbstkonzept?! Wow, und da war sie, die Erkenntnis, dass ich das was ich glaubte (nicht) zu können, jahrelang durch die rosa Brille betrachtet hatte. Und vielleicht hätte ich das auch noch weiterhin getan, wäre ich nicht nach meinem Psychologiestudium in einen Job in der Digitalbranche gestolpert. Jetzt war es meine Aufgabe, Kinder und Jugendliche fürs Programmieren zu begeistern. Kinder und Jugendliche bespaßen, das passte zu mir. Aber programmieren? Davon hatte ich einfach Null Ahnung. Das sah scheinbar auch mein komplettes Umfeld so. Wann immer ich von meinem neuen Job erzählte, bekam ich zu hören: „Du und Programmieren? Das kannst du doch gar nicht.“

Gern würde ich an dieser Stelle erzählen, dass ich selbstbewusst dachte „Na und? Ich bin intelligent und werde das schon meistern.“. In meinem Kopf entstanden aber eher Bilder, in denen ich mich ängstlich vor einer Gruppe pubertierender IT-Nerds stehen sah, die mich und meine fehlende Kompetenz mit Verachtung straften. Zum Glück kann ich in solchen Momenten auf meinen besten Freund vertrauen, der mich mit dem weisen Spruch „Da wo die Angst ist, da geht’s lang.“ sanft in die richtige Richtung stieß. Ich fing an Programmieren zu lernen- mit Scratch einer grafischen Programmiersprache für Kinder, mit der man kleine Spiele und animierte Geschichten erstellen kann. Mit YouTube und Büchern machte ich schnell Fortschritte und nach wenigen Tagen hatte ich mein erstes Computerspiel programmiert. Es hieß „Catlady“ und man hatte die Aufgabe vom Himmel fallende Kätzchen in einem Körbchen aufzufangen. Dafür gab es Punkte. Ein tolles Spiel. Hätte es dieses Spiel schon in meiner Kindheit gegeben, wäre ich wohl eher zur Gamerin geworden. 

Nach und nach machte mir das Programmieren immer mehr Spaß. Ich entwickelte Ehrgeiz und wollte besser werden, um meine kreativen Ideen in die Tat umzusetzen zu können. Bald schaffte ich mir meinen ersten Mikrocontroller an und fing an, bei Conrad statt im Dekoladen um die Ecke zu shoppen. Ich baute eine E-Gitarre aus Pappkarton, die tatsächlich Töne abspielen konnte und ich programmierte eine Fotobox für die nächste WG-Party. Meine neuen Kenntnisse öffneten mir die Tür zu einer Welt zu der ich vorher keinen Zugang hatte und ich fand das Erlebnis ähnlich intensiv, wie das Entdecken von Büchern im Erstlesealter. Warum zur Hölle war ich nie vorher auf die Idee gekommen mich mit diesem Thema zu beschäftigen? Und noch schlimmer: warum hatte ich solche Angst gehabt, es nicht zu können? 

Die Antwort auf diese Frage fand ich vor allem, wenn ich die Mädchen in meinen Programmier-Workshops beobachtete. Nun ja, ehrlich gesagt konnte ich gar nicht so häufig Mädchen in den Kursen beobachten, denn wenn die Anmeldung für den Kurs freiwillig erfolgte, dann waren zumeist keine Mädchen da. Die Lehrkräfte zuckten auf Nachfrage nur mit den Schultern: „Ist halt nichts für die Mädchen.“ Durchatmen. Okay. Wenn doch ein paar Mädchen auftauchten, waren sie trotzdem häufig kaum zu bemerken. In der Vorstellungsrunde, wo alle Schülerinnen und Schüler nach ihren Vorerfahrungen im Programmieren befragt wurden, bezeichneten sich viele Jungs als „Hacker“ (soll heißen, dass sie gern Computer spielten) während die Mädchen betreten zu Boden schauten. Während die Jungs sich auf keinen Fall zu zweit einen Mikrocontroller teilen wollten, quetschten sich die Mädchen auch gern zu dritt an einen Computer, bedienten zu zweit die Maus und meldeten sich sofort, wann immer eine Fehlermeldung am Computer auftauchte: „Ich hab Angst hier was kaputt zu machen.“ Und beim Programmieren selbst? Da war es oft so, dass das ausgefeilteste und kreativste Projekt von einer Mädchengruppe erstellt wurde. Häufig waren die kleinen Programmiererinnen auch stolz auf ihre Ergebnisse. Und trotzdem fiel es ihnen schwer ihre Werke selbstbewusst vor der Klasse zu präsentieren. 

Diese Beobachtungen stimmten mich traurig. Denn genau in diesem Verhalten konnte ich mich selbst sehen- damals und auch noch heute! 

Ich habe den Kindern meiner Cousine (8 und 11 Jahre) zu Weihnachten den Mikrocontroller Calliope Mini geschenkt. Der Kleine verlor nach zwei gescheiterten Programmierversuchen die Geduld und spielt seither nur noch die vorinstallierten Spiele. Die Große ist völlig unerschrocken, programmiert mit einer Engelsgeduld und schickt mir regelmäßig Videos von ihren eigenen Kreationen. Ich bin beeindruckt! Neulich fragte sie mich begeistert: „Meinst du, man kann als Programmiererin auch im Tierheim arbeiten? Wenn ich groß bin, will ich nämlich auch mal Programmiererin werden, genau wie du.“ Ich lächelte und erzählte ihr nicht, dass ich bisher nicht über das Erlernen von Kinder-Programmiersprachen hinausgekommen bin und mittlerweile wieder im HR-Bereich („Ja das liegt mir. Ja das kann ich“) arbeite. Ich bin stolz darauf ihr Role Model zu sein und eines Tages, werde ich ihr erzählen, dass sie meines ist!

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