Foto: Fotolia

Das echte Leben

Verstecke ich mich vor dem echten Leben? Das echte Leben ist da draußen, hier, in meiner Wohnung, hier sind nur drei Kinder. Mich um sie zu kümmern, sie groß zu ziehen, sie zu lieben, zu versorgen und ihnen eine glückliche Kindheit zu bieten, das ist längst nicht mehr genug.

 

Verstecke ich mich vor dem echten Leben? Das echte Leben ist da draußen, hier, in meiner Wohnung, hier sind nur drei Kinder. Mich um sie zu kümmern, sie groß zu ziehen, sie zu lieben, zu versorgen und ihnen eine glückliche Kindheit zu bieten, das ist längst nicht mehr genug. Das darf mich als Frau nicht zufrieden stellen, da muss ich unzufrieden sein, gelangweilt, frustriert. Anders kann es nicht sein.Wo ich nur hinschaue, was ich auch lese, mit wem ich auch spreche, immer wieder schleudert es mir entgegen. “Zuhause bei den Kindern? – Das ist doch für jede intelligente Frau viel zu langweilig! Dazu das fremdbestimmt sein, für einen selbst bleibt da doch gar keine Zeit mehr…”

Ich fühle das alles nicht. Ich habe es nie gefühlt. Ich langweile mich wirklich schnell und oft, aber nie, wenn ich mit den Kindern zusammen bin, mit ihnen den Tag verbringe oder für sie Dinge vorbereite. Ich fühle mich nicht fremdbestimmt, weil ich den ganzen Tag frei gestalten kann. Ich fühle mich vollständig, was mir wichtig ist, schaffe ich, was ich nicht schaffe, ist mir nicht so wichtig. Irgendetwas stimmt nicht mit mir. Womöglich habe ich nur Angst, verursacht durch ein klassisches Elternhaus, erfahrene Diskriminierung oder einfach, weil ich so sozialisiert wurde. Von klein auf darauf gepolt, ein Leben als Mutter schön zu finden , es als ausreichend zu empfinden, d amit glücklich zu sein. Das kann nicht sein, das darf nicht sein. Nein, ich muss dran arbeiten, ich muss gucken, was mich behindert, was mich blockiert. Ich renne zur Therapie, “Mit mir stimmt was nicht, ich bin total gestresst, irgendetwas läuft falsch!” “Ja”, kommt die professionelle Meinung “sie haben zu viel Stress. 

Sie müssen lernen, den Kindern Grenzen zu setzen, sie müssen sich mehr Freiräume schaffen, sie müssen mehr für sich machen, die Dinge, die Ihnen wichtig sind. Können die Kinder nicht mehr betreut werden, können sie sich nicht mehr Hilfe holen?” “Ja, okay. Da haben sie sicherlich recht, ja, nein, ich habe niemanden. Dann müsste die Kleine in die Krippe. Das wollte ich eigentlich nicht. Ich habe mich sehr auf das letzte Jahr mit ihr alleine zuhause gefreut. Oh Mann, ich werde sie so entsetzlich vermissen, ich hatte so viel geplant, jetzt, wo die Mittlere im Kindergarten ist und sie endlich mal ganz in meinem Mittelpunkt stehen könnte! Wir wollten auf den Spielplatz, ins Schwimmbad, auf den Markt, ins Museum… Jetzt fange ich auch noch an zu heulen. Aber wenn das das richtige ist. Ja, ja, wahrscheinlich haben sie recht, mein Mutterbild ist veraltet. Mein Mann ist tagsüber schließlich auch im Büro, das nehme ich ihm ja auch nicht krumm, was sollte also schlimm daran sein, wenn ich ebenfalls im Büro bin? Nichts, außer das ich nicht will. ICH WILL NICHT.”

Mutter sein in vielen Facetten

Hört ihr mich da draußen, ihr fiesen gemeinen Stimmen, die mir immer wieder vorwerfen, ich hätte ja keine freie Entscheidung getroffen, das wäre mir ja alles nur gesellschaftlich eingetrichtert worden, ich würde mich in gesellschaftlich vorgegebene Rollen einfügen, die Emanzipation verraten und mich dumm und naiv in die finanzielle Abhängigkeit begeben… Ich bitte euch, seid still!!! Ich weiß, ihr meint es alle gut mit mir, ihr wollt mir helfen, ihr habt darüber debattiert, gelesen, geforscht, geschrieben und wieder debattiert. Ihr habt ja auch recht, mein Kopf glaubt euch, ich bin voll bei euch. Aber mein Herz, mein Herz hält es nicht aus. Mein Herz, es zerreißt, wenn ich mein kleines Baby morgens in die Krippe bringen soll, es zerreißt, wenn ich die Größeren bis in den Nachmittag betreuen lassen soll, es wird nicht aufhören zu weinen, wenn ich es nicht wage, weitere Kinder zu bekommen. Aber das Herz, es ist so verunsichert, es hat so viel Angst, es kommt gegen den schlauen Kopf und all die Argumente, die ihr mit ihm austauscht nicht an. Das kleine Herz, es ist ganz alleine, es kann mit niemandem sprechen. Es weint, aber ich kann es nicht mehr hören, ich weiß nicht mit Gewissheit was es will, was es sich noch erträumt. Ich kann es kaum noch hören, die Stimmen, was ich denken soll, sie sind so viel lauter, so viel stärker, so viel kraftvoller. Ich weiß, ihr meint es alle gut mit mir, aber ich wünschte, ihr würdet mich allein lassen. Ihr habt nicht mit mir gesprochen, ihr habt mich nicht gefragt, was ich mir vom Leben wünsche, was mich glücklich macht. Ihr wisst ja nicht mal, wer ich bin. Ich bezweifle auch, dass ich euch interessiere. Jetzt habe ich mich in meinen Emotionen verloren. Eigentlich hatte ich den Artikel ganz anders weiter schreiben wollen. Ich wollte nur eine kleine Ergänzung einflechten, das ist etwas aus dem Ruder gelaufen.

Wisst ihr, ich kann mir eine Karriere in den schillerndsten Farbe ausmalen, rein vom Intellekt und den Ideen her habe ich vielleicht auch das Zeug dazu. Was heißt hier vielleicht, ganz bestimmt. Ich bin visionär, ich bin überdurchschnittlich intelligent – ups, darf man das als Frau sagen? Seht ihr, da ist sie, die Sozialisation zur Bescheidenheit, sie ist da, sie ist der Grund, dass ich beruflich nicht durchstarte, dass ich abends nicht am Computer sitze, sondern mich ausruhe, für den nächsten Tag mit den Kindern. Da ist sie doch, die Falle. Also müssen die Kinder in die Betreuung, damit ich Zeit, Luft und Kraft habe, meine beruflichen Phantasien zu verwirklichen. Wenn ich das nicht will, wenn mich die Vorstellung mit Trauer erfüllt, mit Panik, weil ich die Kinder nicht so lange her geben will, weil ich mir mein Leben so nicht vorgestellt habe, weil ich keine Idee habe, wie ich meine Vorstellung von Familie so realisieren soll, dann ist das doch nur die Gehirnwäsche, dich ich von klein auf bekommen habe, dass ich als Mädchen, als Frau, das so zu wollen habe. Das muss raus aus meinem Kopf, da muss ich dran arbeiten. Meine Werte, mein Glück, das ist nicht das Richtige, das darf ich so nicht fühlen. Es ist falsch, ich bin falsch! Es ist Feigheit, es ist Bequemlichkeit. Drei Kinder alleine versorgen, ohne Haushaltshilfe, ohne Oma oder andere Verwandte nur mit der jugendlichen Babysitterin, die hin und wieder kommt? Das gilt nicht, das ist kein Leben, das darf kein Leben sein, auf keinen Fall darf das alles sein, was man macht, alles was man braucht, um glücklich zu sein. Nein! Dagegen muss ich aufbegehren, notfalls mit Therapie. Ich darf als Frau heute aus meiner Mutterschaft kein Glück mehr ziehen, die Kinder dürfen nicht die Menschen sein, mit denen ich am liebsten meine Zeit verbringen, ihre Nähe nicht der Ort sein, an dem ich mich am liebsten aufhalte. Im 21. Jahrhundert als emanzipierte Frau, die den Anspruch erhebt, intelligent, gleichberechtigt und zufrieden zu sein, ist das keine Option mehr!

Mutterschaft im Fokus

Wer schreibt mir eigentlich vor, dass ich so nicht leben darf? Wer profitiert davon, dass mir neuerdings ausgerechnet die Berufstätigkeit als das größte Glück verkauft wird? Das genau sie es sein soll, die den Frauen all die Jahre gefehlt hat, sie frustriert, verbittert und abhängig zurück gelassen hat, ohne jede Möglichkeit, sich im Ansturm der häuslichen Verpflichtungen selbst zu verwirklichen. Nun sind wir endlich frei! Frei von den Kindern, die wir gut betreut wissen, frei von der Hausarbeit, die unsere nette, fleißige Haushaltshilfe für uns erledigt. Und während wir also zwischen Kita-Schule-Job-Supermarkt-Kinderarzt und was weiß ich noch alles hin und her hetzen, merken, dass trotz der vier Stunden Hilfe die Woche doch noch eine Menge im Haushalt liegen bleibt, abends vollkommen zerstört ins Bett fallen, permanent unzufrieden sind und nach vier Jahren mit akutem BurnOut in die Klinik fahren – momentmal, wie war das nochmal mit der Selbstverwirklichung? Ich hatte immer gedacht, das ist was positives. Mir war nicht klar, dass damit Selbstausbeutung, Selbstüberforderung, Selbstzerstörung zum Nutzen anderer gemeint war.

Ich weiß nicht, für mich klingt das nicht befreit, für mich klingt das nicht nach Glück. Für mich klingt das wie eine Zwischenstufe auf dem richtigen Weg, bei der aber gerade vieles viel schlimmer, viel anstrengender und viel belastender ist, als vorher. Womöglich sind wir gerade wirklich mitten in einer gesellschaftlichen Revolution, in der die Geschlechterrollen neu definiert werden, die Wahlfreiheit zwischen den Rollen, erstmals wirklich hergestellt wird inklusive der Möglichkeit, eine einmal gewählte Rolle auch wieder zu verlassen. Eine Gesellschaft, die vielleicht sogar ganz ohne vorformulierte Rollen auskommt und statt dessen neugierig auf individuelle und einzigartige Lebensentwürfe blickt, in der das Verhältnis von Arbeits- und Privatleben neu definiert wird, an deren Ende wir alle frei, glücklich und selbstbestimmt unseren Weg gehen werden und jederzeit die Möglichkeit haben, einen einmal eingeschlagenen Weg wieder zu verlassen und etwas vollkommen neues auszuprobieren. Womöglich sind wir mitten in dieser gesellschaftlichen Revolution. Das ist eine tolle Vorstellung, das macht mir Mut und Hoffnung für unsere Kinder und die nachfolgenden Generationen. Aber jede Revolution fordert Opfer, auf deren Kosten das Neue erschaffen wird. Die zwischen denen, die das Neue anstreben und jenen, die das Alte bewahren wollen, aufgerieben wird.

Das sind dann wohl wir!

Anzeige