Bevor sich ein Paar in Deutschland scheiden lassen kann, muss es ein Jahr getrennt leben. Was hat es mit diesem Trennungsjahr auf sich? Die im Familienrecht tätige Rechtsanwältin Kim Kutschak erklärt es in ihrer Scheidungs-Serie.
Nach der Trennung kommt erstmal das Trennungsjahr
Eine Trennung ist hart, meist für alle Beteiligten. Manche Ehepaare sind vielleicht erleichtert, manche wussten schon seit Jahren, dass es auf sie zukommen würde und manche stehen völlig unvorbereitet vor dem Scherbenhaufen ihrer Ehe. Warum trennt ein Ehepaar sich? Einfach weil das Leben dazwischengekommen ist? Weil da eine neue Liebe auftauchte? Weil der Ausbruch aus einer ungesunden Beziehung endlich geschafft ist?
Die Gründe für eine Trennung sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Manchmal sind Kinder im Spiel, die nun zwischen den Stühlen sitzen. Manchmal wird auf eine jahrzehntelange gemeinsame Vergangenheit zurückgeblickt. Zum Zeitpunkt der Hochzeit sahen die Vorstellungen von der Zukunft jedoch meist irgendwie anders aus. Vielleicht besteht der gemeinsame Wille die Trennung gut über die Bühne zu bringen. Vielleicht gibt es nun aber auch Streit. Das kann schmerzen und ist oft nicht leicht. Für alle Beteiligten beginnt in jedem Fall ein neuer Lebensabschnitt. Der Übergang ist manchmal holprig. Raus aus dem für die Zukunft geplanten gemeinsamen Leben und rein in die Realität. Wie soll es nun weitergehen? Wir können ja noch nicht mal mehr miteinander sprechen. Hier greift der Gesetzgeber dem frisch getrennten Ehepaar unter die Arme und hat Regelungen für dieses ganz besondere erste Trennungsjahr geschaffen.
Wann lebt man überhaupt getrennt?
Zunächst muss allerdings eine Frage geklärt werden. Ab wann lebt man überhaupt getrennt? Rechtlich gesehen liegt ein Getrenntleben vor, wenn keine häusliche Gemeinschaft mehr besteht. Das ist natürlich klar gegeben, wenn ein Teil des Ehepaares auszieht. Ein schneller Umzug ist angesichts des Wohnungsmarktes aber oft gar nicht so einfach oder schlicht zu teuer. Vielleicht ist das gemeinsame Haus auch so groß, dass in unterschiedlichen Räumen, weiter unter einem gemeinsamen Dach gelebt werden kann. Das scheint doch praktisch, auch wegen der eventuell vorhandenen Kinder. Um „getrennt zu leben“ muss dann allerdings innerhalb der gemeinsamen Ehewohnung eine getrennte Lebensführung stattfinden. Damit das gegeben ist, muss Essen, Schlafen, die Versorgung des Haushalts (inklusive des Waschens der eigenen Wäsche) sowie die Gestaltung der Freizeit getrennt werden.
Hinzukommen muss außerdem der subjektive Trennungswille. Mindestens ein Teil des Ehepaares muss sich also trennen wollen. Dieser Trennungswille muss erkennbar nach außen getreten sein. Ein Getrenntleben funktioniert so also auch bei Paaren, die nie zusammengelebt haben. Zum Beispiel weil ein*e Partner*in im Gefängnis sitzt oder weil aufgrund weit entfernter beruflicher Standorte immer getrennte Wohnorte bestanden. Den genauen Trennungszeitpunkt in geeigneter Form zu dokumentieren, macht Sinn, wenn die Trennung nicht einvernehmlich stattfindet. Eine Scheidung im Anschluss an das Trennungsjahr könnte sich ansonsten verzögern, wenn die Trennung von der anderen Seite bestritten wird.
Welche Besonderheiten gibt es im Trennungsjahr?
Um der Situation nach der Trennung gerecht zu werden, bestehen während des Trennungsjahres etliche rechtliche Besonderheiten in den unterschiedlichsten Lebensbereichen. Bekomme ich Unterhalt? Muss ich mehr arbeiten? Was ist mit den Kindern? Woran muss ich nun denken? Einige dieser Fragen werden im Folgenden beantwortet.
Was ist Trennungsunterhalt?
Nach einer Trennung tritt an die Stelle des Familienunterhalts die Verpflichtung zur Zahlung von Trennungsunterhalt. Die Solidarität einer Ehe wirkt noch bis in das Trennungsjahr fort. Denn wer heiratet, übernimmt Verantwortung füreinander und die endet nicht mit der Trennung. Der finanziell weniger gut aufgestellte Teil des Ehepaares, darf deshalb aufgrund der Trennung nicht in eine Notsituation geraten. Die Lebensverhältnisse sollen im Trennungsjahr denen während der Ehe entsprechen. Änderungen an den Lebensverhältnissen werden erst mit fortgeschrittener Trennung und dann ab dem Zeitpunkt der Scheidung gefordert. Bei der Berechnung des Trennungsunterhalts sind deshalb weniger strenge Maßstäbe anzulegen. Es besteht in dieser Zeit zum Beispiel eine weniger ausgeprägte Erwerbsobliegenheit der*des Unterhaltsberechtigten.
Eine Erwerbstätigkeit zur eigenen Lebensfinanzierung muss erst nach Ablauf des Trennungsjahres aufgenommen oder ausgebaut werden. Wer innerhalb der Ehe nicht oder nur wenig gearbeitet hat, muss dies auch nicht direkt nach der Trennung tun. Während des Trennungsjahres besteht die Chance sich beruflich neu zu orientieren, eine Vollzeitstelle zu suchen oder Stunden aufzustocken. Auch das Bewohnen von Wohneigentum wird innerhalb des Trennungsjahres nur minimiert in die Unterhaltsberechnung eingestellt. Außerdem sind die Anforderungen an die Verwertung des eigenen Vermögens zur Lebensfinanzierung weniger streng.
Der Anspruch auf Trennungsunterhalt erlischt mit Rechtskraft der Scheidung. Danach greifen eventuell andere Unterhaltstatbestände die gesondert geprüft werden müssen. Und nun bitte aufgepasst! Ein wichtiger Punkt zum Schluss: Der Trennungsunterhalt muss aktiv gegenüber dem*der Unterhaltspflichtigen geltend gemacht werden. Rückwirkend für die Vergangenheit kann dies nur geschehen, wenn zuvor wirksam zur Auskunft über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder zur Zahlung eines konkreten Trennungsunterhalts aufgefordert wurde.
Kinder und Trennung?
Viele Eltern fragen sich, welche Auswirkungen eine Trennung auf das gemeinsame Sorgerecht für die Kinder hat. Darauf kann eine einfache Antwort gegeben werden: Keine. Beide Elternteile sind weiterhin für das Wohl ihrer Kinder gemeinsam verantwortlich. Wichtige Entscheidungen, die zum Beispiel die Schule, Gesundheit oder Aufenthalt betreffen, müssen deshalb auch nach der Trennung gemeinsam getroffen werden. Herrscht zwischen den Eltern Streit, können einzelne Teile oder das gesamte Sorgerecht vom Familiengericht auf einen Elternteil übertragen werden. Ab dem Trennungszeitpunkt ist der Elternteil, bei dem die Kinder nicht leben, zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet. Auch dieser Anspruch muss jedoch aktiv geltend gemacht werden.
Welche steuerlichen Aspekte sind zu bedenken?
Auch im Bereich Steuern besteht die Möglichkeit, die ehelichen Lebensverhältnisse zunächst weiterzuführen. Vom getrennten Ehepaar können
die vorherigen Steuerklassen erstmal beibehalten werden. Die Wahlmöglichkeit
zwischen getrennter und gemeinsamer steuerlicher Veranlagung bleibt bestehen. Hierdurch kann auch während des Trennungsjahres vom Ehegattensplitting profitiert werden. Bei Streit über die steuerliche Veranlagung besteht, laut eines Urteils des Bundesgerichtshofs, auf Basis des Grundsatzes der ehelichen Solidarität, eine Verpflichtung, der gemeinsamen steuerlichen Veranlagung im Trennungsjahr zuzustimmen.
Sollte es zu dieser Situation kommen, hat der steuerlich schlechter gestellte Teil des Ehepaares wiederum den Anspruch, dass die steuerlichen Nachteile, die durch die gemeinsame Veranlagung entstehen, ausgeglichen werden. Eine Besonderheit ist, dass das steuerliche Trennungsjahr mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Trennung vollzogen wurde, endet. Das steuerrechtliche Trennungsjahr ist daher meist kürzer, als die zwölf Monate des scheidungsrechtlichen Trennungsjahres. Aufgepasst! Bei einer geplanten Scheidung ist es deshalb wichtig, dem Finanzamt mitzuteilen, dass das Ehepaar in Trennung lebt. Denn pünktlich mit dem Abschluss des Kalenderjahres der Trennung, müssen die Steuerklassen geändert werden. Diese Pflicht besteht nicht erst, wie oft vermutet, mit der Scheidung. Beide Ehepartner*innen erhalten dann die Steuerklasse I, wenn die Ehe kinderlos geblieben ist. Gibt es gemeinsame Kinder, kann der die Kinder betreuende Elternteil die Steuerklasse II wählen. Der andere Elternteil erhält die Steuerklasse I.
Was ist mit meiner Krankenversicherung?
Ist ein Teil des Ehepaares bei dem anderen über die Familienversicherung krankenversichert, besteht diese Versicherung auch im Trennungsjahr fort. Drei Monate nach Rechtskraft der Scheidung endet dann diese Familienversicherung.
Welche erbrechtlichen Aspekte sind zu bedenken?
Mit der Heirat entsteht automatisch zwischen dem Ehepaar ein gesetzliches Erbrecht. Nach der Scheidung geht das Ehepaar dann auch in erbrechtlicher Hinsicht wieder getrennte Wege. Aber was gilt für die Zeit dazwischen? Der frühst mögliche Zeitpunkt zu dem die erbrechtliche Bindung zwischen dem Ehepaar getrennt werden kann, ist nach § 1933 BGB der Augenblick, in dem die Voraussetzungen für eine Scheidung vorgelegen haben und der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hat.
Eine Voraussetzung ist also auch hier der Ablauf des Trennungsjahres. Praktisch bedeutet das, dass das gesetzliche Erbrecht und auch Testamente und Erbverträge während des Trennungsjahres in vollem Umfang wirksam bleiben. Wer dies nicht möchte, muss also nach der Trennung aktiv werden und ein altes Testament vernichten oder ändern und ein gegenseitiges Testament widerrufen. Außerdem muss ein neues Testament errichtet werden, in dem der*die getrennt lebende Ehepartner*in enterbt wird. Und selbst dann besteht weiterhin ein Anspruch auf den Pflichtteil. Dieser beschränkt sich dann jedoch auf die Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils.
Was hat sich der Gesetzgeber dabei gedacht?
Viele Regelungen, die während des Trennungsjahres greifen, dienen der Aufrechterhaltung der ehelichen Lebensverhältnisse. Der*die wirtschaftlich schwächere Ehepartner*in soll vor Verschlechterung der wirtschaftlichen und persönlichen Situation geschützt werden. Außerdem sollen die Rechtsfolgen im Trennungsjahr nicht vertiefend wirken und das Eheband zerschneiden. Das Trennungsjahr soll genug Zeit geben, sich eine Scheidung gut zu überlegen und nicht voreilig zu entscheiden. Der Gesetzgeber möchte dem Ehepaar die Möglichkeit der Wiederaufnahme der Ehe ermöglichen. Während des Trennungsjahres bleibt alles beim Alten. Es scheint, als würde aus dem Off ein „Überlegt es euch doch nochmal!“ erklingen. Denn laut § 1353 BGB wird die Ehe schließlich auf Lebenszeit geschlossen.
Gibt es Ausnahmen vom Trennungsjahr?
Eine Scheidung ohne Einhaltung des Trennungsjahres ist nur in Ausnahmefällen möglich. Nämlich dann, wenn die Fortführung der Ehe aus Gründen, die in der Person des anderen Ehepartners liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde. Eine Härtefallscheidung wäre zum Beispiel möglich bei Schwangerschaft der Ehefrau von einem anderen Mann als dem Ehepartner, schwerer Alkoholabhängigkeit des Ehepartners oder ausgesprochener Morddrohungen.
Hier ist jeder Einzelfall sorgfältig zu prüfen und eine generelle Kategorisierung
schwierig.
Das Ende des Trennungsjahres. Und nun?
Das Trennungsjahr stellt nicht den automatischen Beginn eines Scheidungsverfahrens dar, sondern ist lediglich eine Voraussetzung dafür. Am Ende des Trennungsjahres steht damit eine Frage im Raum: Scheidung: Ja oder
Nein? Diese Entscheidung ist zum Glück ganz individuell und persönlich. Im besten Fall hat das vom Gesetzgeber geforderte Jahr der Trennung dabei geholfen im neuen Lebensabschnitt anzukommen. Dann dürfte die Antwort bereits feststehen und muss nur noch ausgesprochen werden.
Dieser Artikel ist bereits auf Kims Blog erschienen. Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht.
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